Vor fast zwei Jahren, am 27. Februar 2022, hat der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz von der SPD im Deutschen Bundestag eine «Zeitenwende» ausgerufen. Anlass war der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine drei Tage zuvor.
«Wir erleben eine Zeitenwende», sagte Scholz damals und begründete damit einen 100-Milliarden-Sonderkredit für die Bundeswehr beziehungsweise für die Rüstungskonzerne hierzulande und anderswo. Er erklärte, was das bedeutet: «Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor.» Im Kern geht es laut dem Kanzler «um die Frage, ob Macht das Recht brechen darf, ob wir es Putin gestatten, die Uhren zurückzudrehen in die Zeit der Großmächte des 19. Jahrhunderts, oder ob wir die Kraft aufbringen, Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen».
Es bleibt die Frage, warum Scholz die Vorgeschichte des Einmarsches wegliess und warum der russischen Führung Motive unterstellt werden, die bis heute nicht belegt sind. Ebenso bleibt die Frage, warum die deutsche Bundesregierung anscheinend nichts dafür getan hat, zu verhindern, dass aus dem Einmarsch der bis heute andauernde Krieg wurde.
Es ist nicht bekannt, dass Scholz oder gar die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock alles versucht haben, dass im März 2022 durch die Verhandlungen in Istanbul möglich scheinende Ende der Kampfhandlungen (siehe hier und hier) zu befördern. Stattdessen reden sie bis heute davon, dass Russland die Ukraine vernichten wolle – auch das ohne Belege.
Stattdessen befördern sie mit ihren jüngsten Zusagen an Kiew über milliardenschwere Waffenlieferungen, dass das Schlachten in der Ukraine immer noch nicht endet. Was sie sagen und tun, mit dem verkündeten Ziel, Russland «ruinieren» zu wollen, steht in einer unheilvollen Tradition.
Auf diese weist auch der von Scholz vor zwei Jahren verwendete Begriff von der «Zeitenwende» hin. Inzwischen hat der Bundeskanzler mindestens noch eine Rede dazu gehalten.
Durch Zufall kam mir dieser Tage die «Kriegsfibel» von Bertolt Brecht wieder in die Hände, erstmals erschienen 1955. Und beim Blättern darin fand ich das:
«Sehr ihn hier reden von der Zeitenwende.
‘s ist Sozialismus, was er euch verspricht.
Doch hinter ihm, seht, Werke eurer Hände.
Große Kanonen, stumm auf euch gericht’.»
Dazu ein Foto, auf dem Adolf Hitler vor einem großen Artilleriegeschütz zu sehen ist. In der Bildunterschrift heißt es ohne Jahresangabe: «Am 10. Dezember hielt Hitler eine seiner großen Reden in einer Waffenfabrik in der Nähe Berlins.» Wahrscheinlich ist dessen Rede vom 10. Dezember 1940 vor Arbeitern der Borsig-Werke bei Berlin gemeint.
Nicht nur die Reden deuten auf eine unheilvolle Tradition hin, auch das Fotomotiv: Scholz ist inzwischen der Kanzler, der sich wie kein Amtsvorgänger vor ihm mit Waffen fotografieren lässt. Da nimmt der frühere Kriegsdienstverweigerer beispielsweise Granaten in die Hand, posiert vor Luftabwehr-Panzern «Gepard» und setzt sich ins Cockpit von Kampfjets.
Die Rüstungsindustrie ist erfreut über den unerwarteten Waffen-Freund, wie unter anderem die ARD-Tagesschau berichtete. Auch das ist deutsche Tradition: Hitler war der Mann der Konzerne, nicht nur der deutschen. Sie wollten zum Wohle ihrer Profite die von ihm befohlenen Kriege, bis hin zum faschistischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion.
So viel unheilvolle Tradition macht mir Angst. Was Scholz da anrichtet, geschieht nicht in meinem Namen. Die Tradition, die sich da zeigt, hat etwas mit dem zu tun, was Brecht auch in seiner «Kriegsfibel» zehn Jahre nach dem Sieg über den deutschen Faschismus schrieb:
«Das da hätt einmal fast die Welt regiert.
Die Völker wurden seiner Herr. Jedoch
Ich wollte, dass ihr nicht schon triumphiert:
Der Schosss ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.»
Bleiben wir wachsam ob solcher Traditionen und lassen wir uns nicht täuschen, wenn jene, die sie fortsetzen, zum «Kampf gegen rechts» aufrufen. Sie sind die Räuber, die «Haltet den Dieb!» rufen.
Dieser Text erschien zuerst am 17.2.2024 im Newsletter des Online-Magazins Transition News aus der Schweiz.