„Die DDR war ein Glück für die deutsche Geschichte“ – Buch gegen das Negativbild

Was bleibt von der untergegangenen DDR? Diese Frage beantwortet der Journalist Matthias Krauß in einem neuen Buch. Ebenso die Frage, was sich für die Ostdeutschen nach der Einheit verschlechtert hat. Gegenüber Sputnik hat er erklärt, warum er das Buch veröffentlicht hat, während derzeit offiziell 30 Jahre „Mauerfall“ gefeiert werden.

Matthias Krauß hat einen Krieg beendet, einen ganz persönlichen, mit einem einseitigen Waffenstillstand. Den verkündet der brandenburgische Journalist in seinem Buch „Die große Freiheit ist es nicht geworden“. Er habe 30 Jahre um den Ruf der „verblichenen DDR“ gekämpft, gegen den „einseitigen Mainstream“. Dieser habe 30 Jahre lang gegen das untergegangene Land ein „agitatorisches Programm“ durchgezogen, um es als eine „einzige Schreckenskammer“ darzustellen.

„Wir haben nicht das Problem der Idealisierung der DDR, sondern das ihrer einseitigen Verteuflung“, so Krauß. Das zeigt sich aktuell wieder im Vorfeld des 30-jährigen Jubiläums der Grenzöffnung am 9. November 1989. Der Autor meint: „Die DDR war weder so gut, wie sie sich selbst dargestellt hat, noch war sie so schlecht, wie sie nach der Wende in der offiziellen und öffentlichen Darstellung notorisch gemacht wird. Es schickt sich nicht, sie auf einer dieser beiden Seiten zu reduzieren.“

Krauß (Jahrgang 1960) hat in der DDR in Leipzig Journalistik studiert und als Redakteur der Zeitung „Märkische Volksstimme“ (heute „Märkische Allgemeine Zeitung“) gearbeitet. Seit 1990 ist er als freier Journalist in Potsdam tätig und schreibt vor allem für diverse Blätter und Agenturen über die Landespolitik in Brandenburg. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, immer wieder auch zu DDR-Themen. Das sei auch der Grund, warum er sich nun zum „Waffenstillstand“ entschlossen habe, erklärte er im Gespräch.

Antwort auf Rätsel

In seinem neuen Buch zeigt er ganz entgegen all den wiederholten Erfolgsmeldungen seit 1990 „Was sich für die Ostdeutschen seit der Wende verschlechtert hat“, wie es im Untertitel heißt. Er wolle damit eine Antwort auf die Rätsel geben, die die politische Stimmung in Ostdeutschland vielen bereiten würden. Dafür sorge, dass immer mehr Menschen auf dem Gebiet der DDR sich in ihre Nischen zurückziehen, von der Demokratie enttäuscht Abstand nehmen und zunehmend rechten bis rechtsextremen Kräften, so der AfD, zustimmen.

Ihn beschäftige die Frage, warum die Stimmung in Ostdeutschland so ist wie sie ist, erklärte Krauß gegenüber Sputnik. Für die Antwort sei der Blick darauf notwendig, was sich in den letzten 30 Jahren verschlechtert hat. In seinem Buch beschreibe er deshalb die „Schattenseite der Wende“. In der vordergründig positiven Sicht auf die Entwicklung seit 1989 würden sich viele Menschen in Ostdeutschland nicht wiederfinden, sagte der Journalist.

„Es sind keineswegs nur Vorteile, welche die Ostdeutschen durch die Demokratisierung 1989 und die staatliche Vereinigung 1990 erfahren haben“, schreibt er im Vorwort seines Buches.

„In unserer so offenen und freimütigen deutschen Debatte mag – nach dreißig Jahren Wühlarbeit gegen das Ansehen der DDR – die Annahme, ihre Bürger könnten durch die Wende Verluste erlitten haben, als unvorstellbar, abartig und geradezu obszön gelten.“

Kontrast zum Negativbild

Er wolle gegen das negative Bild von der DDR, „das die ‚Aufarbeiter‘ beständig von ihr zeichnen“, sowie die „notorische Reduktion auf ihre problematischen Seiten“ einen Beitrag zu einem ausgewogenen Bild leisten. Allerdings wolle er auch nicht bei den Verlusten und zum Teil Katastrophen für manche einstige DDR-Bürger stehen bleiben, betonte er gegenüber Sputnik. Er gestand ein, dass es nicht allen Ostdeutschen schlecht geht. Es gebe relativ viele, denen es sehr gut gehe. Zugleich warnte er im Gespräch wie im Buch vor „sehr schwierigen Entwicklungen“ für jene, die sich bisher zu den Gewinnern der Wende von 1989/90 zählen.

Die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) schrieb als eines der wenigen westdeutschen Medien über sein Buch. Der SZ-Rezensent warf Krauß nicht unerwartet vor, er nörgle rum. Damit könne er leben, erklärte der Autor dazu. Er verwies auf die Fakten, so dass Ostdeutschland erst nach 1990 heruntergewirtschaftet wurde:

„Die Industrieproduktion sank auf 30 Prozent des Vorwende-Standes. Aus diesem Loch sind wir nicht wieder herausgekommen. Die neuen Bundesländer sind die Region in Deutschland, die sich am wenigsten entwickelt.“

Angesprochen auf die „Leuchttürme“ – ostdeutsche Standorte, an denen Konzerne investierten und Niederlassungen aufbauten –, zitierte Krauß Lenin: „Mit Beispielen kann man alles beweisen – und sein Gegenteil.“ In dem konkreten Fall seien die Grundlagen für diese industriellen „Kerne“ bereits in der DDR gelegt worden, betonte er.

Altersheim statt Zukunftswerkstatt

Die Gesamtstatistik zeige aber, dass die ostdeutsche Entwicklung negativ sei. Das gelte selbst für das Bundesland Brandenburg: Betriebe auf dessen Territorium hätten bis 1989 in die ganze Welt exportiert, so Krane aus Eberswalde und Loks aus Hennigsdorf. Brandenburg nehme heute beim Export den vorletzten Platz in der Bundesrepublik ein.

Den drastischen Rückgang der Geburtenrate auf dem DDR-Gebiet seit 1989 nannte Krauß als anderes Beispiel. In den ersten zehn Jahren danach seien in Ostdeutschland rund eine Million Kinder weniger geboren worden als im gleichen Zeitraum davor. Hinzu komme, dass rund 2,3 Millionen Ostdeutsche seit 1990 ihre Heimat verlassen haben. Von diesen Schlägen habe sich die ostdeutsche Sozialstruktur bis heute nicht erholt, schreibt Krauß in seinem Buch und zeigt sich dabei auch für die Zukunft skeptisch.

„Eine ganze Generation ist quasi in die Flucht geschlagen worden“, kommentierte er das im Gespräch. „Deren Kinder fehlen ja heute im Osten.“ Deshalb sei dieser nicht nur aufgrund der niedrigeren Löhne das „Armenhaus“ der Bundesrepublik, sondern auch das „Altersheim“.

Folgen der Deindustrialisierung

Zu den Fehlentwicklungen nach 1989/90 zählt Krauß ebenso die Verschuldung der Städte und Gemeinden in Ostdeutschland. „Die hat alles gesprengt, was vorher da war“, stellte er fest. Er widersprach zugleich – wie auch im Buch – jenen, die bis heute die Ursachen dieser Probleme in der DDR sehen. Das hätte möglicherweise für die ersten Jahre nach der staatlichen Vereinigung gelten können, sage er dazu.

„Aber interessant ist doch, dass es überhaupt keine Verbesserungen gibt. Statistisch gesehen verharrt der Osten in seiner vielseitigen Nachteils-Lage. Die Rezepte, die wir nach 1990 verschrieben bekamen, haben überhaupt nicht gegriffen.“

Die einst von Bundeskanzler Helmut Kohl versprochenen „blühenden Landschaften“ gibt es laut Krauß nur als „Abprodukt“ der Deindustrialisierung  – „aber nicht in dem Sinne, wie es die meisten Ostdeutschen erwartet haben“. Es gebe bis heute keinen selbsttragenden Aufschwung in Ostdeutschland, wie er 1990 und in der Folgezeit beschworen worden sei. „Ich glaube, von dem sind wir weiter weg als vor 25 Jahren“, meinte der Journalist.

Angst als neue Bürgerpflicht

Der Buchtitel beruht seinen Angaben nach auf einem kleinen Gedicht Erich Kästners aus den Anfangsjahren der Bundesrepublik. Das zitiert er zu Beginn des Buches. Kästner lässt es enden mit „Die große Freiheit ist es nicht geworden, die kleine Freiheit – vielleicht!“  Zuvor ist der Satz zu lesen: „Die Angst ist erste Bürgerpflicht geworden.“ Das sei Ostdeutschland „wie auf den Leib geschneidert“, bemerkte Krauß.

„Die DDR war eine glückliche Phase der deutschen Geschichte, wenn ich sie mit den Phasen davor vergleiche.“

Das antwortete er auf die Frage nach seinem Blick auf das untergegangene Land. „Das deutsche Kaiserreich ging in einer Katastrophe unter. Die Weimarer Republik ging in einer Katastrophe unter. Die Nazizeit ging in einer Megakatastrophe unter.“ Dagegen sei die DDR ohne Katastrophe untergegangen, wofür sie auch keine Anlagen besessen habe, so der Journalist und Autor.

Er hob hervor: „Der DDR-Bürger war Bürger eines deutschen Staates, der Frieden hielt und dessen Politik Friedenspolitik war. Heute ist er Bürger eines deutschen Staates, der Krieg führt.“ Im Buch schreibt er dazu:

„Der Fall der Berliner Mauer markierte das Ende der längste Friedensphase, die Europa in seiner Geschichte erlebt hatte.“

Wenige Monate danach sei der Krieg auf den europäischen Kontinent zurückgekehrt, erinnert Krauß an die vom Westen angeheizten jugoslawischen Zerfallskriege in den frühen 1990er Jahren und die Folgen. Und er fügt hinzu:

„1990 endete für die Ostdeutschen die Nachkriegszeit. Es begann die neue Vorkriegszeit.“

Warnung vor neuer Katastrophe

Der Autor warnt:

„Was heute wieder politisch und auch wirtschaftlich zusammen gerührt wird, hat das Potenzial, auch wieder in einer Katastrophe zu enden.“

Aus seiner Sicht werden künftige Entwicklungen dazu führen, „dass es nicht mehr wichtig ist, ob ich die DDR richtig, richtiger, am richtigsten sehe“. Das werde keine Rolle mehr spielen. Zu diesen Entwicklungen, „die ich sehr fürchte“, zählt nach seinen Worten auch, dass wieder deutsche Soldaten nur rund 150 Kilometer von St. Petersburg, dem früheren Leningrad, entfernt im Einsatz sind. Sorgen bereite ihm ebenso der „Gründungsdefekt“ der Europäischen Union (EU), die nur von den finanziellen Interessen der Mitgliedsländer zusammengehalten werde. Die vielbeschworenen europäischen Werte würden nicht ausreichen, um die EU zusammenzuhalten und sie gegenüber anderen Mächten wie den USA oder China bestehen zu lassen.

Matthias Kraus: „Die große Freiheit ist es nicht geworden – Was sich für die Ostdeutschen seit der Wende verschlechtert hat“
Verlag Das Neue Berlin 2019. 256 Seiten; ISBN978-3-360-01346-0; 14,99 €