Der Berliner Journalist Klaus Joachim Herrmann hat fast zehn Jahre lang aus Moskau berichtet. Noch immer beobachtet er die Entwicklung in Russland. Er sieht sie zum Teil kritisch, wendet sich aber gegen die Dämonisierung des Präsidenten Wladimir Putin. Und für die bundesdeutschen Medien hat Herrmann einen konstruktiven Ratschlag.
Es ist klar, dass Wladimir Putin die Präsidentschaftswahl in Russland am 18. März „mit sicherem Vorsprung“ gewinnt. Dessen ist sich Klaus Joachim Herrmann sicher. Aus seiner Sicht wird Putin gewinnen müssen, „weil es gar nicht anders geht“: „Es gibt nämlich keinen anderen Kandidaten, der annähernd in die Nähe kommt. Es gibt keinen Kandidaten, der eine zweistellige Prozentzahl aufbieten kann.“ Auch Alexej Nawalny würde ein solches Ergebnis nicht erreichen, dürfte er zur Wahl antreten.
Herrmann weiß, wovon er spricht, und kennt Russland: Er war von 1988 bis 1997 Korrespondent der Tageszeitung „Neues Deutschland“ (ND) in Moskau. Seitdem beobachtet er die Entwicklung in Russland weiter und schreibt über sie. Am Montag sprach der Journalist, der seit Januar in Rente ist, mit ND-Feuilleton-Redakteurin Irmtraud Gutschke im „Literatursalon“ der Zeitung über „Russland und der Westen“.
„Putin will nicht Präsident auf Lebenszeit werden“
Eigentlich wollten beide über das Buch „Eiszeit – Wie Russland dämonisiert wird und warum das so gefährlich ist“ der ehemaligen Moskau-Korrespondentin der ARD Gabriele Krone-Schmalz sprechen. Zum Bedauern einiger im Publikum geschah das aber kaum, wobei Herrmanns Erfahrungen und Sichten nicht minder interessant waren. Er sah auch keinen Grund, seiner ehemaligen Berufskollegin zu widersprechen.
Der Ex-Korrespondent meinte, dass Putin anders als sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping die Verfassung seines Landes nicht ändern lassen werde, um seine Amtszeit über 2024 hinaus verlängern zu können. Das habe der russische Präsident, danach befragt, mehrmals ausdrücklich ausgeschlossen. Putin habe auf solche Fragen „fast empört“ reagiert, berichtete Herrmann aus eigenem Erleben.
Der Journalist machte auf die Frage, was hinter der politischen Bühne passiert, darauf aufmerksam, dass vieles auch auf offener Bühne zu erleben sei. Er kritisierte, dass der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck es nicht für nötig hielt, nach Moskau zu fahren – „was ich ihm schwer übel nehme“. Das sei gerade angesichts der Reden Gaucks im Umfeld des 70. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus 2015 der Fall. Da sei Deutschland „schon mal sehr viel weiter gewesen, als es jetzt ist“.
Instinktlose Bemerkung von Merkel
Zur Aussage von Kanzlerin Angela Merkel bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Putin am 10. Mai 2015 in Moskau über die „die verbrecherische und völkerrechtswidrige Annexion der Krim“ sagte Herrmann:
„Der 70. Jahrestag ist für keinen deutschen Politiker ein Datum, einem russischen Spitzenpolitiker ‚verbrecherische Politik‘ vorzuwerfen. Das ist einfach instinktlos. Es war zu sehen, wie Putin vereiste. Ich persönlich mache an diesem Augenblick auch die zunehmende Vereisung der deutsch-russischen Beziehungen fest. Ich glaube, da ist auch bei Putin eine Illusion zerstoben. Er hat lange auf die deutsche Karte gesetzt. Irgendwann ist ihm begreiflich gemacht worden: Das ist mit den Deutschen nicht zu machen.“
Dieser Augenblick sei ein solcher Punkt gewesen, an dem spätestens in Moskau eine Abwendung von Berlin erfolgte. Der langjährige Korrespondent wunderte sich, dass Putin „auf allen Kanälen als der Böse“ gilt und dargestellt wird: „Es ist merkwürdig, wenn man ihm auch ein paarmal persönlich begegnet ist, auch in einer Expertenrunde.“ Er sei bei einer dabei gewesen und habe darüber berichtet. Danach sei er gefragt worden, ob er vielleicht „zu beeindruckt“ war, berichtete Herrmann.
„Putin ist nicht unberechenbar“
Der damalige Empfang im Jekaterinen-Saal des Kremls sei schon beeindruckend gewesen, berichtete er. Sein bleibender Eindruck sei, dass Putin alle Fragen gestellt werden können und sie auch beantwortet würden. Das geschehe „mit sehr viel Sachkenntnis, sogar manchmal mit Witz, manchmal sogar mit Witzen, bevorzugt über den Geheimdienst“. „Er ist eigentlich ein interessanter Mann“, stellte der ehemalige ND-Journalist fest, der schon bei Putins erstem Amtsantritt im Januar 2000 sicher war, dass dieser ein mächtiger Mann werde.
„Ich verstehe es wirklich nicht, dass er dargestellt wird als jemand, der ein bisschen verrückt und unberechenbar ist, von dem man nicht wisse, was er als Nächstes tut. Das halte ich alles für hanebüchenen Unsinn!“
Der russische Präsident wirke dagegen „sehr konzentriert, sehr klar“. Seine Politik sei „absolut erkennbar auf russische Interessen ausgerichtet“. Herrmann fügte hinzu: „Das ist sein Job! Der muss sehen, dass er die Interessen seiner Wähler vertritt.“
Für den Ex-Korrespondent, der die „wilden 1990er Jahre“ in Russland nach dem Untergang der Sowjetunion samt Oligarchen-Krieg mit Autobomben miterlebte, ist das Land weiterhin eine Weltmacht. „Es ist eben keine Regionalmacht“, stellte er klar. Zugleich seien seine Rüstungsausgaben deutlich geringer als die der USA und des Westens, widersprach er aktuellen Hochrüstungsvorwürfen an Moskau. Es sei aber mit seinen Atomwaffen und seiner Militärtechnologie weiterhin ernst zu nehmen.
„Wenn die USA Hawaii zurückgeben, gibt Russland die Krim zurück“
Herrmann gestand ein, sich zu wundern, dass die alte Systemauseinandersetzung des Kalten Krieges anscheinend fortgesetzt werde:
„Das hat etwas mit Russland, seiner Rolle in der Welt, seiner Größe und seiner mehr als Regionalmacht zu tun. Das sind natürlich Verteilungskämpfe in dieser Welt, um diese Welt.“
Da seien die USA „weit vorne“.
„Wie die Hawaii kassiert haben, war auch nicht sauber“, meinte der ND-Journalist über die USA mit Blick auf die Vorwürfe an Russland wegen der Krim-Rückkehr. „Da würde ich als Russe mal locker sagen: Wenn die Amerikaner Hawaii zurückgeben, geben wir die Krim zurück. Das wäre ungefähr ausgewogen, denke ich mal als Möglichkeit.“ An das Eine hätten sich alle gewöhnt, während die anderen „die Prügel bekommen“.
Er wolle nicht sagen, „dass das sauber war mit der Krim“, ergänzte Herrmann, der weiterhin einen kritischen Blick auf die russische Politik hat. „Es war handwerklich perfekt gemacht, aber eigentlich macht man so etwas nicht“, erklärte er, ohne weiter auf das Geschehen um die Krim im Hintergrund einzugehen. Zugleich schätzte er die Entwicklung in der Ukraine seit dem Staatsstreich im Februar 2014 als gefährlich ein. Dort zeige sich, was die Herrschaft von Oligarchen tatsächlich bedeute – während Putin in Russland die Macht der Oligarchen eingeschränkt habe.
„Die hatten weniger, aber wir haben mehr von ihnen gekriegt“
Der frühere Korrespondent berichtete dem Publikum im meist höheren Alter im ND-Salon auch von seinen Erfahrungen mit dem sowjetischen und russischen Alltag. Gerade in der „unglaublich schwierigen Zeit“ in den 1990er Jahren unter Präsident Boris Jelzin habe er erlebt, wie dankbar reagiert wurde, wenn er als nun westlicher Ausländer geholfen habe. „Ich habe dabei etwas Interessantes über Russland und die Russen gelernt: Man kann ihnen viel Gutes tun und geben – man kriegt immer mehr zurück. Die hatten weniger, aber wir haben mehr von ihnen gekriegt.“
Herrmann sagte zur heutigen Russland-Berichterstattung bundesdeutscher Medien, dass ihn dabei manches an die DDR und seine eigene Tätigkeit in dieser erinnere. Damals sei er immer wieder gefragt worden:
„Wie kommt denn das, dass alle bei Euch dasselbe schreiben? Da haben wir immer die Stirn in Falten gelegt und gesagt: Das ist nicht so und außerdem alles ganz anders.“
Seine Beobachtung nach 1990:
„Es hat nicht so lange gedauert, bis wir die Frage anderen stellen konnten. Und jetzt legten die die Stirn in Falten und sagten: Es ist ganz anders!“
Es sei ein „merkwürdiger Mechanismus, der da in den Medien wirkt“.
Ratschlag an bundesdeutsche Medien
Der ehemalige ND-Korrespondent in Moskau berichtete unter anderem, wie ihm Dirk Sager, ZDF-Korrespondent am selben Ort, manchmal Geschichten anbot, die er bei seinem Sender nicht veröffentlichen konnte. Er habe sich dann immer mal wieder in die andere Richtung revanchiert, so Herrmann. Es habe viele Kontakte zwischen Ost- und West-Journalisten gegeben, weil die sowjetische Seite „sehr entspannt“ damit umging. Er habe in dieser Zeit manches gelernt.
Die Möglichkeit des Vergleichs der Medien und ihrer Mechanismen habe ihm gezeigt, dass es weniger um Ideologie und Vorstellungen gehen sollte, an denen die Wirklichkeit ausgerichtet wird. Es müsse darum gehen, erstmal „zu gucken, was ist. Dann ziehen wir unsere Schlüsse.“ Er versuche seitdem, von der Realität auszugehen und diese „so redlich wie möglich zu beschreiben“. Das sei nicht immer einfach, aber die Lesenden erhielten so selbst die Möglichkeit, sich ein Urteil zu bilden. Journalisten sollten ihre eigene Meinung „hintenan stellen“, forderte Herrmann ein.