Die Linke: „Mehr für Ostdeutschland tun“ – Bundesregierung versagt bei Fluchtursachen

Einen „Gerechtigkeitsplan Ost“ will die Partei Die Linke erarbeiten und eine „Allianz für Ostdeutschland“ schmieden. Das hat Fraktionschef und Spitzenkandidat Dietmar Bartsch gemeinsam mit Gregor Gysi am Montag in Berlin angekündigt. SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz soll aus seinem „Schlafwagen aussteigen“ und interessanteren Wahlkampf machen.

Mit elf Punkten will die Linkspartei die anderen Parteien und gesellschaftlichen Kräfte gewinnen, sich an der „Allianz für Ostdeutschland“ zu beteiligen. Gemeinsam solle ein „verbindlicher Plan zur Angleichung der Lebensverhältnisse“, ein „Gerechtigkeitsplan Ost“, erarbeitet werden. Dazu könnte laut den beiden Parteivertretern eine „Gemeinschaftsaufgabe gleichwertige Lebensverhältnisse“ ebenso gehören wie Investitionen in die technische und Verkehrsinfrastruktur im ländlichen Raum sowie in die soziale Infrastruktur.

Die Linke fordert gleichfalls eine „aktive Industriepolitik“ und mehr Gelder für Forschung und Entwicklung. Die Tarifbindung müsse durch bundesweit einheitliche Flächentarifverträge gestärkt werden und gleichzeitig ein Kriterium für die Vergabe öffentlicher Aufträge sein. Der ostdeutsche Rentenwert solle außerdem bis „spätestens 2020“ angeglichen und eine „Solidarische Mindestrente von 1050 Euro“ eingeführt sowie das Kindergeld erhöht werden.

Ein „Bundesministerium für Infrastruktur und die neuen Länder“ solle sich nach der Wahl im September darum kümmern, diesen Plan umzusetzen. Bartsch und Gysi widersprachen auf der Pressekonferenz in Berlin dem Eindruck eines Journalisten, dass ein solches Ministerium sich nur um den Osten kümmere und damit die neue Bundesregierung „spalte“. „Wir wollen nicht spalten, sondern das Gegenteil“, erklärte Bartsch. Die Kompetenzen der derzeitigen Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, Iris Gleicke, hätten nicht ausgereicht. Beide Politiker erinnerten daran, dass Manfred Stolpe von 2002 bis 2005 als Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ausdrücklich für Ostdeutschland zuständig war. Bartschs Fazit: „Der jetzige Zustand, der in den letzten vier Jahren keiner Schritte nach vorne gebracht hat, hängt damit zusammen.“

Niedrigste Einkommen in Merkel-Wahlkreis

Der Fraktionschef der Linken im Bundestag und sein Vorgänger kritisierten die anderen Parteien, die sich um die „zentrale Aufgabe“ Ostdeutschland nicht kümmern würden. Bartsch stammt aus Mecklenburg-Vorpommern und tritt als Spitzenkandidat seiner Partei neben Sarah Wagenknecht an. Er verwies darauf, dass die „Kanzlerin aus dem Osten“ Angela Merkel zwar das Zugpferd der CDU sei. Aber sie sei „für viele Ostdeutsche eine einzige Enttäuschung“.

So sei zum Beispiel in Merkels Bundestagswahlkreis (Vorpommern-Rügen – Vorpommern-Greifswald I) das Durchschnittseinkommen im bundesdeutschen Vergleich am niedrigsten. Es sei völlig inakzeptabel, was bisher zu den Ostrenten beschlossen worden sei und dass diese immer noch nicht angeglichen wurden. Bartsch kritisierte ebenso, dass der Mindestlohn in der Pflege in Ostdeutschland niedriger festgelegt sei als für den Westen.

Gysi ergänzte: „Die Ostdeutschen arbeiten im Durchschnitt zwei Wochen länger als die Westdeutschen, für ein geringeres Entgelt. Das ist nicht mehr tragbar!“ Die Linke sei zwar eine bundesweit agierende Partei, „aber die Einzige, die speziell zuständig ist und sich zuständig fühlt – die anderen leider nicht –, für die Angleichung von Ost und West.“ Der heutige Präsident der Europäischen Linken schlug einen „Solidarpakt 3“ für alle strukturschwachen Regionen der Bundesrepublik vor. Die würden zwar in der Mehrzahl im Osten liegen, aber die entsprechenden Probleme hätten auch westdeutsche Regionen.

Schulz soll „aus Schlafwagen aussteigen“

Linken-Spitzenkandidat Bartsch hält es für „dringend notwendig, dass der Wahlkampf spannend wird und es eine Auseinandersetzung um den politischen Kurs in Deutschland gibt“. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz solle endlich zeigen, wo die Unterschiede und Alternativen wären, wenn er Bundeskanzler wäre. „Ein Punkt wäre sicherlich, wenn er deutlich machte, dass er nicht als Minister in einem Kabinett Angela Merkel agieren würde.“ Aus seiner Sicht umschifft die Union in ihrem Wahlkampf gezielt zentrale Themen und Auseinandersetzungen. Von Schulz wünscht er sich, dass dieser „aus dem Schlafwagen aussteigt“.

Aktuelle Untersuchungen zufolge machen sich die Wähler aktuell mehr Sorgen um Kriminalität und Zuwanderung sowie den Frieden als um soziale Themen. Auf Sputnik-Nachfrage dazu meinte Bartsch, das Thema soziale Gerechtigkeit sollte im Zentrum des Wahlkampfes stehen. Das sei bei seiner Partei der Fall. Er bezeichnete es als „strategischen Fehler der Bundesregierung, dass sie in der Situation, als viele Geflüchtete nach Deutschland kamen, nicht eine soziale Investitionsoffensive gestartet hat, die für alle erlebbar gemacht hätte: Ja, das ist leistbar und es geht auch mir besser. Gerade jene, die sozial ausgegrenzt sind, haben Sorgen, dass sie ihren Standard nicht halten können. Deshalb bleibt das die zentrale Frage.“ Die Reden von den zu bekämpfenden Fluchtursachen seien zu leeren Worthülsen verkommen. „Wenn man weiter Waffen in alle Welt exportiert, Soldaten in alle Welt schickt, dann schafft man neue Fluchtursachen.“ Auch die deutsche Wirtschaftspolitik trage dazu bei, so Bartsch.

Soziale Frage entscheidend für Fluchtursachen

Auch Gysi verwies auf die Fluchtursachen und ergänzte zur Situation von Geflüchteten in Ostdeutschland: „Die Ostdeutschen fühlen sich als die Verlierer der Geschichte.“ Die Gründe dafür seien: Sie hätten nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Sowjetunion „die schwerere Besatzungsmacht“ als der Westen gehabt. Nach der Freude über die deutsche Einheit 1990 hätten sie aber erlebt, dass sie nur „Deutsche zweiter Klasse“ sind. Dazu hätten die Ostdeutschen soziale Verwerfungen erlebt, die den Menschen in den alten Bundesländern erspart geblieben wären. „Deshalb ist ihre Angst doppelt so groß, auch die soziale Angst“, so Gysi, „deshalb gibt es die Empfindlichkeiten in Bezug auf Flüchtlinge.“

Das zu analysieren und zu verstehen bedeute aber nicht, den Standpunkt zu teilen, so der Linken-Politiker. Denn: „Du bist erst links, wenn Du an der Seite aller Schwachen stehst, nicht nur an der Seite der Schwachen Deiner Nationalität. Das ist viel zu wenig. Und das musst Du durchhalten, selbst wenn es Gegenwind gibt.“ Wenn über Fluchtursachen geredet werde, stehe wieder die soziale Frage, sagte er mit Blick auf die zunehmende soziale Ungleichheit weltweit und hierzulande.