Was mich erschreckt ist nicht
die Zerstörungskraft der Bombe,
sondern die Explosivkraft
des menschlichen Herzens zum Bösen!
Albert Einstein
Ich finde es erschreckend, was Michael von der Schulenburg kürzlich in Berlin bei der «Eurasien Gesellschaft» aus dem EU-Parlament berichtete. Demnach wird ihm, wenn er sich in seiner einmütigen Redezeit für mögliche Verhandlungen im Ukraine-Krieg ausspricht, entgegengerufen, er solle sich schämen. Oder noch schlimmer: Seine Familie müsse sich für ihn schämen.
Von der Schulenburg ist seit dem vergangenen Jahr für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) Abgeordneter im Europa-Parlament – das nur das der Europäischen Union (EU) ist –, und setzt sich dort für Frieden ein. Die Grundlage dafür ist, dass er vorher jahrzehntelang für die UNO und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Konflikt- und Kriegsgebieten tätig war, um konkrete Probleme zu lösen.

Er war bei den Vereinten Nationen im Rang eines UN Assistant Secretary-General tätig. Mehr als 34 Jahre arbeitete von der Schulenburg in Friedens- und Entwicklungsmissionen der Vereinten Nationen und der OSZE in vielen Ländern, die durch Kriege und Konflikte mit bewaffneten nichtstaatlichen Akteuren oder durch ausländische Militärinterventionen geschwächt und zerrissenen waren.
Seit 1992 war er in leitender Funktion dieser Friedensmissionen tätig. Zu diesen gehörten langfristige Einsätze in Haiti, Pakistan, Afghanistan, Iran, Irak und Sierra Leone sowie kürzere Einsätze in Syrien, in Somalia, auf dem Balkan, in der Sahelzone und in Zentralasien.
Ich zähle das auf, weil es für mich zu den Gründen gehört, warum dieser Mann es nicht nur verdient hat, dass sich andere ihm gegenüber anständig verhalten. Sondern er hat Respekt und Achtung verdient, nicht nur wie jeder andere Mensch auch, sondern auch für das, was er getan und geleistet hat. Diejenigen, die ihn verbal attackieren, sollten sich schämen.
Ich habe ihn das erste Mal bei der Friedensdemonstration am 25. November 2023 in Berlin gehört. Zuvor hatte ich von ihm gelesen. Inzwischen konnte ich ihn auch sprechen und habe einen Menschen erlebt, der nicht abgehoben ist, der offen und zugänglich ist sowie bereit ist, zuzuhören.
Sicher hätte er ohne solche Eigenschaften nicht immer wieder in schwierigen Situationen vermitteln können, in Gesprächen zwischen verfeindeten Kräften oder mit jenen wie den afghanischen Taliban, die im Westen nur als «Terroristen» und Schlimmeres gesehen und dargestellt werden. Und etwas wird ihm dabei geholfen haben: Respekt für den anderen, für dessen Sichten und Interessen, was nicht heisst, diese teilen zu müssen. Ohne diesen Respekt gibt es keine Lösung in Konflikten.

Um so mehr empfand ich es sogar als schmerzhaft zu hören, was der ehemalige Diplomat im Auftrag des Friedens im EU-Parlament erlebt. Er gab offen zu, dass ihn das erschreckt, wie dort gesprochen wird, mit welcher Arroganz und moralischer Überheblichkeit dem Krieg das Wort geredet wird.
«Frieden» werde als Unwort behandelt und beim Thema Ukraine-Krieg nicht einmal von Diplomatie und Verhandlungen gesprochen, berichtete der BSW-Abgeordnete. Sie können mehr darüber erfahren in meinem Bericht über die Veranstaltung mit von der Schulenburg.
Es bleibt die Frage, welcher Ungeist sich da breit gemacht hat in der westlichen Politik, insbesondere in Deutschland. Dieser Ungeist ist ebenso in den etablierten Medien und bei den in ihnen Tätigen zu finden, wie am Donnerstag der ZDF-Journalist Elmar Theveßen in der Sendung «maybrit illner» bewiesen hat.
Theveßen sagte, aus Washington zugeschaltet, zu den aktuellen Entwicklungen im Ukraine-Krieg und den mutmaßlichen Bemühungen des wiedergewählten US-Präsidenten Donald Trump, den Krieg zu beenden, allen Ernstes:
«Also (…), die gute Nachricht ist, es wird nicht am ersten Tag schon der Frieden ausbrechen in dieser Region.»
Er hat das dann noch mal wiederholt – ohne dass ihm jemand aus der TV-Gesprächsrunde oder deren Moderatorin im Ansatz widersprochen hat.
Dieses unsägliche Verhalten zeigt auch, was von all den Demonstrationen und Protesten «Gegen Rechts» und gegen vermeintliche und echte Faschisten zu halten ist. Deren Denken ist politisch und medial längst Mainstream geworden: Ausgrenzung bis zur Existenzvernichtung, Kriegshetze auf Kosten von Millionen, Zerstörungswut gegen alles, was anders ist. Das belegen unter anderem die Aussagen des Journalisten-Darstellers Theveßen und das, was der EU-Parlamentarier von der Schulenburg berichtet.
Ich weiß nicht, ob das eine neue Erscheinung ist. Mir kommen da Zweifel, wenn ich lese, was der Schriftsteller Mark Twain vor seinem Tod 1910 in seinem Roman «Der geheimsvolle Fremde» schrieb:
«Einige wenige gerechte Männer auf der anderen Seite treten in Wort und Schrift mit vernünftigen Argumenten gegen den Krieg auf, und anfangs hört man sie an und spendet ihnen Beifall; aber das hält nicht lange an; jene anderen überschreien sie, und bald schmelzen die Massen der Kriegsgegner zusammen und werden unbeliebt.»
Twain über die Folgen der Kriegshetze:
«Nicht lange, und du siehst folgendes sonderbare Bild: Die Redner werden mit Steinwürfen von der Tribüne gejagt, und die freie Rede wird von Horden wütender Leute abgewürgt, die im tiefsten Herzen – wie bisher – mit diesen gesteinigten Rednern noch immer einer Meinung sind, es aber nicht auszusprechen wagen. Und jetzt nimmt die ganze Nation – die Kanzel wie alle anderen – den Ruf nach Krieg auf und brüllt sich heiser und schlägt jeden ehrlichen Mann zusammen, der den Mund aufzumachen wagt; und bald tut sich kein solcher Mund mehr auf.»
Lassen wir es nicht soweit kommen, auch wenn es schwer fällt, standzuhalten und zu widerstehen. Jemand wie Michael von der Schulenburg kann als Beispiel dafür gesehen werden, dass es möglich ist, standzuhalten und sich weiter für Frieden einzusetzen.
Dieser Text erschien zuerst im Newsletter des Onlinemagazins Transition News am 18. Januar 2025