Der Schweizer Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser füllt inzwischen mit seinen Vorträgen große Hallen wie sonst nur Popstars. Doch was er sagt und schreibt stört anscheinend jene, die er kritisiert. Deshalb wird versucht, seine Veranstaltungen zu verhindern und Ganser in Misskredit in der Öffentlichkeit zu bringen. Dazu und über den Ukraine-Krieg hat „Hintergrund“ mit dem Historiker und Friedensforscher gesprochen.
Hintergrund: Sie haben sich mit den Kriegen des Westens, insbesondere der USA, beschäftigt. Sie setzen sich für Frieden in der Welt ein. Wie beurteilen Sie das, was gegenwärtig in der Ukraine geschieht?
Daniele Ganser: Den Angriff von Russland auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 halte ich für illegal und für einen Verstoß gegen das UN-Gewaltverbot. Der Krieg hat aber nicht damals begonnen, sondern 2014 mit einem illegalen Putsch der USA in Kiew. Jetzt stecken wir in einer sehr gefährlichen Konfrontation. Viele glauben, dass nur die Ukrainer und die Russen am Krieg beteiligt sind. Aber das stimmt nicht. Auch die Briten, Franzosen und die USA sind im Geheimen mit Soldaten in der Ukraine aktiv. Das berichtete der „Guardian“ am 11. April 2023. Rund 50 Soldaten der britischen Spezialeinheit Special Air Service (SAS) sind am Ukrainekrieg beteiligt. Zudem auch jeweils etwas mehr als 10 Spezialkräfte aus den USA und aus Frankreich. Der „Guardian“ stützt sich auf die Pentagon-Leaks. Auch Deutschland ist am Krieg beteiligt, nicht mit deutschen Soldaten direkt in der Ukraine, aber mit der Lieferung von Panzern und anderen Waffen und mit der Ausbildung von ukrainischen Soldaten in Deutschland durch die Bundeswehr und durch US-Soldaten. Zudem ist das United States European Command unter US-General Christopher Cavoli, also das Europäische Kommando der US-Streitkräfte, welches den Krieg der USA in der Ukraine leitet, in Stuttgart. Wir haben also einen Konflikt zwischen den 31 Nato-Staaten, angeführt durch die USA, und Russland. Gefährlich ist der Krieg in der Ukraine daher, weil Atommächte aufeinandertreffen, wie bei der Kubakrise 1962. In diesen Fällen ist es immer wichtig, dass der Konflikt über Gespräche und Kompromisse deeskaliert wird. Bei der Kuba-Krise 1962 ist das zum Glück gelungen. In der Ukraine sehe ich diese Deeskalation im Moment leider nicht.
Hintergrund: Was sind die Ursachen für die Entwicklung hin zu diesem Krieg? Wann begann das?
Ganser: Nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch der Sowjetunion erklärte die Ukraine 1991 ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Die Schwäche von Moskau nutzte Washington, um den US-Einfluss auf Osteuropa auszudehnen und die früher von Moskau kontrollierten ehemaligen Mitgliedsstaaten des Warschauer Paktes in die Nato aufzunehmen.
Obschon die USA gegenüber Russland versprochen hatten, die Nato werde sich nicht ausdehnen, geschah genau dies. Polen, Tschechien und Ungarn wurden im Jahre 1999 Nato-Mitglieder. Und beim Nato-Gipfel in der rumänischen Hauptstadt Bukarest im April 2008 erklärte US-Präsident George Bush, man werde auch Georgien und die Ukraine in die Nato aufnehmen. Das war eine unnötige Provokation und sehr gefährlich, denn die Ukraine grenzt direkt an Russland. Moskau will nicht, dass die USA in der Ukraine Raketen aufstellen. Das erinnert mich sehr an die Kuba-Krise.
Hintergrund: Welcher Rolle spielte der Putsch 2014 in Kiew, welcher zum Ausbruch des Krieges führte?
Ganser: Auf dem Maidan, dem zentralen Platz der ukrainischen Hauptstadt Kiew, demonstrierten Ende 2013 immer mehr Menschen gegen die Regierung von Präsident Viktor Janukowitsch und Premierminister Nikolai Asarow. In dieser angespannten Lage flog der einflussreiche US-amerikanische Senator John McCain in die Ukraine und besuchte am 15. Dezember 2013 das Protestlager auf dem Maidan. Der US-Senator ermunterte die Demonstranten, die ukrainische Regierung zu stürzen. Das war falsch und gefährlich und hat unnötig die Spannungen erhöht.
Die Anführer der Proteste auf dem Maidan gingen in der US-Botschaft ein und aus und holten sich dort ihre Befehle. Einige Demonstranten waren bewaffnet und gingen gewaltsam gegen die Polizei vor. Laut dem früheren Premierminister Asarow, forcierten die USA erkennbar die konfrontative Entwicklung.
Hintergrund: Welche Beweise gibt es für die US-Rolle?
Ganser: In der US-Botschaft in Kiew war es US-Botschafter Geoffrey Pyatt, der die Demonstranten unterstützte und dadurch die Ukraine destabilisierte. Auch der heutige US-Präsident Joe Biden war direkt in den Putsch involviert, da auch er die Demonstration auf dem Maidan unterstütze. Im Dezember 2013 rief Biden, damals Vizepräsident unter Obama, in der Nacht Präsident Janukowitsch an und drohte ihm mit Strafen, wenn er den Maidan durch die Polizei räumen lasse. Janukowitsch hat daraufhin die geplante Räumung zurückgezogen.
Im US-Außenministerium war Victoria Nuland für den Putsch verantwortlich. Sie war unter US-Außenminister John Kerry als Vize-Außenministerin eine hochrangige Mitarbeiterin von Präsident Obama. Im Dezember 2013 erklärte Nuland in einem Vortrag, dass die USA fünf Milliarden Dollar in die Ukraine investiert hatten. Für was genau die USA das viele Geld ausgaben sagte sie nicht.
Der zentrale Beweis für die Beteiligung der USA am Putsch in der Ukraine ist ein abgehörtes Telefongespräch zwischen Nuland und Botschafter Pyatt aus dem Februar 2014, nur wenige Tage vor dem Putsch. Nuland sagt im Telefongespräch, wer in der Ukraine nach dem Putsch die neue Regierung bilden sollte: „Ich denke, Jazenjuk ist der richtige Mann, er hat die notwendige Erfahrung in Wirtschaft und Politik.“ Tatsächlich wurde Arsenij Jazenjuk nach dem Putsch Premierminister in der Ukraine und von Präsident Barack Obama in Washington empfangen. Dies beweist meiner Meinung nach, dass Nuland für die USA den Putsch plante und erfolgreich durchführte. Ban Ki-moon von der UN „könnte helfen, das wasserfest zu machen, und weißt du was, fuck the EU“, sagte Nuland im abgehörten Gespräch wörtlich.
Hintergrund: Ihre Sichten zum Geschehen in der Ukraine, aber auch zu anderen politischen und historischen Ereignissen vorher, haben dazu geführt, dass Sie in der medialen Öffentlichkeit als „Verschwörungstheoretiker“, als „Querdenker“, als „fragwürdiger Experte“ gelten. Ihnen wird von selbsternannten „Faktencheckern“ unter anderem vorgeworfen, falsche Quellen zu benutzen, sich gegen den „wissenschaftlichen Konsens“ zu stellen und „offizielle Untersuchungsergebnisse“ zum Beispiel zu „9/11“ anzuzweifeln. Dazu zuerst die Frage: Checken Sie die Daten und Fakten für Ihre Bücher und Vorträge?
Ganser: Natürlich. Ich prüfe alle Daten sehr genau. Den Putsch der USA in der Ukraine 2014 habe ich in meinem Buch „Illegale Kriege“ geschildert, das 2016 publiziert wurde. In den Fußnoten sind alle Quellen angegeben. Jeder kann das prüfen.
Hintergrund: Die zweite Frage dazu: Wissenschaft lebt von Zweifel und Debatte, von unterschiedlichen Perspektiven. Diese werden nun seit mehreren Jahren als „Querdenkerei“ diffamiert. In Berlin fordern sogenannte Gegendemonstranten „Gerade denken“. Wie ist das zu verstehen? Was geschieht da?
Ganser: Das ist ein Versuch, den Meinungskorridor eng zu halten. Also „Cancel Culture“. Ich glaube einige Gruppen wollen einfach nicht, dass ich öffentlich sage, dass die USA 2014 in der Ukraine die Regierung gestürzt haben, dass es also einen Putsch gab. Ich lasse mich aber nicht einschüchtern und sage es trotzdem. Wer das aber sagt wird hart diffamiert.
Hintergrund: Es trifft nicht nur Sie, sondern auch andere renommierte Politikwissenschaftlerinnen wie Ulrike Guérot und Gabriele Krone-Schmalz. In der Corona-Krise traf es renommierte Wissenschaftler wie Christian Peronne, den Nobelpreisträger Luc Montagnier oder Sucharit Bhakdi. Wo kommt diese neue Wissenschaftsfeindlichkeit her?
Ganser: Ja, es trifft alle, welche der Regierung widersprechen. Also jene, welche sagen: Wir sollten keine Panzer liefern! Wir brauchen Friedensgespräche. Das sage ja auch Ulrike Guérot und Gabriele Krone-Schmalz, Wolfgang Bittner und Sarah Wagenknecht und viele mehr. Aber wir werden alle diffamiert. Während Corona in den Jahren 2020 und 2021 war es ähnlich. Wer sich gegen die Regierung stellte und wie Sucharit Bhakdi sagte, diese Impfung kann zu Impfschäden führen, wurde umgehend diffamiert. Das ist tragisch, weil so ein Gespräch auf der Sachebene kaum möglich ist.
Hintergrund: Wie wehren Sie sich? Gibt es Solidarität unter den Wissenschaftlern gegen diese wissenschaftsfremden und -feindlichen Kampagnen? Sie sind auch international gut vernetzt. Wie ist die Reaktion im nichtdeutschsprachigen Raum auf die Angriffe gegen Ihre Person?
Ganser: Ich wehre mich nicht. Ich mache einfach weiter meine Arbeit und halte weiter meine öffentlichen Vorträge für jene Menschen die sich dafür interessieren. Ich lasse mich nicht einschüchtern. Ich orientiere mich an den Werten Mut, Liebe und Wahrheit. Das sind meine Leuchtsterne. Ich bin nicht Mitglied einer Partei oder Kirche. Ich bin unabhängig. Und ja, unter den Wissenschaftlern gibt es auch einen Austausch. Ulrike Guérot und Sucharit Bhakdi habe ich beide schon getroffen.
Hintergrund: Das enorme Interesse an Ihren Vorträgen deutet ja auf ein enormes Defizit vieler Menschen hin, die sich offenkundig von den etablierten Medien und Informationsquellen nicht angemessen oder vertrauenswürdig informiert fühlen. Welche Erklärung haben Sie dafür?
Ganser: Das Interesse an meinen Vorträgen ist derzeit wirklich groß. In Rostock hatten wir 2900 Plätze, der Vortrag war ausverkauft. In Hannover hatten wir 2800 Plätze, auch dieser Vortrag war ausverkauft. In Dortmund hatten wir 2000 Plätze, auch dort ausverkauft. In München haben wir 2000 Plätze, auch dieser Vortrag ist ausverkauft. Ich denke viele Menschen sehen, dass die Leitmedien wie ARD, ZDF und FAZ immer für Waffenlieferungen schreiben und ihnen nicht die ganze Geschichte zur Ukraine erzählen, sondern nur einen Teil. Der Putsch der USA 2014 wird fast immer verschwiegen. Auch über die Sprengung von Nord Stream fühlen sich die Menschen nicht ehrlich informiert. Grundsätzlich kann man sagen, dass es in Deutschland schwierig ist, die Außenpolitik der USA zu kritisieren. Wer es trotzdem tut wird von den Leitmedien diffamiert.
Hintergrund: Zugleich wird wiederholt versucht, Ihre Vorträge zu verbieten oder unmöglich zu machen, indem Kommunalpolitiker untersagen, dass Sie in kommunalen Einrichtungen auftreten können. Sind Sie gefährlich? Wo kommt diese Angst vor Ihnen und Ihren Worten her?
Ganser: In Dortmund hat Bürgermeister Westphal tatsächlich versucht, meinen Vortrag in der Westfalenhalle zu verhindern. Das hat mich auch erstaunt. Vor was genau er Angst hat, weiß ich nicht. Und in Nürnberg hat Bürgermeister König das gleiche versucht. Beide haben Druck auf die jeweilige Halle ausgeübt. Und die hat dann den Vertrag mit dem Veranstalter meiner Vorträge gekündigt. Das ist schon erstaunlich. Mein Veranstalter hat daraufhin den Vertragsbruch dem Verwaltungsgericht vorgelegt. Und dieses hat klar und deutlich erklärt, dass Bürgermeister Westphal das nicht darf. Daraufhin konnte ich meinen Vortrag in der Dortmunder Westfalenhalle am 27. März 2023 halten. Auch der Bürgermeister in Nürnberg hat die Kündigung zurückgezogen, nachdem er gesehen hatte, dass er damit vor Gericht nicht durchkommt. Unter dem Strich konnte ich also alle Vorträge halten. Aber es gibt immer wieder Gegenwind.
Hintergrund: Zurück zum Krieg in und um die Ukraine: Wenn Sie eine Prognose wagen würden, wird der Ukraine-Krieg zum Menetekel des transatlantischen Westens oder der Achse Moskau/Peking?
Ganser: Prognosen über die Zukunft mache ich grundsätzlich keine. Ich weiß also nicht, ob Moskau oder Washington gewinnt. Aber man sieht schon jetzt, wenn man auf das Jahr 2022 zurückblickt, dass die Brics-Staaten Brasilien, Russland, Indien China und Südafrika näher zusammengerückt sind. Das ist natürlich nicht im Sinne der USA, welche ihre globale Vormachtstellung und die Dominanz des Dollars nicht aufgeben wollen. Aber die Welt wandelt sich gerade zu einer multipolaren Welt mit mehreren Machtpolen. Das ist schon jetzt der Fall und daher auch keine Prognose, sondern eine Beobachtung.
Hintergrund: Der transatlantische Westen befindet sich mit seiner Darstellung und Vorgehensweise im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg offenbar in einer Glaubwürdigkeitskrise. Entsprechend gereizt und restriktiv reagieren die betreffenden Regierungen und ihre multimedialen Lautsprecher. Befinden sich die westlichen Staaten auf einem Weg zu einer Gesellschaft, in der Meinungsfreiheit nur noch auf dem Papier besteht?
Ganser: Ich hoffe nicht. Bis jetzt kann ich ja meine Vorträge noch halten. Die Meinungsfreiheit besteht also noch. Aber die Lage ist angespannt. Der transatlantische Westen besteht ja im Kern aus den 31 Nato-Staaten, zu denen auch Deutschland gehört. Es ist aber wichtig zu bedenken, dass es auf der Welt 193 Staaten gibt. Dies bedeutet, 162 Staaten sind nicht in der Nato. Die sehen den Krieg in der Ukraine oft ganz anders als die Nato-Staaten. Iran oder Indonesien oder Nigeria oder Ecuador oder Pakistan, all diese Länder schauen mit einem ganz anderen Blick auf diesen Krieg. Sie liefern keine Waffen. Und beteiligen sich nicht am Wirtschaftskrieg gegen Russland. Gerade Länder wie Afghanistan, Syrien, Irak und Libyen glauben den USA und den Nato-Staaten kein Wort, wenn diese sagen, dass sie grundsätzlich gegen Angriffskriege sind, weil diese Länder von den USA und anderen Nato-Staaten bombardiert wurden und dies nicht vergessen haben.
Hintergrund: Derzeit wird das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland anscheinend irreparabel zerstört. Alles, was früher als friedensnotwendige Entspannungspolitik und Abrüstung geschah, die friedliche Koexistenz, wird auf den Müllhaufen der Geschichte entsorgt. Doch der Krieg in und um die Ukraine wird enden und Russland wird nicht verschwinden. Wie kann dann wieder Verständigung möglich sein?
Ganser: Man wünscht sich einen Helmuth Schmidt oder einen Willy Brandt zurück. Diese Männer haben verstanden, dass Russland bis zum Ural ein europäisches Land ist. Moskau liegt in Europa, genau wie Paris und Rom. Frieden in Europa kann es nur mit und nicht gegen Russland geben. Wir gehören alle zur Menschheitsfamilie. Es gibt wunderbare Menschen in der Ukraine. Und wunderbare Menschen in Russland. Ebenso in China, Irak und Syrien. Wir sollten aufhören, uns entlang von nationalen Grenzen spalten zu lassen. Und wir müssen verstehen, dass wir die größten Konflikte im 21. Jahrhundert nicht mit Gewalt lösen können.
Das Interview mit Daniele Ganser wurde im April 2023 geführt und erschien in Ausgabe 7/8-2023 des gedruckten Magazins „Hintergrund“.