Zigtausende für Frieden in der Ukraine und gegen Waffenlieferungen

Mit einer Kundgebung in Berlin setzten die Initiatoren und Unterzeichner des „Manifestes für Frieden“ um Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer am 25. Februar ein Zeichen gegen die Eskalation des Krieges in der Ukraine. Doch nicht alles, was von der Bühne kam, blieb ohne Widerspruch. Und manches ignorierte die längst existierende Friedensbewegung.

Am 25. Februar in Berlin.

„Einige wenige gerechte Männer auf der anderen Seite treten in Wort und Schrift mit vernünftigen Argumenten gegen den Krieg auf, und anfangs hört man sie an und spendet ihnen Beifall; aber das hält nicht lange an; jene anderen überschreien sie, und bald schmelzen die Massen der Kriegsgegner zusammen und werden unbeliebt.“ 

Das schrieb der Schriftsteller Mark Twain bereits vor mehr als hundert Jahren in der Erzählung „Der geheimnisvolle Fremde“. Es beschreibt, was derzeit die Initiatoren des „Manifestes für Frieden“ und der dazugehörigen Petition um die Linkspartei-Politikerin Sahra Wagenknecht, die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer und den Ex-Bundeswehr-General Erich Vad erleben, seit sie damit an die Öffentlichkeit gingen. Immerhin wurde ihr Manifest bereits von mehr als 650.000 Menschen unterschrieben.

Wagenknecht, Schwarzer und ihre Mitinitiatoren hatten für den 25. Februar zu einem „Aufstand für Frieden“ am Brandenburger Tor in Berlin aufgerufen. Laut Organisatoren folgten dem 50.000 – doch ein Aufstand wurde es an diesem Samstagnachmittag nicht, aber ein deutliches Bekenntnis vieler für ein Ende des Krieges in der Ukraine und gegen Waffenlieferungen auch aus Deutschland.

Erwartungsgemäß rechnete die Berliner Polizei die Teilnehmerzahl auf etwa 13.000 runter, was fast alle etablierten Medien ungeprüft so weitergaben. Das mag auch politischer Auftrag gewesen sein, was sich aus den Auflagen schließen lässt, die die Polizei der Kundgebung verordnete. Diese waren eindeutig politisch vorgegeben und reichten vom Verbot des Zeigens sowjetischer und russischer Fahnen über das verbotene Tragen von Uniformen und ähnlichen Kleidungsstücken bis zum Verbot des Singens und Abspielens des sowjetischen Liedes „Der heilige Krieg“ in verschiedenen Varianten. Als einer der Organisatoren die lange Verbotsliste vorlas, wurde es den Teilnehmern irgendwann zu bunt und sie reagierten mit Pfiffen sowie dem anschwellenden massenhaften Ruf „Frieden schaffen ohne Waffen!“.

Kritik an Einseitigkeit

Zwischenrufe gab es auch immer wieder, wenn von der Bühne sehr einseitige pro-ukrainische Aussagen kamen, so von der Schauspielerin Corinna Kirchhoff oder von Frauenrechtlerin Schwarzer. Kirchhoff hatte das „Manifest für Frieden“ noch einmal vorgelesen, das mit einseitigen Passagen deutliche Kritik hervorgerufen hatte. Dabei ging es um Formulierungen wie „Frauen wurden vergewaltigt, Kinder verängstigt, ein ganzes Volk traumatisiert.“ oder „Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität.“ Demoteilnehmer erinnerten per Zuruf daran, dass die Menschen im Donbass seit 2014 unter dem von Kiew geführten Krieg leiden.

Ein vor allem an Fakten, Zusammenhängen sowie der Vorgeschichte des aktuellen Kriegsgeschehens orientierter Beitrag kam per Video von dem US-Ökonomen Jeffrey Sachs. Der ehemalige Berater von Regierungen und der Uno stellte im Gegensatz zum Manifest und dessen Initiatoren klar: „Wir befinden uns nicht am ersten Jahrestag des Krieges, sondern am neunten Jahrestag. Der Krieg begann mit dem gewaltsamen Sturz des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch – einem Putsch, der von der Regierung der USA unterstützt wurde.“

Für Sachs zählt zu den Ursachen die seit 2008 von den USA vorangetriebene Nato-Erweiterung bis zur Ukraine und nach Georgien. Er erinnerte daran, dass der Krieg seit 2014 immer weiter eskalierte und die Friedensabkommen Minsk I und II von Kiew nicht umgesetzt wurden – auch „weil Deutschland und Frankreich nicht auf die Umsetzung drängten.“ Ende 2021 habe Russlands Präsident Wladimir Putin rote Linien deutlich gemacht, die aber vom Westen ignoriert worden seien.

Der Ökonom, für den die USA für den Anschlag auf die Nord Stream-Pipelines verantwortlich sind warnte in seinem Video-Beitrag, dass sich alle „auf einem Weg der extremen Eskalation und der Lügen oder des Schweigens in den Medien“ befinden. Die gesamte Erzählung, wonach dies der erste Jahrestag des Krieges sei, sei bereits falsch. Und er forderte: „Dieser Krieg muss aufhören, bevor er uns alle in ein nukleares Armageddon führt.“ Dazu müssten beide Seiten zurückweichen und zugleich die roten Linien beider Seiten beachtet werden, „damit die Welt überlebt“.

Warnung vor Atomkrieg

Der Politologe und Pädagoge Hans-Peter Waldrich erinnerte auf der Kundgebung an die Vision von Michail Gorbatschow vom „gemeinsamen Haus Europa“. In dieses Haus sei „eingebrochen“ worden und an den Fronten massakriere sich die ukrainische und russische Jugend. Der Politologe, der nicht auf den seit 2014 währenden Krieg im Donbass einging, warnte: „Das Haus, in dem eingebrochen wurde, ist vollgestopft mit Atomwaffen.“ Das „Haus Europa“ gleiche eher einem Pulverfass.

Die „Story von der atomaren Abschreckung“ bezeichnete er als Ammenmärchen, das nur jene beruhige, die wenig vom Thema verstehen. Waldrich verwies darauf, dass er schon in der Friedensbewegung in den 1980er Jahren aktiv war, die damals Millionen Menschen weltweit auf die Straßen und Plätze brachte. Damals sei ein Ende des „Lebens am Rande des atomaren Todes“ gefordert worden.

Doch das Wissen um die Gefahren durch die Atomwaffen sei anscheinend verloren gegangen. Die heutigen Politiker kämen ihm wie „Traumtänzer“ vor, „die mit verbundenen Augen auf einem Vulkan tanzen“, so der Politologe. Er warnte vor den Folgen einer möglichen Eskalation des Geschehens in der Ukraine, da niemand wisse, „wo die rote Linie ist“ – auch wenn Russlands Führung diese aus ihrer Sicht längst benannte.

Buh-Rufe für Baerbock

Zu den verantwortungslosen Politikern zählte Waldrich wie die anderen Redner die bundedeutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die unlängst vor lauter Freude in einem finnischen Atomschutzbunker ins Hüpfen geriet. Immer wenn ihr Name auf der Bühne genannt wurde, gab es ein Pfeif- und Johl-Konzert von den zigtausenden Teilnehmern und den Ruf „Baerbock muss weg!“ Ein anderer wiederholter Ruf war „Ami go home!“

Zehntausende kamen trotz Kälte und Schneefall, aus vielen Orten und vielen Ländern

Doch die Forderung nach einem Rücktritt der Regierenden kam nicht von der Bühne, auch nicht von Linkspartei-Politikerin Wagenknecht in ihrer etwas zu langen Rede. Sie stellte zwar klar, dass die Bundesregierung unter Olaf Scholz (SPD) „nicht auf der richtigen Seite der Geschichte“ stehe, wenn sie mit ihrer Kriegspolitik die Gefahr eines nuklearen Infernos in Kauf nehme. „Wer nicht alles in seiner Macht Stehende tut, um die Gefahr einer solchen Eskalation zu bannen, der kämpft auch nicht für das Gute, sondern der ist verantwortungslos.“

Wagenknecht sagte zwar: „Wir sind auch deshalb hier, weil wir uns von der deutschen Regierung nicht vertreten fühlen.“ Das belegte sie mit mehreren Beispielen wie den Auftritten Baerbocks, die „wie ein Elefant im Porzellanladen über das internationale Parkett trampelt“. Doch eine klare Aufforderung an die Außenministerin ebenso wie an andere kriegstreibende Politiker bis hin zu Kanzler Scholz, wegen des angerichteten Schadens auch für die eigene Bevölkerung zurückzutreten, war nicht zu hören.

Übersehene Friedensbewegung

Die linke Politikerin ging ebenso wie Mitinitiatorin Schwarzer auf die Hetzangriffe und Vorwürfe gegen sie und die anderen am Manifest Beteiligten ein. Sie nannte die Vorwürfe, sich nicht genügend von rechten Kräften zu distanzieren oder gar von Putin bezahlt zu werden, absurd. „Das hysterische Gebrüll in Teilen der Politik und der Medien zeigt natürlich auch: Sie haben wirklich Angst vor uns. Sie haben Angst vor einer neuen Friedensbewegung. Ich finde, dafür haben sie auch Grund.“

Wagenknecht freute sich bei der Kundgebung in Berlin zwar über die Vielen, die trotz Käte und Schneefalls zum Brandenburger Tor gekommen waren. Sie sagte: „Wir stehen heute auf für Frieden und gegen den Krieg und wir werden nicht mehr verschwinden. Lasst uns heute den Startschuss für eine neue starke Friedensbewegung in Deutschland geben!“ Doch sie ging mit keinem Wort auf die vielen kleinen und größeren Initiativen und Gruppen ein, die sich bereits seit Monaten mit Kundgebungen und Veranstaltungen im ganzen Land für Frieden und gegen die Eskalation des Krieges einsetzen.

Ein Beispiel gab am Vortag die Friedenskoordination (Friko) Berlin, die am selben Ort unter dem Motto „Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg“ mit wenigen hundert Menschen demonstriert hatte. Von der Bühne kamen tags darauf keine konkreten Vorschläge, wie die von Wagenknecht und Schwarzer beschworene „neue Friedensbewegung“ oder Bürgerbewegung denn aussehen könnte. Ebenso wenig wurden weitere konkrete Aktivitäten in den nächsten Wochen und Monaten angekündigt, um einen Kurswechsel zumindest in der deutschen Politik zu erzwingen.

Ex-General für Frieden mit Russland

Zuvor hatte Ex-Bundeswehrgeneral Vad es als wichtig bezeichnet, dass so viele Menschen demonstrieren „für ein Ende des fürchterlichen Krieges in der Ukraine, für ein Ende der Kriegsrhetorik in Deutschland, für einen Ausstieg aus der Gewaltspirale und der militärischen Eskalation, für eine politische Lösung des militärisch festgefahrenen Krieges, für den baldigen Beginn von Verhandlungen“.

Wie notwendig diese Forderungen sind beschrieb der Ex-Militär und frühere Berate von Alt-Kanzlerin Angela Merkel anhand der Lage in der Ukraine. Dort gebe es inzwischen einen Abnutzungskrieg, den er mit der Schlacht von Verdun 1916 verglich. Es gebe bei allen Meinungsunterscheiden das „gemeinsame Ziel, den Frieden in der Ukraine baldmöglichst wieder herzustellen“. Es sei naiv zu glauben, dass Russland militärisch ohne Nuklearkrieg zu besiegen sei, warnte der General a.D. Ebenso naiv sei es, zu glauben, dass nur mit Waffenlieferungen der Frieden erreichbar wäre. Vad kritisierte deutliche die entsprechende westliche Politik, die nur den Krieg ausweite. Es sei „Militarismus pur“, wenn militärische Hilfeleistungen nicht an realistische politische Ziele gekoppelt werden. „Wem nutzt es?“ fragten dazu einige Teilnehmer.

Es werde auch in Zukunft keine tragfähige europäische Friedensordnung ohne Russland geben, stellte Vad klar – „weil Russland nicht von der Landkarte verschwinden kann“. Doch selbst das Ziel, Russland zu zerstören, scheinen einige Kräften vor allen in den USA aktiv anzusteuern. Aber auch dazu gab es keinen Kommentar von der Bühne. Der Ex-General forderte mehr Diplomatie und Interessenausgleich statt Kriegsrhetorik und Haltungsdiplomatie, um den Weltfrieden zu sichern. Verhandlungen seien der einzige Weg, um zu einer Lösung zu kommen.

Beleidigungen für Kriegsgegner

Laut Vad ist die Mehrheit der Deutschen gegen weitere Waffenlieferungen und für Verhandlungen. Die etwas 50.000 Teilnehmer waren und sind es auf jeden Fall. Als sie sich nach der Kundgebung unter anderem auf der Straße Unter den Linden auf den Heimweg machten, kamen sie an einer pro-ukrainischen Kundgebung vor der Russischen Botschaft vorbei.

Pro-ukrainische Einladung zum Gespräch

Die pro-ukrainischen Demonstranten neben dem als „Kunstaktion“ abgestellten Panzerwrack, meist um die 30, luden laut eines ihrer Schilder auch zum Gespräch darüber ein, „wie wir für Frieden kämpfen“. Nirgendwo war aber zu lesen, was diese Aktivisten für ein Ende des Kiewer Krieges gegen den Donbass seit 2014 taten. Dafür wurden die nach Hause gehenden Kundgebungsteilnehmer beschimpft und beleidigt. Einer der Aktivisten rief ihnen zu „Schämt Euch!“, weil sie angeblich Putin-Unterstützer seien. Ähnliches war vereinzelt schon bei der Kundgebung am Brandenburger Tor auf Schildern zu lesen, die neben den vielen Friedensfahnen hochgehalten wurden.

Twain schrieb einst über die Folgen der Kriegshetze:

„Nicht lange, und du siehst folgendes sonderbare Bild: Die Redner werden mit Steinwürfen von der Tribüne gejagt, und die freie Rede wird von Horden wütender Leute abgewürgt, die im tiefsten Herzen – wie bisher – mit diesen gesteinigten Rednern noch immer einer Meinung sind, es aber nicht auszusprechen wagen. Und jetzt nimmt die ganze Nation – die Kanzel wie alle anderen – den Ruf nach Krieg auf und brüllt sich heiser und schlägt jeden ehrlichen Mann zusammen, der den Mund aufzumachen wagt; und bald tut sich kein solcher Mund mehr auf.“

Der Samstag in Berlin war ein Zeichen, dass das verhindert werden kann. Doch gelingen kann das nur, wenn „neue“ und bisherige Friedensbewegung, die verschiedenen Gruppen und Initiativen für das gemeinsame Ziel endlich zusammenkommen, anstatt sich selbst auseinander zu dividieren und sich spalten zu lassen. Letzteres schien das einzige Anliegen der Berichte der etablierten Medien über die Kundgebung am Brandenburger Tor zu sein.

Bei Twain endet das so:

„Als nächstes denken sich die Staatsmänner billige Lügen aus, mit denen sie die Schuld dem angegriffenen Volk zuschieben, und jedermann ist froh über diese Verdrehungen, die das Gewissen beschwichtigen, und studiert sie fleißig und weigert sich, auch nur zu prüfen, was sie widerlegen könnte; und so redet man sich nach und nach selber ein, der Krieg sei gerecht, und dankt Gott für den ruhigeren Schlaf, dessen man sich nach diesem Vorgang grotesker Selbsttäuschung erfreut.“