Für Deutschland ist Osteuropa wichtiger als Russland – SPD-Veteran

Das Verhältnis der EU zu Russland muss besser werden, aber nicht um jeden Preis, meint der Ex-SPD-Außenpolitiker Karsten D. Voigt. Bei einer Veranstaltung in Potsdam hat er am Montag seine Sicht dazu dargestellt. Sputnik hat danach bei Voigt, der Koordinator der Bundesregierung für deutsch-amerikanische Zusammenarbeit war, nachgefragt.

Karsten D. Voigt am 11. Februar 2019 in Potsdam

Herr Voigt, wie schätzen Sie das gegenwärtige Verhältnis zwischen der Europäischen Union und Russland ein? Was sind die Ursachen für den Zustand des Verhältnisses?

Es ist verbesserungsfähig und verbesserungsbedürftig. Das liegt einfach daran, dass wir in unseren Auffassungen unterschiedliche Meinungen haben, dass wir zum Teil auch Interessensunterschiede haben. Und dass unser Verhältnis durch eine Reihe von Konflikten belastet wird, wie den Ukraine-Konflikt, den Krim-Konflikt, die wir nicht so schnell lösen werden. Meine Antwort darauf ist: Jetzt muss man nüchtern sehen und zur Kenntnis nehmen, dass aufgrund dieser Konflikte der ganz große Wurf über eine Zusammenarbeit auf allen Ebenen wahrscheinlich nicht gelingen wird. Deshalb muss man Projekte der Zusammenarbeit entwickeln, die realistisch sind und die dann auch wahrscheinlich begrenzt sein werden.

Sie waren ja auch Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung. Wie schätzen Sie den Einfluss der USA auf dieses Verhältnis EU zu Russland ein?

Es hat immer diesen Einfluss der Amerikaner gegeben. Es hat aber auch einen Einfluss der Deutschen auf die amerikanische Russland-Politik gegeben, den man häufig übersieht. Es hat ja auch während der Ost-Politik nicht nur den Einfluss der Amerikaner auf uns gegeben, sondern auch einen Einfluss der deutschen Ost-Politik mit Willy Brandt auf die Amerikaner.

Natürlich sind die Amerikaner wichtiger als die Deutschen. Aber die Deutschen versuchen, ihre Haltung in der EU mehrheitsfähig zu machen. Das ist nur möglich, wenn man Kompromisse eingeht mit anderen Mitgliedsstaaten in der EU, und um dadurch auch in bestimmten Fragen gegen eine Trump-Position gegenhalten zu können. Das ist zum Beispiel bei der Iran-Politik der Fall. Das könnte wieder ein Thema werden, wenn sich herausstellen sollte, dass die Amerikaner exterritoriale Sanktionen verhängen, die sich formal gegen Russland auswirken, aber in Wirklichkeit auch europäische Partner treffen.
Wir sind abhängiger von den USA als die von uns. Aber es ist keineswegs so, dass das rein einseitig ist. Dort gibt es wechselseitige Einflüsse, sowohl in den Konzeptionen wie auch in den Entscheidungen.

Es gibt in der Debatte immer wieder Zitate aus US-Strategiepapieren, wo es heißt, dass eine Zusammenarbeit von Europa mit Russland die Position der USA gefährden würde und deshalb verhindert werden müsse. Ist das korrekt so?

Solche Papiere gibt es, aber das stellt nicht die Mehrheit der Meinung der Amerikaner dar. Die Amerikaner haben immer eine Position vertreten, dass die Gegenküste, also in diesem Fall Europa – in Asien entsprechend –, nicht von ihnen feindlich gesonnenen Staaten geprägt werden soll.

Aber in Wirklichkeit haben die Amerikaner, also die gegenwärtige Regierung, ein außerordentlich geringes Interesse an Russland, muss man sagen. Wir haben ja ein viel größeres Interesse an Russland als die Amerikaner. Für die Amerikaner ist die wichtigste Herausforderung China. Und bei dieser Herausforderung China spielen wir ökonomisch eine gewisse Rolle, aber ich glaube, sicherheitspolitisch nicht.

Was könnten die Europäische Union und Russland, also beide Seiten, für ein besseres Verhältnis konkret tun? Es gibt ja auch diesen Streitfall Nord Stream 2. Was könnten die von Ihnen erwähnten einzelnen Schritte konkret sein?

Ich habe mal an einer zweijährigen Diskussion von europäischen mit russischen Think-Tanks teilgenommen. Am Schluss habe ich gefragt, ob ich mich nicht daraus zurückziehen sollte. Da haben die Osteuropäer gesagt: Herr Voigt, tun Sie das nicht, denn wenn Sie als Deutscher nicht dabei sind, nehmen die Russen uns nicht ernst. Und die Russen haben gesagt: Wenn Sie als Deutscher nicht dabei sind, beschimpfen sie uns von morgens bis abends. Wir haben also eine gewisse Funktion, verankert in der Europäischen Union, verankert in der Nato, trotzdem zu versuchen, wo es möglich ist Brücken zu Russland zu schlagen, und gleichzeitig die Russen argumentativ zu überzeugen, dass mancher ihrer politischen Schritte die Europäer in eine gegnerische Haltung drängt, wie zum Beispiel die Ukraine-Politik. Die wäre vermeidbar gewesen und wo man sehen muss, ob man nicht doch noch irgendwann Lösungen oder zumindest Verringerungen der Probleme schafft.

Nochmal gefragt: Wo gibt es die konkreten Hoffnungszeichen? Sie verweisen auch auf die Ost-Politik der SPD im Kalten Krieg. da wurden bestimmte Dinge akzeptiert und dann über das geredet, was sich gestalten lässt. Warum gibt es das heute nicht?

Was es gibt, soll man nicht unterschätzen. Das ist, dass deutsche Politiker einen intensiveren Dialog mit russischen Partnern pflegen als andere europäische Partner das tun. Das führt dazu – nicht dass wir unsere Probleme lösen –, dass wir zumindest verstehen, warum wir so sind wie wir sind. Das ist nicht zu unterschätzen, das ist nicht selbstverständlich. Ich glaube, dass auf dieser Grundlage eine Reihe von Teillösungen gefunden werden können, zum Beispiel auch bei Nord Stream 2. Ich hoffe und nehme auch an, dass diese Pipeline zu Ende gebracht wird, Das bedeutet aber gleichzeitig, dass Deutschland, dann wieder, wenn diese Pipeline läuft, drauf achten muss, dass andere Europäer sich in ihren Sicherheitsinteressen dadurch nicht gefährdet fühlen.

Deutschland verweist im Verhältnis zu Russland immer auf die Interessen Osteuropas. Ist das ein Vorwand, um bestimmte Schritte nicht gehen zu können? Oder wie ist das zu werten?

Das ist überhaupt kein Vorwand. Man muss einfach sehen, dass wir heute mehr Handel mit Polen haben als mit Russland, und dass wir mit den Visegrád-Staaten (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn – Anm. d. Red.) zusammengenommen mehr Handel als mit Frankreich haben. Und es ist das erste Mal in der deutschen Geschichte seit mehreren hundert Jahren, dass wir mit den Ländern im Osten und im Westen in einem partnerschaftlichen oder freundschaftlichen Verhältnis sind, zum Teil in den gleichen Bündnissen oder Organisationen. Das ist für Deutschland eine geostrategisch günstige Lage. Wir wären vom Klammerbeutel gepudert, wenn wir die gefährden würden.

Herzlichen Dank!

Karsten D. Voigt war von 1976 bis 1998 Mitglied des Bundestags, seit 1983 als außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Von 1999 bis 2010 war er Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Voigt ist Mitglied des Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.