„Russisches Engagement für eine Konfliktlösung in Syrien ist beispielhaft“

Der russische Militäreinsatz seit zwei Jahren und die damit verbundenen russischen diplomatischen Initiativen haben den Weg zum Frieden in Syrien ermöglicht. Das schätzt Karin Leukefeld in einem Exklusiv-Interview mit Sputnik ein. Die Journalistin ist derzeit in Damaskus. Sie warnt: Die USA benutzen die Islamisten, um den Konflikt fortzusetzen.

Frau Leukefeld, Sie sind derzeit wieder in Syrien. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage in dem Land ein?

Im Vergleich zum letzten April und im August ist es sehr viel ruhiger geworden. Die militärischen Frontlinien sind überschaubarer. Wir haben eine Front im Osten bei Deir ez-Zor, eine Front im Westen bei Idlib. Hier östlich von Damaskus wird noch gekämpft. Die Situation auf dem Golan ist noch nicht sicher. Aber insgesamt ist die Lage sehr viel ruhiger. Das ist sicherlich durch die Einrichtung von Deeskalationsgebieten machbar geworden. Es gibt mehr als 2.000 lokale Waffenstillstände. Zehntausende syrische Kämpfer wurden amnestiert und haben ihre Waffen niedergelegt. Der Wiederaufbau hat begonnen. Inlandsvertriebene kehren zurück. Die Menschen schöpfen Hoffnung. Aber natürlich sind die Probleme immer noch unglaublich groß. Der Staat ist hoch verschuldet. Die Sanktionen der Europäischen Union haben schwere wirtschaftliche Konsequenzen. Weite Teile der Mittelschicht und der gut ausgebildeten Jugend haben das Land verlassen. Diese Menschen würden natürlich dringend jetzt auch für den Wiederaufbau gebraucht.

Seit zwei Jahren ist Russland militärisch aktiv in Syrien in diesem Konflikt. Wie sind die Ergebnisse dieser militärischen Intervention einzuschätzen, soweit das vor Ort möglich ist?

Russland hat vor allem mit der Luftwaffe eingegriffen. Das hat die syrische Armee enorm gestärkt und unterstützt. Russische Militärberater waren mit an und hinter der Front und haben sehr viel zum strategischen Erfolg beigetragen. Die Verluste sind sehr hoch bei der syrischen Armee. Auch die russische Armee hat Angehörige verloren.
Hervorzuheben ist der Einsatz des russischen Versöhnungszentrums in Hmeimim bei Latakia und der Einsatz von russischer Militärpolizei, die vor Ort war, wenn es galt, kritische Vereinbarungen umzusetzen, zum Beispiel den Abzug von Kämpfern.
Der Einsatz Russlands hat insgesamt den syrischen Staat gestärkt. Es hat unermüdlich Vermittlungsgebote gemacht und das Land auch stabilisiert. Im Norden, bei Afrin und bei Manbidsch, hat die russische Armee durch ihre Präsenz dazu beigetragen, dass eine neue Front zwischen den kurdischen Kräften und der Türkei vermieden werden konnte.
Parallel zu dem militärischen Einsatz war die russische Diplomatie aktiv. Wichtig war sie vor allem im UN-Sicherheitsrat, wo immer wieder das Völkerrecht in den Vordergrund gerückt wurde. Durch russische Initiativen ist regional wieder das Gespräch in Gang gekommen. Regionale Kontrahenten, der Iran und die Türkei, sind wieder miteinander im Gespräch. Es gibt wieder Kontakte zu den Golfstaaten, zu Ägypten sowieso. Jordanien hat jetzt laut darüber nachgedacht, die Grenze wieder zu öffnen. Das sind alle sehr positive Zeichen. Ohne den diplomatischen Einsatz Russlands wäre es sicherlich nicht dazu gekommen.
Last but not least muss man sagen, das russische Engagement mit allen oppositionellen Gruppen sowohl im Genfer Prozess als auch in Astana ist wirklich beispielhaft. Sie haben nicht nur mit ausgewählten oppositionellen Gruppen gesprochen, sondern wirklich mit allen.

Selbst der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat hat Anfang 2016 gesagt, durch den russischen Militäreinsatz wurde endlich der Friedensprozess in Gang gesetzt. Was Sie sagen, klingt wie eine Bestätigung dafür …

Ich kann das nur unterstreichen. 2016 begann ja die Arbeit dieses russischen Versöhnungszentrums. Sie waren sehr aktiv. Dutzende von lokalen Waffenstillständen wurden pro Tag geschlossen. Sie haben da, wo die Leute seit Jahren nicht miteinander nicht gesprochen haben, einen Gesprächsfaden wiederherstellen können. Es ist insgesamt wirklich friedlicher geworden. Aber natürlich ist Frieden mehr als die Abwesenheit von Krieg. Selbst wenn die Waffen schweigen, wird es noch dauern, Frieden herzustellen. Dafür braucht man nicht nur eine Entwicklung in Syrien, sondern eine Entwicklung auch mit den Nachbarstaaten und international.

Wie ist aus Ihrer Sicht einzuschätzen, was die US-geführte internationale Koalition in Syrien, auch im Irak, anstellt? Deren Aktivitäten beruhen im Unterschied zu dem russischen Militäreinsatz nicht auf einer völkerrechtlichen Grundlage.

Der Einsatz im Irak beruht sozusagen auf der Einladung der irakischen Regierung. Was dieses Bündnis hier in Syrien veranstaltet, ist praktisch eine Selbstermächtigung der USA und dieses sogenannten Anti-IS-Bündnisses. Deren Einsatz vor allem mit Luftangriffen hat sehr große Schäden bewirkt. Die Gas- und Ölförderanlagen im Osten des Landes sind dadurch weitgehend zerstört worden. Brücken wurden gezielt von der US-Luftwaffe zerstört. In Deir ez-Zor kann man das aktuell beobachten. Der Einsatz hat auch zur Spaltung des Landes beigetragen. Damit meine ich die Parteinahme und die Bewaffnung von bestimmten Kräften der syrischen Opposition. Hätten die USA und ihre Verbündeten sich an das Völkerrecht gehalten und mit Syrien, also mit der syrischen Armee und der syrischen Regierung, den sogenannten Islamischen Staat bekämpft, dann wäre der Spuk wahrscheinlich längst vorbei.

Sie sind eine der wenigen westlichen Journalisten, die von Beginn dieses Konfliktes an vor Ort waren und berichten. Wie schätzen Sie die Medienberichterstattung im Westen über Syrien ein? Das scheint ja es relativ ruhig zu sein, nachdem es großes Theater um Ost-Aleppo gab, wo Russland und der syrischen Regierung Massaker und Ähnliches vorgeworfen wurden.

Mit der Befreiung von Ost-Aleppo hat die syrische Regierung ihre Autorität wiederhergestellt. Das wäre nicht gelungen, wenn die Bevölkerung in Ost-Aleppo das nicht unterstützt hätte. Es gab viele Widersprüche zwischen der syrischen Bevölkerung und den bewaffneten Gruppen, aber auch unter den bewaffneten Gruppen wie den Islamisten, die dort die Kontrolle ausgeübt haben. All das wollte man anscheinend in vielen westlichen Medien gar nicht sichtbar werden lassen, weil diese bewaffneten Gruppierungen enorm von der Türkei, auch von europäischen Staaten, unterstützt wurden.
Man hat dort Unmengen von Waffen gefunden, richtige Waffenlager, wo man sich natürlich fragt, wie sind die da eigentlich hingekommen – natürlich über die Türkei. Man hätte sehr viele Fragen beantworten müssen, wenn man ausführlicher darüber berichtet hätte.
Von Regierungen, auch der deutschen, wird immer noch gesagt, dass die syrische Regierung illegitim sei, Präsident Assad hätte keine Zukunft in diesem Land, und man werde praktisch erst wieder etwas unternehmen, wenn dieser politische Prozess glaubwürdig umgesetzt würde, mit anderen Worten: wenn der Präsident nicht mehr im Amt sei. Es gibt eine sehr einseitige humanitäre und politische Unterstützung für Gebiete, in denen oppositionelle Gruppen, in Idlib vor allem, heute noch agieren. Das alles müsste ja erklärt werden: Wie kann das sein, dass deutsche Entwicklungshilfe und humanitäre Hilfe in ein Gebiet gelangt, wo Islamisten, also die Al-Nusra-Front, das Sagen haben? Alle diese Dinge will man vermutlich gar nicht so an die Öffentlichkeit gelangen lassen. Ich glaube, deswegen gibt es eine sehr lückenhafte Berichterstattung, über Vieles wird einfach nicht mehr geredet.

Es gibt Berichte, dass die USA islamistische Kräfte, selbst Elemente des „Islamischen Staates“, unterstützen. Wie lässt sich das von vor Ort einschätzen?

Es gibt tatsächlich viele Belege dafür, dass es da eine Kooperation gibt. Ich persönlich habe keine Beweise. Aber viele Kollegen und natürlich Militärs vor Ort haben Belege gesammelt, auf die ich mich auch berufen kann. Vieles, was öffentlich einsehbar ist, spricht dafür. Ich möchte nur auf einen Bericht des US-Militärgeheimdienstes DIA aus dem Herbst 2012 verweisen. Da wird darauf hingewiesen, dass der Aufstand in Syrien von Islamisten, der Al-Qaida, der Muslimbruderschaft und den Salafisten, angeführt wird. Diese Opposition werde vom Westen, der Türkei und den Golfstaaten unterstützt. Das heißt, man hat genau gesehen, was geschieht. Es wurde sogar ein islamisches Kalifat im Osten Syriens prognostiziert – und das ist eingetreten. Man kann das nicht anders interpretieren als: Das war so gewollt. So wird es auch in diesem DIA-Bericht dargestellt. Dahinter stecken natürlich geostrategische Ideen und Interessen. Man hat sehr viel Geld dafür ausgegeben. Die eigene Bevölkerung, auch in Deutschland, wurde über die wahren Hintergründe im Unklaren gelassen.
Es bleibt abzuwarten, ob diese Kooperation möglicherweise jetzt nach Syrien in einem anderen Gebiet der Region oder auch woanders fortgesetzt wird. Ginge es nach den Syrern, Regierung und Armee eingeschlossen, wäre der Krieg zu Ende, wenn dieser IS vollständig besiegt ist.

Karin Leukefeld berichtet von Beginn des Konfliktes in Syrien im Jahr 2011 an aus dem Land. Als eine der wenigen westlichen Journalisten ist sie immer wieder vor Ort. Sie hat ihre Eindrücke, Erfahrungen und Analysen in mehreren Büchern veröffentlicht. Zuletzt ist die aktualisierte Auflage ihres Buches Flächenbrand – Syrien, Irak, die Arabische Welt und der Islamische Staat im PapyRossa-Verlag erschienen.