Politologe: „Kriege sind wieder denkbar“

Wenig Zweifel an westlicher Politik, Russland als strategischer Gegner und Sorge vor der Schwäche der uneinigen EU – das treibt einflussreiche deutsche Politikwissenschaftler und Politiker um. Russland, China, der Iran und der politische Islam bedrohen den Westen. So sehen es deutsche Transatlantiker. Donald Trump macht ihnen ebenfalls Sorgen.

Die deutsche Außenpolitik bzw. ihre transatlantischen Vordenker befürchten, dass US-Präsident Donald Trump die Sanktionen gegen Russland nicht fortsetzt: „Was machen wir, wenn die Vereinigten Staaten sich entscheiden, im nächsten Januar die Sanktionen gegen Russland nicht zu verlängern?“ Das fragte die Politikwissenschaftlerin Daniela Schwarzer am 3. April in einer Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Sie ist Direktorin des Forschungsinstitutes dieses transatlantischen deutschen Think Tanks.

Schwarzer forderte, dass die Politik sich mit dieser Frage beschäftigen müsse: „Dann müssen wir uns in Europa und gerade in Deutschland überlegen, wie gehen wir mit dieser Situation um.“ Das dürfe nicht erst an dem Tag geschehen, an dem Klarheit über die Sanktionen herrsche. Die Politologin erwartet, dass dann innerhalb der EU Spannungen aufbrechen über die Frage der weiteren „richtigen Politik“ gegenüber Russland. „Dann werden wir in Deutschland besonders gefragt sein“, meinte sie.

In welche Richtung eine deutsche Antwort gehen könnte, wurde bereits deutlich, als zuvor Joachim Krause vor „realen Problemen und Gefahren kurz- und mittelfristiger Natur“ für die Sicherheit der Bundesrepublik und ihrer Partner warnte. Der Politikwissenschaftler ist Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK). Er verwies auf aktuelle „strategische Konfliktlinien in der internationalen Politik“, die „nicht entstanden sind, weil wir andere bedrohen“. Für Krause sind dafür stattdessen vier Akteure verantwortlich: „Das sind heute Russland, das ist der Iran, das ist in zunehmendem Maße die Volksrepublik China“ sowie „der radikale Teil des politischen Islam“. Diese würden die Konfrontation mit der westlichen Staatengemeinschaft suchen, behauptete der Politologe vor einem Publikum aus Politik, Wissenschaft und Militär.

Russische Politik angeblich „dauerhaft feindselig“

Er bedauerte, dass in Deutschland immer noch als „Kalter Krieger“ gelte, wer ein anderes Land als strategischen Gegner bezeichnet. Er zitierte aus dem „Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“  von 2016, laut dem sich Russland von einer engen Partnerschaft mit dem Westen abwendet und die strategische Rivalität betont. Krause vermutet selbst dahinter noch mögliche Erwartungen, „dass Putin es sich irgendwann doch noch mal überlegen wird und alles nicht so schlimm war“. Für ihn äußert sich so „ein Mangel an politischem Realitätssinn“. Er zitierte als Gegenposition aus einer Analyse des „Center for strategic & international studies“ (CSIS) in Washington von Ende März zur US-Politik gegenüber Russland. Darin werde die russische Militärpolitik als dauerhaft feindselig eingestuft. Die USA und ihre Verbündeten hätten ihre Außen- und Sicherheitspolitik darauf noch nicht eingestellt. Sie würden dagegen durch „konzeptionsloses Lavieren Russlands Führung geradezu einladen“, das auszunutzen, zitierte der deutsche Politologe das einflussreiche CSIS. Ähnlich sei es mit dem Iran und China sowie dem politischen Islam, betonte er.

In der Diskussion mit dem Publikum warnte der Kieler Politologe vor einer „Anarchie“, wenn die westlich dominierte und angeblich wertebasierte Ordnung der Welt schwächer werde:

„Und diese Anarchie wird kommen von Ländern wie China oder Russland.“

Diesen warf er vor, nur von ihren nationalen Interessen auszugehen und den jeweiligen Kontinent beherrschen zu wollen, wie einst von Carl Schmitt beschrieben – „Adolf Hitler hat das auch so gesehen“. Er halte heute Kriege wieder für denkbar, wegen „unserer Schwäche und unserer Uneinigkeit“. Die aktuellen Präsidenten Russlands und der USA bezeichnete Krause ebenfalls als Herausforderungen. Im Fall von Trump hoffe er auf eine „Einhegungs-Strategie“.

EU soll auch „in kleineren Staatengruppen“ agieren

Die USA zeigten derzeit Schwäche, aber nicht weniger die uneinige Europäische Union (EU), beklagte der Politikwissenschaftler ebenso wie seine Gesprächspartner. Ebenso zeigte er sich besorgt über die „große Zurückhaltung“ in der deutschen Politik, „sich diese Dinge wirklich durchzudenken“. DGAP-Forscherin Schwarzer stellte fest: „Europa ist verletzlich“.

„Einzelne Akteure wie Russland und China versuchen aktiv, für Spaltung oder unterschiedliche Wahrnehmung innerhalb der EU zu sorgen“, so ihr Vorwurf. Sie fügte interessanterweise hinzu: „Selbst wenn sie es nicht aktiv versuchen“, gebe es aufgrund der unterschiedlichen Verflechtungen mit diesen Ländern „sehr unterschiedliches Denken in den Hauptstädten, was die richtige Antwort ist“.

Die EU habe zwei Zukunftsaufgaben, um die eigene Handlungsfähigkeit zu stärken: In der inneren und äußeren Sicherheit sowie bei der sozioökomischen Stabilität. Dann werde „Europa als Schutzraum“ gesehen, „in dem man sich entwickeln kann“. Das geht aus ihrer Sicht nach außen nur noch in „kleineren Staatengruppen“, besonders in der Militär- und Sicherheitspolitik.

Eine leicht andere Sicht brachte nur Hans-Peter Bartels ein, der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages. Der Sozialdemokrat kritisierte, dass die USA „zu militärorientiert“ seien. Zuvor erklärte er aber, dass die „angelsächsischen Demokratien die Einzigen“ gewesen seien, die ihre Streitkräfte im 20. Jahrhundert immer wieder konfliktbeendend eingesetzt hätten. Sie seien immer „auf der richtigen Seite“ geblieben: „Die Welt hat ihnen und ihrem Militär unendlich viel zu verdanken.“

Doch heute sscheine der Erfolg der weltweiten US- Interventionen im „War on terror“ „nicht sehr durchschlagend“ zu sein. Bartels sprach sich dafür aus, die bisherige deutsche Politik, orientiert am „normativen Projekt des Westens“, fortzusetzen. Aber: Die EU müsse eine internationaler Akteur werden, „auch als militärisches Bündnis“, forderte er. Der Wehrbeauftragte erinnerte daran, dass mit der „Global Strategy“ der EU von Juni 2016, „noch vor Trump“, das Ziel „strategischer Autonomie für Europa“ beschrieben habe. Bartels machte damit deutlich, dass die aktuellen europäisch-US-amerikanischen Konflikte nicht erst mit dem neuen US-Präsidenten begannen.

Ex-DDR-Außenminister: „Russland entfernt sich von westlichen Werten“

Politologen wie Krause und Schwarzer sind nicht allein und nicht ohne Einfluss. Das zeigte auch das Publikum, darunter der letzte Außenminister der DDR, Markus Meckel. Er war danach lange für die SPD im Bundestag und unter anderem bis 2009 Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der NATO. Im Interview stimmte er der Behauptung von Krause zu, dass Russland sich den Westen „als Gegner genommen“ habe. Dieses „Feindbild“ werde in „Kontinuitäten früherer Zeiten“ weiter gepflegt, warf er der russischen Seite vor.

Für Meckel ist Moskau verantwortlich für die zunehmende Konfrontation zwischen dem Westen und Russland, das von einem „imperialen Trauma“ geprägt sei. Das begründete er unter anderem mit den Ereignissen in der Ukraine seit 2014. „Wir müssen ernst nehmen, dass Russland sich offensichtlich immer weiter von den gemeinsamen Werten entfernt und eigene Werte behauptet“, forderte er. Der Westen müsse sich auch dafür wappnen, „was Russland militärisch tut“.

Meckel widersprach selbst solchen Kritikern wie Edmund Stoiber, der jüngst in einem Interview dem Westen vorwarf, die „tollen Signale aus Moskau“ nicht beantwortet zu haben. Es gebe „Fehler des Westens“, aber „insgesamt“ könne er die Analyse von Stoiber und auch die seines Parteifreundes Matthias Platzeck „nicht teilen“.

Meckel sieht „überhaupt nicht eine Fehlerreihe des Westens, die in Russland irgendwelche Sorge bringen sollte“. Russland breche dagegen internationales Recht, so in der Ostukraine, behauptete der ostdeutsche Außenpolitiker. Er ließ sich auch nicht von der Kritik des ehemaligen Bundeswehrprofessors August Pradetto beeindrucken, dem zu Folge der Westen mit seinen Interventionen den Völkerrechtsbruch zum gängigen Mittel der Politik gemacht habe und andere Länder nur darauf reagierten. „Auch ein Professor kann sich irren“ kommentierte Meckel das. Der Westen habe „nicht alles richtig gemacht“, aber „sicherheitspolitisch sind wir nicht gut genug aufgestellt“, bestätigte er die in der Veranstaltung zuvor geäußerten Positionen.

Anlass für die interessante Runde war die neue Zeitschrift „Sirius“, die versucht politische und politikwissenschaftliche strategische Analysen öffentlich zu machen. Herausgeber sind der Direktor des ISPK Prof. Dr. Joachim Krause (geschäftsführend), der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Dr. Karl-Heinz Kamp, Professor Dr. Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr in München sowie Prof. Dr. Andreas Wenger vom CSS der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich.