Zentrum „Aufbruch Ost“ statt „DDR-Museum“ – Kommission plant Jubiläen von 1989 und 1990

Ein ehemaliger ostdeutscher Ministerpräsident ist sich mit einem ehemaligen Amtskollegen aus dem Westen einig: Mehr Osten tut der ganzen Bundesrepublik gut. Dieses Ausnahmeereignis hat es auf einer Pressekonferenz gegeben, die sich mit den Jubiläumsfeierlichkeiten der Ereignisse in der DDR 1989 und der deutschen Einheit 1990 befasst hat.

Matthias Platzeck (SPD), ehemaliger Ministerpräsident von Brandenburg, will ein Zentrum „Aufbruch Ost“. Und Horst Seehofer (CSU), ehemaliger bayrischer Ministerpräsident und heute Bundesminister des Inneren, für Bau und Heimat, ist von Anfang an dafür. Das erklärten beide am Montag in Berlin nach der konstituierenden Sitzung der Kommission „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“.

von links: MdB M. Hirte, Ost-Beauftragter der Bundesregierung, M. Platzeck und H. Seehofer

Die Kommission wird von Platzeck, einst in der DDR-Bürgerbewegung aktiv, geleitet. Seehofers Ministerium gibt das Geld, insgesamt 61 Millionen Euro, wie es hieß. Grundlage ist ein Beschluss der Bundesregierung vom 3. April. Die Kommission soll Vorschläge machen, wie in diesem und nächstem Jahr „die 30. Jahrestage der Friedlichen Revolution und der Deutschen Einheit als ein für ganz Deutschland einendes Jubiläum“ begangen werden können. Ziel sei ein gesamtdeutsches Bewusstsein dafür, „dass die Deutsche Einheit ein Prozess ist, der noch nicht abgeschlossen ist“.

Das Zentrum ist eine Idee von Platzeck, der erklärte, es könne auch „Zukunft Ost“ heißen. Es solle „kein DDR-Museum“ werden, so der SPD-Politiker. Dagegen soll es sich vor allem mit den 30 Jahren seit dem 3. Oktober in Ostdeutschland beschäftigen. Das Zentrum solle dokumentieren, forschen sowie zugleich Konferenzen und Begegnungen ermöglichen. Im Mittelpunkt stehe der „sagenhafte Umbruch“, wie Platzeck beschrieb, was nach dem Untergang der DDR und des Beitritts ihres Gebietes zur Bundesrepublik geschah.

Symbol für Ostdeutschland

Die Einrichtung könne die Erfahrungen der Transformationen sammeln, erfassen und weitergeben. Das Zentrum soll sich, so der ostdeutsche SPD-Politiker, „überhaupt damit befassen, was da vor sich gegangen ist“. Er habe dabei „auch im Hinterkopf, dass dieses ein Identifikationspunkt für unzählige, ja Millionen Ostdeutsche ist, die dann auch mal zu ihren Kindern und Enkeln sagen können: Da findest Du alles darüber, wie wir das bewältigt haben und was wir getan haben.“ Ein solches Symbol sei wichtig, betonte Platzeck, der sich eine weltweite Ausschreibung für das Gebäude vorstellen kann. Ziel sei eine moderne Architektur.

Wie das Zentrum genau heißt und wo es gebaut werden soll, das war auf der Pressekonferenz ebenso wenig zu erfahren wie konkrete Projekte der Kommission für die Jubiläen. Die sollen im August dieses Jahres vorgestellt werden. Konkret bekannt ist bisher nur, wie sich das Gremium zusammensetzt. Nach den Geburtsorten stammen 80 Prozent der Mitglieder aus dem Osten. Laut Seehofer sitzen nur solche Persönlichkeiten in der Kommission, „die was zu sagen und zu erzählen haben“.

Dazu gehören dann neben anderen die Schauspieler Jan Josef Liefers und Anna Maria Mühe neben den Historikern Raj Kollmorgen und Ilko-Sascha Kowalczuk, die Ministerpräsidenten Manuela Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern) und Reiner Haseloff (Sachsen-Anhalt) sowie deren thüringische Ex-Amtskollegin Christine Lieberknecht und Seehofer-Vorgänger Thomas de Maizière.

Gemeinsame Geschichte von Ost und West

Ein Journalist wollte wissen, warum kein Mitglied der Linkspartei, der Grünen oder auch der AfD dabei ist. Dazu meinte Platzeck, in der Kommission seien „hinreichend Freigeister mit völlig unterschiedlichen Sichten“ auf die letzten 30 Jahre in Ostdeutschland vertreten. Seehofer erklärte, die Kommission könne beratend weitere Persönlichkeiten hinzuziehen.

Schwerpunkt der Veranstaltungen, die die Kommission planen und vorbereiten wird, ist es laut ihrem Vorsitzenden, Dialog zu ermöglichen. Platzeck will damit Ost und West „wieder ein Stück näher zusammenzubringen“. Die Veranstaltungen würden sich auch an jene richten, „die aus unterschiedlichsten Gründen in dieser Republik noch gar nicht wirklich angekommen sind“. Ebenso solle das ostdeutsche Selbstbewusstsein gestärkt werden.

Dieses Anliegen unterstützte Christian Hirte, Beauftragter des Bundesregierung
für die neuen Länder. Das Thema spiele nicht nur für den Osten eine Rolle, betonte er. Es gehe darum, „sich in Ost wie in West unserer gemeinsamen Geschichte zu stellen“. So sollen die geplanten Dialogveranstaltungen in allen Bundesländern veranstaltet werden. Hirte erhofft sich beim Blick auf die Vergangenheit Antworten für die Probleme der Gegenwart.

Ereignisse vor Maueröffnung im Blick

„Das Jubiläumsjahr wird sich zwischen den Feierlichkeiten zum 9. November 2019 und den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2020 erstrecken.“ So war es zu lesen, als für die Pressekonferenz eingeladen wurde. Auf Sputnik-Nachfrage dazu erklärte Kommissionsvorsitzender Platzeck, dass das Gremium sich auch mit den Ereignissen vor der Maueröffnung am 9. November vor 30 Jahren beschäftigen werde.

Die Kommission werde sich mit den Geschehnissen von Oktober 1989 bis Oktober 1990 auseinander setzen. Platzeck erinnerte daran, dass Anfang Oktober 1989 in zahlreichen Städten der DDR große Demonstrationen politische Veränderungen forderten, so am 4. Oktober in Potsdam. Der Höhepunkt sei der 9. Oktober 1989 in Leipzig gewesen: „Das war der Tag, an dem sich aus meiner Sicht alles entscheiden hat. Das war der Kipptag.“

Damals vor 30 Jahren unterdrückten die DDR-Sicherheitsbehörden – anders als befürchtet – die Demonstration in Leipzig mit rund 70.000 Teilnehmenden nicht mit Gewalt. Das war die Grundlage für die Legende von der „friedlichen Revolution“. Ohne den 9. Oktober hätte es den 9. November 1989 nicht gegeben, meinte Platzeck.

„Grundwebfehler“ der Einheit

Er begründete die Arbeit der Kommission und die Idee eines Zentrums für den „Aufbruch Ost“ mit einer Anekdote: Ein Freund von ihm in Stuttgart sage ihm bis heute, dass sich in seinem Leben seit 1990 nichts geändert habe, für die Ostdeutschen dagegen bis auf die vier Jahreszeiten alles. Es müsse über die Verletzungen und Wunden der Ostdeutschen in den 30 Jahren der Einheit gesprochen werden. Das sei bisher nur selten und kaum offen geschehen.

Für den SPD-Politiker wäre es ein Erfolg, wenn nach den Jubiläen und der Arbeit der Kommission Westdeutsche sagen: „Was Ihr Euch da in den 40 Jahren DDR alles ausgedacht habt, war nicht alles nur Blödsinn. Das System war völlig schief und die Gesellschaftsorganisation nicht zukunftsfähig. Aber Ihr habt unter den Bedingungen Strukturen geschaffen, die hätte man durchaus vielleicht sogar übernehmen können.“

Für Platzeck ist ein „Grundwebfehler“ der Einheit vor 30 Jahren gewesen, dass die „siegreiche größere“ Gemeinschaft die kleinere und schwächere zwang, alles Eigene abzuwerfen und alles Fremde zu übernehmen. Als Beispiele nannte er die Kinderbetreuung aus der DDR und die Polikliniken, die heute „medizinische Versorgungszentren“ heißen.

Der Ex-Bürgerbewegte, damals bei den DDR-Grünen, hatte 1990 in der Volkskammer, dem DDR-Parlament, gegen die Einigungsvertrag und den Beitritt der DDR nach Artikel 23 des Grundgesetzes gestimmt. Bundesinnenminister Seehofer fand am Montag Platzecks Ideen gut und fügte gleich absichernd hinzu: „Das ist auch kein Recycling eines Systems.“