„Vom Pulverfass runter!“: Liedermacher Tino Eisbrenner für Frieden mit Russland

Das Lied „Ich beobachte Dich“ hat den Musiker Tino Eisbrenner mit der Band „Jessica“ in der DDR bekannt gemacht. Heute singt und schreibt er immer noch Lieder. Seit Jahren engagiert er sich für Frieden und ein besseres Verhältnis zu Russland. Dort hat er auch Konzerte gegeben. Darüber hat er ein Buch geschrieben.

„Weil wir auf einem Pulverfass sitzen, wenn wir uns nicht darum kümmern.“ So begründet der ostdeutsche Liedermacher und Sänger Tino Eisbrenner, warum er sich für Frieden und ein besseres Verhältnis mit Russland einsetzt. Das macht er mit Liedern und Konzerten in der Bundesrepublik, aber ebenso in Russland. Zweimal, 2017 und 2019, trat er schon bei einem Liederfestival auf der Krim auf.

Auf der Leipziger Buchmesse Ende März stellte der Musiker, bekannt aus der DDR-Popband „Jessica“, sein kurz zuvor erschienenes Buch „Das Lied vom Frieden – Reisebilder eines Songpoeten“ vor. Darin beschreibt er vor allem seine Erlebnisse und Eindrücke auf den Konzerttourneen seit 2015 durch die Bundesrepublik, Österreich und Osteuropa sowie Russland.

Kein X für ein U vormachen lassen

Die Menschen dürften nicht weggucken, erklärte Eisbrenner in Leipzig gegenüber Sputniknews. Bei einer Lesung im hessischen Fritzlar habe ihm ein Mann gesagt, dass er ganz gut finde, was er gehört habe, aber das sei nicht so ganz sein Thema. Der Musiker habe ihm geantwortet:

„Ich fürchte, wir müssen diese Dinge zu unserem Thema machen, weil man uns sonst ein X für ein U vormacht und uns eine Sicht überhilft, die wir auch noch, ohne es zu merken, auf unsere Kinder übertragen.“

Es müsse ein Gegengewicht zu den medialen Feindbildern von Russland gebildet werden. „Leute, die etwas Positives zu erzählen haben, müssen es erzählen. Deshalb habe ich alles aufgeschrieben und fahre ich rum, singe Lieder.“

Die Völker hätten keine Konflikte miteinander. „Es sind immer irgendwelche politische Ränkeleien.“ Für ihn sei die entscheidende Frage: „Was nutzt wem?“ Das helfe zu verstehen, warum Dinge politisch und medial so dargestellt werden, wie es geschieht.

„Puschkin ist mehr als ein Wodka“

Sein Einsatz für ein besseres Verhältnis mit Russland sei für ihn als „geborener DDR-Bürger“ selbstverständlich, sagte der Sänger im Gespräch am Messestand des Nora-Verlages. Bei diesem ist sein Buch erschienen. Er sei in Bulgarien aufgewachsen und habe so ein Verständnis für slawische Mentalität und Kultur entwickeln können – „auch vom Herzen her“. Als Musiker sei er mehrmals in der Sowjetunion aufgetreten.

„Ich gehöre also zu den Deutschen, die wissen, dass Dostojewski kein After Shave und Puschkin mehr als Wodka ist.“

In den letzten 30 Jahren in der größeren Bundesrepublik sei das Wissen über Russland zunehmend verloren gegangen. Das werde dazu genutzt, „um uns ein X für ein U vorzumachen“, beschrieb er die Folgen. „Da musste ich aktiv werden“, benannte er den Impuls für seinen Einsatz.

Eisbrenner hat sich daraufhin mit russischen Liedern beschäftigt, wie er erzählte. Er habe sie geprüft, ob sie etwas mit dem Leben, dem Alltag und die Herzen der Deutschen zu tun haben, und sie übersetzt. Anfangs habe er sie in seine Konzerte eingebaut, bis daraufhin die ersten Einladungen aus Russland, später auch aus Belarus und aus Georgien kamen. Die übersetzten Lieder sind auf seiner CD „November“ von 2017 zu hören.

Konzerte auf der Krim

Im Gespräch beschrieb der Sänger den Weg bis dahin als Suche nach einer neuen Identität und inneren Heimat, nachdem die DDR 1989/90 untergegangen war. Das habe ihn zuerst nach Nord- und Südamerika und zu den dortigen Ureinwohnern geführt, „weil da eigentlich meine Kinderträume wohnten“. Davon künden damals entstandene Lieder und Projekte.

Dann habe es ihn aber nach Russland gezogen, besonders nach 2014, als die „Krim-Krise“ im Westen hochgekocht wurde. „In dem Augenblick ist ja der Graben tiefer geworden – und mein Handlungsbedarf größer“, erklärte Eisbrenner. Inzwischen ist er zweimal auf der Krim aufgetreten, wie er berichtete, jeweils Anfang der Jahre 2017 und 2019. Er sei zum dortigen Wyssozki-Festival eingeladen worden, auf dem Musiker aus dem gesamten postsowjetischen Raum auftreten.

Eisbrenner spielt selbst Lieder von Wladimir Wyssozki, einem legendären sowjetischen Liedermacher, die er nachgedichtet hat.

„Ich war jedes Mal der einzige Westeuropäer, der da spielt.“

Die Musik habe mitgeholfen, dass er schnell direkten Kontakt zu den Menschen auf der Krim fand „und nicht als Tourist im Hotel weggeparkt“ wurde. Dadurch habe er einen guten Einblick in das tatsächliche Leben auf der Halbinsel im Schwarzen Meer und das Denken der Bewohner bekommen, ohne den verfälschenden Filter der bundesdeutschen Medien.

„Mit Europa stimmt was nicht“

Die Russen würden sagen, wenn sich die Deutschen anders verhalten würden, würde sich ganz Westeuropa anders gegenüber Russland verhalten. Die ganz normalen Menschen auf der Krim und in anderen russischen Orten seien immer sehr interessiert an Deutschland gewesen und hätten ihn vieles gefragt dazu, berichtete der Sänger.

Auf dem Markt von Simferopol habe ihm ein Obsthändler, ein Russe, während eines Gespräches gesagt:

„Guck mal, Kiew will jetzt in die Europäische Union. Das ist ja ok, von mir aus. Aber wenn eine Regierung, um der EU zu gefallen, eine Russen-Hatz ausruft und Mord und Totschlag einläutet, dann stimmt vielleicht auch mit dem Europa was nicht. Wo war denn Euer Widerspruch, als in Odessa das Gewerkschaftshaus mit 300 Russen darin gebrannt hat? Ihr habt bis heute nichts dazu gesagt. Ihr regt Euch die ganze Zeit nur auf, dass die Krim nun zu Russland gehört.“

Der Obsthändler auf der Krim habe Eisbrenner erklärt, dass er angesichts der Kiewer Politik lieber zu Russland gehören wolle: „Weil ich dann das sein kann, was ich bin, nämlich ein Krimjaner. Die Krimjaner sind eine Vielvölker-Gemeinschaft. So haben wir uns immer verstanden und auch immer die Krim als Vielvölker-Gemeinschaft gegen Angriffe von außen verteidigt. Das werden wir auch noch einmal tun, wenn es sein muss.“

Falsche Legenden im Westen

Ein Taxifahrer, ein Krim-Tatare, habe ihm gesagt, das Referendum auf der Krim 2014 mit einer überdeutlichen Mehrheit für die Rückkehr zu Russland sei vor allem ein Signal Richtung Kiew gewesen:

„Wenn Ihr uns aufdrückt, dass wir uns jetzt gegenseitig bekriegen sollen, dann machen wir nicht mit. Dann gehören wir zu Russland und können sein, was wir sind: Krimjaner.“

Das sei die allgemeine Haltung auf der Halbinsel.

Der Sänger widerspricht in seinem Buch den westlichen Behauptungen, Russland unterdrücke auf der Krim seit 2014 die Angehörigen anderer Völker, besonders die Krim-Tataren. „Das ist eben genau nicht zu erleben“, sagte er dazu im Gespräch. „Ein Tatare hat überhaupt kein Problem, zu sagen: Ich bin Tatare. Er muss sich nicht verstecken – und seine Ehefrau ist eine Russin“, fügte er aus eigenem Erleben hinzu.

Er selbst habe bei seinem ersten Besuch auf der Halbinsel 2017 damit gerechnet, dort überall Militärposten zu sehen. Das sei aber überhaupt nicht der Fall gewesen, worüber er gestaunt habe. Die Russen hätten sich wiederum über seine Vorstellungen gewundert.

„Akupunkturen ins Herz“

„Es ist ein ganz wunderbares normales Alltagsleben“, beschrieb er, was er auf der Krim erlebte. Beim zweiten Aufenthalt Anfang dieses Jahres sei ihm krass aufgefallen, wieviel gebaut wird. Auch das Kulturleben sei vielfältig und die Theater überall präsent. Das Wyssozki-Festival werde in allen Städten der Krim veranstaltet, mit Tausenden an Zuhörern, die oftmals die Lieder mitsingen. Das sei auch bei seinen eigenen Auftritten so gewesen.

Eisbrenner findet, auf der Halbinsel herrsche fast eine „sowjetische Atmosphäre, ganz kulturorientiert“. Über die Menschen, die Krimjaner, sagte er:

„Ihre Lebensart besteht ja in dem Streben nach Poesie. Das kann Dir ja schon morgens beim Frühstück passieren, dass Dir einer ein Gedicht aufsagt, weil er Dir damit eine Freude machen will.“

Selbst an einer Tankstelle habe ihm gegenüber eine Verkäuferin Goethe zitiert, als sie hörte, dass er aus Deutschland kommt. „Ich möchte mal einen deutschen Tankwart erleben, der Puschkin zitiert.“

Er wolle mit seinem Buch eine Diskussion anregen und dass in der Gesellschaft „noch einmal nachgedacht und diskutiert wird“. Deshalb gehe er auf Lese-Reise, die bisher auf großes Interesse stoße. Neben den Reise- und Konzertberichten und dem Nachdenken über verschiedene gesellschaftliche Themen gebe es im Buch ebenso Texte seiner Lieder wie auch Fotos. Es handele sich um „Akupunkturen ins Herz“.

Von seinem neuen Buch werde es im Mai auch eine deutsch-russische Ausgabe geben, kündigte er an. Das sieht er als Geste „für all die Freunde, die ich inzwischen gewonnen habe, die das lieber in Russisch lesen möchten“.