Warum Luxemburg und Liebknecht 1919 ermordet wurden: „Sie galten als gefährlich“

Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht jährt sich am 15. Januar zum 100. Mal. Die Täter und deren Hintermänner haben vor den beiden Kommunisten mehr Angst gehabt als vor den aktiven Revolutionären vom November 1918. Der Autor Klaus Gietinger berichtet im Interview über seine Erkenntnisse zu dem Mord und was die SPD damit zu tun hat.

Im Treppenhaus des ehemaligen Gebäudes des DDR-Staatsrates in Berlin, geschaffen von Walter Womacka

„Eine Leiche im Landwehrkanal“ heißt ein Buch des Filmemachers und Publizisten Klaus Gietinger, in dem er über die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar 1919 auf Grundlage umfangreicher Recherchen aufklärt. Das 1995 erstmals veröffentlichte Buch erschien im Herbst 2018 in einer überarbeiteten und aktualisierten Auflage. Darin beschreibt Gietinger das Geschehen ebenso wie er die Täter und Hintermänner bloßstellt.

Luxemburg und Liebknecht seien nach den Januarkämpfen 1919 in Berlin gejagt und schließlich im Stadtbezirk Wilmersdorf verhaftet worden, so der Filmemacher gegenüber Sputnik. Sie seien dann an die Garde-Kavallerie-Schützen-Division unter Hauptmann Waldemar Pabst im Berliner Hotel „Eden“ ausgeliefert worden. Bei der Truppe habe es sich um ein Freikorps mit 50.000 Mann im Auftrag der neuen Regierung, des Rates der Volksbeauftragten unter Friedrich Ebert von der MSPD, gehandelt. Pabst habe beschlossen, die beiden Mitbegründer der noch jungen KPD ermorden zu lassen.

„Sie wurden ermordet, weil sie die mythischen Anführer und Figuren der Revolution waren“, erklärte Gietinger die Motive für den Mord. In der historischen Literatur wird immer wieder darauf hingewiesen, dass Liebknecht und Luxemburg keine aktiv führende Rolle und keinen Einfluss in der Novemberrevolution 1918 und den Folgeereignissen hatten.

„Viel gefährlicher als die mit den Waffen“

Die angebliche Einfluss- und Konzeptionslosigkeit  sei eine Seite der Hetze gegen die beiden, sagte dazu die kürzlich verstorbene Historikerin und Luxemburg-Expertin Annelies Laschitza im November 2018 gegenüber Sputnik. Die andere Seite davon sei, dass sie von ihren Gegnern als gefährlich dargestellt wurden, weil sie angeblich die Massen aufgehetzt hätten.

Dabei hätten sie zu den in der Revolution 1918 aktiven Kräften wie den Revolutionären Obleuten und der USPD nur wenig direkten Kontakt gehabt und diesen zum Teil kritisch gegenüber gestanden. „Real hatten sie wirklich keinen großen Einfluss“, bestätigte Regisseur und Autor Gietinger aufgrund seiner Recherchen.

Aber:

„Sie waren wahnsinnig beliebt bei den Arbeitern und vertraten von Anfang die Politik gegen den Krieg, im Gegensatz zur SPD. Und sie vertraten die Revolution. Sie wollten die Revolution weiterführen und waren nicht zufrieden mit dem Parlamentarismus, mit der Regierung Ebert-Scheidemann. Sie wollten eine Räte-Republik, man kann auch sagen eine Diktatur des Proletariats.“

Trotz ihres geringen realen Einfluss hätten die beiden Kommunisten als Führungsfiguren gegolten – „sowohl im Kopf der Arbeiter als auch im Kopf der Konterrevolution“, so Gietinger. „Waldemar Pabst hat einmal gesagt, es kam ein Offizier zu ihm und wollte, dass die Rosa Luxemburg bei der Division sprechen sollte. Da hat er sich gedacht: Die Frau ist viel gefährlicher als die mit den Waffen, weil sie die Köpfe der Menschen beeinflusst.“

„Ganz klar im Visier der Konterrevolution“

Der Historiker Martin Sabrow erklärte im November 2018, der Mord sei eher ein Zufall in Folge der aufgehetzten Stimmung gegen die Revolutionäre gewesen. Laut der Historikerin Laschitza ist kein Plan für den Mord bekannt. Aber die alten, am 9. November 1918 real nicht entmachteten herrschenden Kreise in Deutschland hätten große Angst vor Luxemburg und Liebknecht gehabt, dass sie die Revolution tatsächlich weiterführen.

Wie sie stellte Gietinger klar, zu dem Mord sei aktiv aufgefordert worden. Er verwies auf die „unglaubliche Hetze“ und auf die im Dezember 2018 in tausenden Exemplaren verbreiteten Plakate „Schlagt ihre Führer tot! Tötet Liebknecht!“ Als Absender war zu lesen: „Die Frontsoldaten“.

Klaus Gietinger im Oktober 2018 in Berlin

„Die waren ganz klar im Visier der Konterrevolution. Waldemar Pabst hat sich gesagt: Wenn ich die erwische, dann lasse ich die umbringen.“ Nur die Verhaftung durch eine Bürgerwehr in Berlin-Wilmersdorf sei ein Zufall gewesen. „Der Mann war auf Mord aus“, sagte Gietinger über den Offizier, der 50.000 Mann befehligte und bis zu seinem Tod 1970 in der Bundesrepublik nie strafrechtlich verfolgt wurde.

Er bestätigte die Aussagen von Sebastian Haffner in dessen Buch von 1969 „Die verratene Revolution“ (weiter als „Die deutsche Revolution 1918/19“ veröffentlicht). Danach wurde verbreitet, der Millionär Georg Sklarz habe im Dezember 1918 ein Kopfgeld auf Liebknecht und Luxemburg von je 50.000 Mark ausgesetzt. Allerdings sei es nicht, wie von Haffner behauptet, neben Sklarz der SPD-Volksbeauftragte Philipp Scheidemann gewesen – „so dumm war der nicht“ –, sondern dessen Schwiegersohn.

„Noske hat das gebilligt“

Bei den Ereignissen habe der selbsternannte „Bluthund“ der MSPD, Gustav Noske, seine Hände im Spiel gehabt, sagte Gietinger auf die Frage nach der Rolle der führenden Sozialdemokraten bei dem Mord. Er sei der Befehlshaber der Truppen gewesen.

„Waldemar Pabst hat später in seinen Memoiren geschrieben und in Reden gesagt: An diesem Abend (des 15. Januars 1919 – Anmerk. d. Red.) hat er sich entschlossen, die beiden umzubringen und hat aber Sicherheit nochmal mit Noske Kontakt aufgenommen. Noske hat gesagt, er kann ihm diesen Befehl nicht geben, sonst würde die Partei zerbrechen. Er soll den befehlshabenden General anrufen. Der hieß Lüttwitz. Da hat Pabst gesagt: Wenn ich den anrufe, der gibt mir den Befehl nicht. Dann soll Noske gesagt haben, dann müsse er selbst verantworten, was zu tun ist. Das heißt, er hat das praktisch gebilligt.“

Nach dem „klassischen Mord“ an Luxemburg und Liebknecht habe Pabst sich am Folgetag vor dem Rat der Volksbeauftragten rechtfertigen müssen, schreibt Gietinger in seinem Buch. Im Gespräch sagte er, der Offizier habe vorsichtshalber seine Soldaten mit zur Reichskanzlei genommen, die ihn befreien sollten, falls er nicht nach einer Stunde wieder rauskomme.

„Die SPD wusste von der Vertuschung“

„Er ist aber wieder herausgekommen. Das Verrückte ist, die SPD-Regierung hat dann das Kriegsgericht dieser Garde-Kavallerie-Schützen-Division eingesetzt, um den Mord zu untersuchen: Die eigenen Kameraden haben also über die Mörder von Luxemburg und Liebknecht zu Gericht gesessen. Da war natürlich klar, was dabei herauskommt: Freisprüche und ganz geringe Urteile.“

Die Volksbeauftragten von der MSPD hätten gewusst, dass da vertuscht wird, hob Gietinger hervor. Sie hätten nichts dagegen unternommen. Der Mord an den beiden Kommunisten vor 100 Jahren sei bis heute nie juristisch aufgeklärt und geahndet worden. Bei mehreren Prozessen dazu sei immer wieder das alte Verfahren als Grundlage genommen worden.

In dem jüngst von Frank Schumann herausgegebenen Buch „Der Fall Liebknecht/Luxemburg“ wird in dem Zusammenhang an Folgendes erinnert: „Im Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 27/1962 wurden die Morde an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg als ‚standrechtliche Erschießungen‘ bezeichnet, was den Eindruck von Legalität vermittelte.“

Wer nach der Novemberrevolution die reale Macht hatte

Darauf weist auch Gietinger in seinem Buch hin und erinnerte im Gespräch an den in den 1960er Jahren in der DDR ausgesprochenen Haftbefehl gegen Pabst – „aber da ist nichts passiert“. Zuvor hatte der Ex-Offizier 1962 in einem „Spiegel“-Interview unter der Überschrift „Ich ließ Luxemburg richten“ sogar bis auf den Kontakt zu Noske alles zugegeben.

Darin machte Pabst interessanterweise auch klar, wer seit dem 9. November 1918 in Deutschland das sagen hatte:

„Wir waren die Macht im Staate und nicht die Volksbeauftragten.“

Aber gegen den Verantwortlichen für die Morde sei nie vorgegangen worden, so der Filmemacher. Er selbst habe dann im Nachlass von Pabst die „ganz klare Verbindung zur MSPD und zu Noske“ gefunden, berichtete Gietinger. „Jahrelang wurde das immer bestritten und behauptet: Pabst lügt.“ Kurzzeitig hatte selbst die aktuelle SPD-Vorsitzende Andrea Nahles eingestanden, dass Noske in den Mord verstrickt gewesen sei, was sie aber inzwischen wieder zurücknahm.

„SPD weiter mit Leichen im Keller“

Der SPD heute riet er, nach 100 Jahren „die Leichen in ihrem Keller aufzuräumen“, wenn sie sich tatsächlich erneuern wolle. „Das war ja nicht nur Noske. Hinter Noske standen ja auch Ebert und die ganze Führung der SPD. Die wussten doch, was da abgelaufen ist.“

Die Historikerin Laschitza erklärte dazu, „dass Rosa Luxemburg für die deutschen Sozialdemokraten heutzutage nach wie vor wie ein Fremdkörper in ihrer Partei ist“. Sie werde weiterhin nicht als „Mitgestalterin der sozialdemokratischen Traditionen“ gesehen.

Dabei gibt es sogar aus dem Jahr 1907 ein Foto von der SPD-Parteischule, an der Luxemburg damals lehrte, auf dem der spätere SPD-Vorsitzende und Reichspräsident Ebert als ihr Schüler zu sehen ist – neben dem späteren DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck, der am 15. Januar 1919 nicht ermordet wurde, obwohl er mit Luxemburg und Liebknecht gemeinsam an die Pabst-Truppen ausgeliefert worden war.

Lesetipps:
Klaus Gietinger: „Eine Leiche im Landwehrkanal – die Ermordung Rosa Luxemburgs“
Verlag Edition Nautilus 2018. 192 Seiten. ISBN 978-3-96054-096-0. 16 Euro
Frank Schumann (Red.): „Der Fall Liebknecht/Luxemburg“
Verlag Das Neue Berlin 2019. 176 Seiten. ISBN 978-3-360-01340-8. 12,99 Euro