Neue Statistik: Steigende Zahl der Wirtschaftsflüchtlinge aus der EU nach Deutschland

Die Zuwanderung aus armen EU-Mitgliedsstaaten nach Deutschland nimmt kontinuierlich zu. Darauf macht das neueste „Statistische Jahrbuch“ für die Bundesrepublik aufmerksam. Darin sind auch Zahlen zu den wirtschaftlichen Ursachen dafür zu finden. Es zeigt ebenso die Schattenseiten der positiven deutschen Wirtschaftsentwicklung.

Mehr als vier Millionen Menschen mit dem Pass eines anderen EU-Landes lebten 2016 in Deutschland. Ihr Anteil an den hier lebenden Ausländern machte rund 43 Prozent aus. Die meisten der EU-Ausländer stammen aus ost- und südeuropäischen Ländern. Das gehört zu den Ergebnissen des am Freitag in Berlin vorgestellten „Statistischen Jahrbuches Deutschland 2017“. Herausgeber ist das Statistische Bundesamt (destatis) in Wiesbaden. Bei der Pressekonferenz standen vor allem Zahlen über „Deutschland in Europa“ im Mittelpunkt.

Die meisten der gegenwärtig in Deutschland lebenden Ausländer mit einem Pass von EU-Mitgliedsstaaten kommen danach aus Polen – rund 783 000 Personen. „Rang 2 der Herkunftsländer nahm Italien mit 611 000 Personen ein, gefolgt von Rumänien mit 534 000 Staatsbürgerinnen und –bürgern“, so Destatis-Mitarbeiterin Susana Garcia Diez.

„Die Gesamtzahl der EU-Ausländerinnen und -Ausländer in Deutschland ist trotz Einbürgerungen und Fortzügen in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Gegenüber 2015 betrug der Nettozuwachs knapp sieben Prozent.“

Die Migration aus EU-Ländern wie Spanien und Griechenland habe nach der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 deutlich zugenommen, so Garcia Diez. Aber seit 2013 sei sie wieder rückläufig und die Zuwanderung aus osteuropäischen Staaten wieder stärker. Fast zehn Millionen Ausländer leben nach Angaben des neuesten Statistischen Jahrbuches in Deutschland.

Millionen Deutsche im Ausland

„Laut EU-Statistikbehörde Eurostat lebten 2016 rund 850 000 Deutsche im EU-Ausland“, so die Destatis-Expertin. „Die meisten, nämlich 176.000 Deutsche, haben sich in Österreich niedergelassen. In Spanien waren 142.000 Deutsche gemeldet, im Vereinigten Königreich 137.000.“ Knapp über 100.000 Briten leben in Deutschland, erklärte sie auf Nachfrage. Eine offizielle Zahl der insgesamt im Ausland lebenden Deutschen gibt es nicht, wie die Behörde in Wiesbaden auf Anfrage mitteilte. „Mehr als drei Millionen Deutsche leben auf der ganzen Welt verstreut“, war im April dieses Jahres in der Onlineausgabe der Zeitung „Die Welt“ zu lesen.

Die Gründe für die hohe Migration aus EU-Staaten machten die amtlichen Statistiker mit den Zahlen der betroffenen Länder deutlich. Zu den Ländern der EU mit den höchsten Erwerbslosenquoten gehören Griechenland, Spanien und Italien.

„Vor allem in den südlichen EU-Staaten war die Jugenderwerbslosigkeit stark verbreitet. In Griechenland hatte im Jahr 2016 etwa die Hälfte der 15- bis 24-jährigen Erwerbspersonen (47 Prozent) keine Arbeit. Schwierig war die Lage für Berufsanfängerinnen und -anfänger auch in Spanien (44 Prozent) und Italien (38 Prozent).“

Laut Garcia Diez steht Deutschland deutlich besser da: „In Deutschland ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt gegenwärtig sehr günstig. Auch junge Menschen mit wenig Berufserfahrung finden vergleichsweise einfach eine Arbeit. 2016 erreichte die Jugenderwerbslosenquote in Deutschland mit 7 Prozent ihren niedrigsten Stand seit Beginn der 1990er Jahre.“

Positive deutsche Zahlen mit Schattenseiten

Die Bundesrepublik zähle zu den EU-Ländern mit den höchsten durchschnittlichen Bruttomonatsverdiensten. „Der durchschnittliche nominale Bruttomonatsverdienst für Vollbeschäftigte in der Privatwirtschaft lag 2014 in Deutschland bei 3.045 Euro. Im EU-Durchschnitt waren es 2 560 Euro. Dieser Wert wurde vor allem in den osteuropäischen Ländern deutlich unterschritten. Das durchschnittliche Gehaltsniveau lag dort teilweise weit unter 1.000 Euro brutto.“

Die amtlichen Statistiker machten am Beispiel der Wohnkosten auf deutsche soziale Probleme trotz der guten Zahlen bei Wirtschaft und Einkommen aufmerksam. Zwar liegt laut Destatis-Mitarbeiterin Sibylle von Oppeln-Bronikowski der Einkommensanteil der Deutschen, den diese für Wohnkosten ausgeben müssen, mit 24 Prozent im EU-Durchschnitt. Länder wie Dänemark, Finnland und Frankreich führen die Spitze an. Aber: „Im EU-Vergleich ist ein relativ hoher Anteil der Bevölkerung in Deutschland durch Wohnkosten überbelastet.“ Das treffe zu, wenn Haushalte „mehr als 40 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für das Wohnen“ ausgeben, erläuterte von Oppeln-Bronikowski. Das treffe auf 16 Prozent der Haushalte hierzulande zu.

Ein weiteres Symptom der sozialen Lage wurde mit einer anderen Zahl deutlich gemacht: Immerhin 20 Prozent der Deutschen können sich laut Destatis „aufgrund knapper finanzieller Ressourcen“ nicht einmal im Jahr in die Ferien fahren. „Einige Bevölkerungsgruppen waren überdurchschnittlich stark betroffen: Von den Alleinerziehenden und ihren Kindern mussten 43 Prozent unfreiwillig zu Hause bleiben, von den Alleinlebenden 30 Prozent.“ In Deutschland können sich zwar „mehr Menschen eine Urlaubsreise leisten als im EU-Durchschnitt“, so von Oppeln-Bronikowski. Aber: „In Ländern mit ähnlich hohem Wohlstandsniveau wie in Deutschland, insbesondere in den nordischen Ländern, den Niederlanden und Luxemburg, lag der Anteil der Bevölkerung, der sich keine einwöchige Reise im Jahr leisten konnte, unter 20 Prozent.“

Das Statistische Jahrbuch hat gedruckt 707 Seiten. Es kann auf der Destatis-Website auch online genutzt werden, auch in thematischen Einzelkapiteln.