„Cool und lustig“: Merkel mit Obama bei Wahlkampfauftritt

Ein Ex-US-Präsident als erhoffter Messias an „Christi Himmelfahrt“ auf dem Kirchentag in Berlin – das Schauspiel hat die evangelische Kirche am Donnerstag ermöglicht, mit der Bundeskanzlerin in der zweiten Hauptrolle. Das wird ihr wohleinen uneinholbaren Vorsprung im Wahlkampf ermöglichen – „Gott sei Dank“, werden manche in der Union denken.

Einen besseren Wahlkampfauftritt hätte es für Kanzlerin Angela Merkel nicht geben können: Am „Himmelfahrtstag“ neben Ex-US-Präsident Barack Obama, der beinahe wie ein Ersatz-Jesusvon vielen erwartet und gefeiert wurde, am Brandenburger Tor in Berlin stehen und sitzen zu können. Den anscheinend unverdächtigen Rahmen dafür gab der Kirchentag ab, der seit Mittwoch und noch bis Sonntag offiziell 500 Jahre Reformation begeht. So bekam Merkel nicht nur etwas von der anhaltenden Begeisterung der mehr als 100.000 Teilnehmenden an der Veranstaltung für Obama ab, bevor sie danach zum Nato-Gipfel nach Brüssel abflog. Wenn sie dort auf den aktuellen US-Präsident Donald Trump trifft, wird sie an die Worte seines Vorgängers denken, dass sie seine „liebste Partnerin“ war, die „Gutes in der Welt leistet“.

Die Medienbilder von dieser Propaganda-Show in den Farben des Kirchentages dürften Merkel nützlicher sein als die vom Nato-Gipfel am selben Tag und den Menschen eher in Erinnerung bleiben. Dem nach seinem Auftauchen von vielen schon als Messias zumindest für Sozialdemokraten bejubelten Martin Schulz dürfte klar sein, dass er da nicht mithalten kann bei seinem Versuch, bei der Bundestagswahl im September nicht völlig unterzugehen.

Was das Ganze mit der auch von den beiden auf der Bühne erwähnten Trennung von Staat und Kirche, von Politik und Religion zu tun hat, wurde nicht im Ansatz kritisch hinterfragt. Daran hatten natürlich Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au und Bischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), als Moderatoren nur wenig Interesse. Sie verschonten Merkel und Obama mit allzu kritischen Fragen und verziehen dem Ex-US-Präsidenten, dass er meist auswich und nicht allzu konkret wurde. So, als Bischof Bedford-Strohm ihn fragte, ob ihm irgendetwas aus seinen acht Jahren Amtszeit weh oder leid tue.

Schweigen zum Krieg

Obama ging nicht darauf ein, dass er als Friedensnobelpreisträger der US-Präsident mit den meisten Kriegstagen ist, auch nicht darauf, dass am Ende seiner Amtszeit US-Truppen in sieben Ländern Krieg führten und führen, dass seine Administration für neue Atomwaffen und mehr Waffenverkäufe als die von George W. Bush sorgte und dass er mit den Kriegen immer wieder auch Völkerrecht ignorierte und brach.

Obama meinte nur, dass jemand in solch einem öffentlichen Amt nicht alles erreiche, was er sich vornehme, und lobte sich selbst für das, was er durchsetzen konnte. Im zweiten Teil der Veranstaltung durfte der Student Benedikt Wichtlhuber die vorbereitete Frage stellen, wie der Friedensnobelpreisträger den von ihm befehligten Drohnenkrieg heute sieht. Der Ex-Präsident erklärte darauf, dass die Zahl der Opfer verringert worden sei, aber die Drohnenangriffe notwendig seien, um Terroristen auszuschalten, die das eigene Land und dessen Bürger bedrohen.

Dafür bekam er keinen Widerspruch – nicht auf der Bühne, aber auch nicht aus dem Obama-frommen Publikum, das ihn immer wieder beklatschte. Er wurde ebenso von niemandem gefragt, ob die von ihm befohlenen und fortgesetzten Kriege nicht etwas mit dem Terror zu tun haben könnten, selbst nicht, als er immerhin sagte: Die Drohnen seien nicht das Problem, sondern der Krieg. Dafür durfte er unwidersprochen den ihm Zuhörenden mit den Terroristen Angst machen: „Das sind Menschen, die hier bei der Veranstaltung eine Bombe zünden würden.“

Das ganze Schauspiel auf dem Kirchentag wirkte und kam bei jenen an, die schon bei der wiederholten Ankündigung des Auftritts von Merkel und Obama in Jubel ausbrachen. Nur Merkel erntete einmal akustischen Unmut aus dem Publikum, als sie die Abschiebungen von Flüchtlingen und Asylbewerbern auch nach Jahren des Aufenthaltes in Deutschland als manchmal notwendig darstellte und nur schnellere Verfahren versprach. Zweifel waren selten und deutliche Kritik in keiner Form auszumachen, was nicht nur an den strengen Einlasskontrollen gelegen haben dürfte – in Bühnennähe keine Spur etwa von christlichen Friedensgruppen, dafür ein Schild „Obama, we love you“.

Zufriedene Zuhörer

„Es war cool und auch lustig. Einfach Obama zu sehen, war toll.“ So beschrieb eine der Zuhörenden ihren Eindruck auf Sputnik-Nachfrage. „Frau Merkel und Herr Obama sind die wichtigsten Menschen überhaupt, die wir je hatten und haben“, sagte ein anderer beim Gehen. „Jeder Präsident in den USA hat irgendwelche Kriege geführt“, deshalb sei Obama nicht unglaubwürdig. Das sah Andrea zumindest etwas anders, die aus dem australischen Melbourne nach Berlin gekommen war. „Bei Barack Obama bin ich mir da nicht so sicher“, sagte sie vor dem Auftritt der beiden auf der Bühne, nachdem sie Merkel als glaubwürdige Politikerin bezeichnet hatte. Die gebürtige Lübeckerin, die seit 30 Jahren in Australien lebt, fand das, was der Ex-Präsident von sich gab, auch danach nicht glaubwürdiger.

Konkretere Aussagen über die Zwänge von Politikern in Fragen von Krieg und Frieden hatte sich Peter Egenolf aus Koblenz vorher erhofft, der kein „glattgebügeltes Politikersprech“ von Merkel und Obama hören wollte. Danach war er etwas enttäuscht, weil Obama zwar rhetorisch sehr gut auf nicht zum ersten Mal gehörte Fragen geantwortet habe, aber jetzt, wo er nicht mehr in Verantwortung sei, nur wenig gesagt habe über die „Grenzen, in denen er sich befindet“. „Er hat das so formuliert: Ich kann nur einen kleinen Beitrag leisten und dann sind andere dran.“ Dennoch war der Koblenzer zufrieden, weil ihm manches gefiel, was die Kanzlerin und ihr US-Freund von sich gaben, und er gesehen habe, „dass die beiden sich auch ehrlich bemühen“.

„Mission accomplished“ – „Mission erfüllt“ – dürften die Wahlkampfmanager von Merkel und die PR-Manager von Obama am Ende festgestellt haben. Letzterer will ein Netzwerk von zukünftigen Führungspersönlichkeiten schaffen, die er als Trainer ausbilden will, wie er ankündigte. Ob er den „young leaders“ erklären wird, wie Kriege zu beenden, zu verhindern und gar nicht erst zu führen wären? Oder lässt er das Thema auch dann weg, weil er bei dieser im eigenen Wahlkampf 2008 selbstgestellten Aufgabe gescheitert ist?