Einäugiges Hilfsmittel der Nato stillgelegt – „Keine gute Arbeit und kein guter Geist“

Am Sonntag beendet das Internationale Jugoslawien-Tribunal in Den Haag nach 24 Jahren und 84 Urteilen seine Arbeit. Hannes Hofbauer, langjähriger Beobachter der Ereignisse auf dem Balkan, kritisiert das Tribunal als juristische Fortsetzung der westlichen Politik gegenüber Jugoslawien. Er erinnert an die Rolle Berlins und Wiens dabei.

Das vom UN-Sicherheitsrat 1993 geschaffene Internationale Jugoslawien-Tribunal (ICTY) sei von den USA und dem Westen als juristische Fortsetzung der Auseinandersetzung um den Zerfall Jugoslawiens benutzt worden. So sieht es der österreichische Publizist und Verleger Hannes Hofbauer. Er hat die Entwicklungen auf dem Balkan beobachtet und journalistisch begleitet. „Das, was die Nato militärisch im bosnischen Bürgerkrieg 1994/1995 begonnen und 1999 fortgesetzt hat, das ist dann juristisch weitergetrieben worden“, so Hofbauer im Gespräch mit Sputniknews über die Tätigkeit des Tribunals.

Der Publizist, dessen Buch „Balkankrieg. Zehn Jahre Zerstörung Jugoslawiens“ in fünfter Auflage erschienen ist, hält es für wichtig, Kriegsverbrechen aufzuklären. Das Tribunal in Den Haag sei dabei aber „auf einem Auge blind“ gewesen und habe vor allem serbische und kroatische Menschen aus Bosnien verurteilt. Mutmaßliche muslimische und kosovo-albanische Kriegsverbrecher seien kaum bzw. nicht dabei gewesen. So begleite dagegen der zwar angeklagte, aber freigesprochene kosovarische Milizionär Ramush Haradinaj heute als Premier eines der höchsten politischen Ämter in der abgespaltenen früheren serbischen Provinz Kosovo. Das sei ein Beleg, „dass das Tribunal einäugig agiert hat“.

„Keine Verständigung und keinen Ausgleich erreicht“

Hofbauer gehört zu jenen, die kritisieren, dass der völkerrechtswidrige Nato-Angriff auf Jugoslawien 1999 kein Thema in Den Haag war. Darauf sei das Tribunal allerdings gar nicht ausgerichtet gewesen, stellte er klar. Aber auch das positive Motiv, mit der juristischen Verfolgung der allerschlimmsten Kriegsverbrechen einen Ausgleich zwischen den einstigen Gegnern und ein gemeinsames Weiterleben voranzubringen, sei gescheitert. So gelte der verurteilte bosnisch-serbische Ex-General Ratko Mladic in Serbien nicht als Kriegsverbrecher, während in Kroatien der bosnisch-kroatische Kommandant Slobodan Praljak nach seinem Giftselbstmord im Gerichtssaal von Den Haag als Held gefeiert werde. „Es ist nicht gelungen, eine Verständigung zwischen den verfeindeten Volksgruppen herzustellen“, betonte Hofbauer.

Er widerspricht westlichen Einschätzungen, dass das Tribunal gute Arbeit geleistet habe. Es sei zum Beispiel seltsam, dass das Gremium seine Tätigkeit einstelle, obwohl Mladic Berufung gegen das Urteil gegen in eingelegt habe. Das zeige das Desinteresse bei den Initiatoren und Geldgebern an dem Fall. Hofbauer erinnerte im Interview daran, dass private Institutionen wie die „Open Society“-Stiftung des Milliardärs George Soros das ICTY mitfinanzierten. Es habe nie einen „guten Geist“ gehabt, den westliche Beobachter sehen. Das habe sich unter anderem gezeigt, als dem in Den Haag angeklagten ehemaligen jugoslawischen und serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic die von ihm geforderte medizinische Behandlung in Moskau verweigert wurde. In der Folge starb er 2006 vor Abschluss seines Verfahrens.

„Zerstückelt und teilweise von außen kolonial regiert“

Das Tribunal habe ebenso wenig geholfen, die historische Wahrheit über den Zerfall und die Zerstörung Jugoslawiens sowie die Kriege dabei zu ermitteln, ist für Hofbauer klar. Das zeigten nicht nur die weiter gepflegten verschiedenen Erzählungen in den jeweiligen Volksgruppen über die Ereignisse. In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Lunapark 21“ (Heft 40) macht der österreichische Publizist auf einen Aspekt der Vorgänge aufmerksam, der zur historischen Wahrheit gehört, aber in Den Haag keine Rolle spielte: Die Rolle und die Verantwortung Deutschlands und Österreichs für das blutige Geschehen auf dem Balkan.

Es sei in Vergessenheit geraten, dass Berlin und Wien die Unabhängigkeits-Bestrebungen in den jugoslawischen Teilrepubliken Kroatien und Slowenien sehr stark befördert haben. Die USA seien anfangs gegen eine Teilung Jugoslawiens gewesen – wegen der US-Milliardenkredite an Belgrad in der Zeit des Kalten Krieges und deren Rückzahlung. Dagegen der deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher und sein österreichischer Amtskollege Alois Mock auch mit Affronts und Provokationen gegen Belgrad die Bestrebungen unterstützt, die zum Zerfall Jugoslawiens führten.

Die USA und andere Staaten wie Großbritannien und Frankreich hätten später die geschaffenen Fakten wie die von Berlin und Brüssel anerkannte Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens akzeptiert. Washington habe sich aber erst im bosnischen Bürgerkrieg 1992 bis 1995 mit der Idee der bosnisch-muslimischen Föderation aktiv diplomatisch und militärisch eingemischt. 1991 warnte der damalige UN-Generalsekretärs Perez de Cuellar die EU: „Ich bin tief beunruhigt darüber, dass eine verfrühte, selektive Anerkennung den gegenwärtigen Konflikt ausweiten und eine explosive Situation hervorrufen könnte.“ Das wurde in Berlin wie in Wien ignoriert – aus wirtschaftlichem Interesse, wie Hofbauer erklärte: 

„Wenn man die stärkeren Teile unabhängig macht, Slowenien und Kroatien, dann gewinnt man wirtschaftlich an Boden. So ist es ja auch passiert. Slowenien ist bald in die EU gekommen, Kroatien später.“

Diese Politik sei weitergeführt worden. Das Ergebnis: „Heute ist der ehemalige Raum Jugoslawiens, der damals ein gemeinsamer war, vollkommen in verschiedenste Teile zerstückelt und teilweise von außen in einer Art Kolonialstil regiert, siehe Bosnien und Kosovo, mit fünf verschiedenen Währungen auf dem Gebiet, wo früher der jugoslawische Dinar die Einheitswährung war.“