Eine deutsche Studie zur Stimmung auf der Krim in diesem Jahr zeigt: Fast 80 Prozent der Menschen dort würden bei einem Referendum wieder für die Rückkehr nach Russland stimmen. Kritiker der deutschen Russland-Politik fordern deshalb, nicht mehr von einer „Annexion der Krim“ zu sprechen. Doch das wollen selbst die Autoren der Studie nicht.
Die Ergebnisse der Studie sind bemerkenswert. Sie widerlegen die antirussische Stimmungsmache zur Krim-Frage besonders in Deutschland. Die im Frühjahr 2017 befragten rund 2000 Krim-Einwohner, davon 200 Krim-Tataren, haben sich danach mit großer Mehrheit für Russland ausgesprochen. Etwa 79 Prozent würden bei einem neuen Referendum wieder für die Rückkehr zur Russischen Föderation stimmen, fanden die Forscher heraus.
Die Studie unter Leitung von Gwendolyn Sasse stammt vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) in Berlin, das 2015 auf Beschluss des Bundestages gegründet wurde. Es wird aus Mitteln des Auswärtigen Amtes finanziert, bezeichnet sich aber selbst als wissenschaftlich unabhängig. Sasse ist Leiterin des Zentrums.
Nach der Studie sehen sich 80 Prozent der befragten Krim-Bewohner als russische Bürger. Zum Vergleich: 2014, fast 25 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung, sahen sich nur 33 Prozent der Ostdeutschen als „richtige Bundesbürger“, wie Umfragen des Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums Berlin-Brandenburg (SFZ) ergaben.
Hohes Vertrauen zu Russlands Präsident und der russischen Armee
Selbst die Hälfte der befragten Krim-Tataren hat laut ZOiS angegeben, dass sie sich als russische Bürger sehen. Während etwa zehn Prozent der Befragten laut der Studie die Halbinsel verlassen wollen, haben danach fast zwei Drittel der Bewohner erklärt, sie seien mit der wirtschaftlichen Situation zufrieden. Ebenso viele gaben an, dass die ethnischen Gruppen auf der Krim friedlich zusammenleben. Besonders hierzulande erscheint es als beachtlich, dass der ZOiS-Studie zufolge der russische Präsident Wladimir Putin das größte Vertrauen bei den Krim-Bürgern findet. Gleich danach folgt die russische Armee. Die lokalen Behörden würden hingegen eher misstrauisch gesehen.
Andreas Maurer freut sich über die Ergebnisse der Studie. Der Kommunalpolitiker der Linkspartei aus dem niedersächsischen Quakenbrück war seit 2014 bereits sieben Mal auf der Krim. Es sei das erste Material zu dem Thema, das ernst zu nehmen sei, betonte er gegenüber Sputniknews.
„Die Ergebnisse decken sich zu 100 Prozent mit dem, was wir immer wieder auf der Krim gesehen und gehört haben, wenn wir mit den Menschen ins Gespräch kamen.“
Er habe immer wieder Journalisten und Politkern geraten, auf die Halbinsel zu fliegen oder zu fahren, um Informationen über die Lage und die Stimmung auf der Krim aus erster Hand zu bekommen – „und dann erst darüber zu schreiben“.
Anlass für politischen Kurswechsel gegenüber Moskau?
„Das Ergebnis der Studie war aus meiner Sicht zu erwarten“, erklärte der langjährige Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Wolfgang Gehrcke gegenüber Sputniknews. „Es ist nur die Frage, welche Schlussfolgerungen nun daraus gezogen werden.“ Für ihn gehört dazu, anzuerkennen:
„Die Menschen auf der Krim möchten in ihrer größten Mehrheit, dass die Krim zu Russland gehört“.
Er fügte hinzu: „Wenn das so ist, kann man Formen finden und verhandeln, mit denen alle leben können. Das ist eine der Schlussfolgerungen aus dem Umgang damals von Westdeutschland und der westlichen Mächte mit der DDR. Keiner wollte die DDR anerkennen, man hat aber daran nicht die Entspannungspolitik scheitern lassen.“ Eigentliche müssten nun bald Verhandlungen geführt werden, um die Sanktionen gegen Russland aufzuheben und Formen der grenzüberschreitenden Kooperation auch mit der Ukraine zu finden, findet Gehrcke. Berlin sollte Kiew klarmachen, dass die Sabotageakte gegen die Krim aufhören müssten.
Doch das dürfte kaum zu erwarten sein. Selbst die Studienautorin stellt die etablierte politische Sicht nicht in Frage. Das ZOiS machte auf Anfrage deutlich, dass die Einschätzung der deutschen Politik geteilt wird: „Unsere Umfrage legitimiert in keiner Weise das unter politischem Druck durchgeführte Referendum von 2014. Die Annexion der Krim war ein Verstoß gegen internationales Recht. Das wird im ZOiS-Report klar erwähnt.“
Repräsentative Umfrage nach wissenschaftlichen Standards
Die Studie sei von niemandem in Auftrag gegeben worden, sondern eine interne Entscheidung gewesen, hieß es. Das ZOiS betonte gegenüber Sputnik, dass es sich um eine repräsentative Umfrage entsprechend den wissenschaftlichen Regeln handele. Allerdings sei die Zusatzstichprobe unter den etwa 200 Krimtataren nicht repräsentativ, weil nur an einigen Orten durchgeführt, was aber nicht anders möglich gewesen sei.
Es sei um ein Stimmungsbild in der Region gegangen, erläuterte eine Sprecherin des Zentrums. Die Frage nach den persönlichen Verbindungen zu Verwandten in anderen Teilen der Ukraine sowie nach erfolgten Auswanderungen sei von zentraler Bedeutung gewesen. Das habe auch für die persönliche Einschätzung der eigenen wirtschaftlichen Lage und die eigene Identität gegolten. Für die Umfrage vor Ort seien „keine russischen, ukrainischen oder sonstigen Genehmigungen eingeholt“ worden, was auch kein Problem gewesen sei, hieß es. Das lokale und umfangreich vorbereitete Team der Interviewer sei anonym gewesen – das sei „bei vergleichbaren Umfragen Standardpraxis aus ethischen und Sicherheitsüberlegungen“.
Für Krim-Bewohner bleibt es Wiedervereinigung
Die wichtigste Botschaft der Studie ist für den Krim-Besucher Maurer: Die Rückkehr der Krim nach Russland „war eine Entscheidung der Bevölkerung“ und keine „Annexion“, wie im Westen behauptet werde und selbst beim jüngsten Petersburger Dialog in Berlin wiederholt worden sei. Maurer erklärte, er habe sich viel mit den Menschen auf der Halbinsel unterhalten, und spreche deshalb selbst von einer „Wiedervereinigung“. Das Ergebnis der Studie werde vielen im Westen nicht gefallen, zeigte er sich sicher: „Das passt nicht in den Plan und in das, was man immer versucht hat, zu vermitteln.“
Über das laut der Studie hohe Vertrauen der Krim-Bewohner gegenüber Russlands Präsident Putin und der russischen Armee ist Links-Politiker Mauerer nicht überrascht. Das sei sehr stark verwurzelt, wie er wiederholt bei seinen Besuchen erfahren habe – „ob man im Taxi sitzt, mit Verkäuferinnen oder älteren Menschen spricht“.
Krim-Tataren erfahren von Russland mehr Beachtung
Der Ex-Bundestagsabgeordnete meinte zu der vom ZOiS behaupteten eigenen Unabhängigkeit, er möchte das zwar glauben, sei aber skeptisch: „Bislang ist dieses Institut nicht durch vorwärtsweisende Ergebnisse seiner Forschung aufgefallen. Hoffentlich ändert sich das. Wir brauchen solche Institute, die wissenschaftlich arbeiten und die auch bereit sind, sich im Dienste der Wissenschaft mit den Geldgebern anzulegen.“
Zur Situation der Krimtataren erklärte Linkspartei-Politiker Maurer, dass er diese besonders beobachtet habe und immer wieder in deren Region gefahren sei. Er widersprach den Berichten westlicher Medien darüber, die „oft von Leuten geschrieben werden, die oft gar nicht auf der Krim waren“. Im Gespräch mit Krim-Tataren hätten diese immer wieder darauf hingewiesen, dass sich ihre Lebensumstände seit 2014 deutlich verbessert hätten. So sei die krimtatarische Sprache gleichberechtigt neben der russischen und ukrainischen Sprache. Das sei vorher nicht so gewesen. Der Mufti der Krimtataren habe Maurer berichtet, dass die muslimischen Tataren 30 Jahre lang auf den Bau einer Moschee gewartet hätten, was immer verzögert worden sei. Nun werde sie bereits im nächsten Jahr in Simferopol als größtes religiöses Zentrum auf der Halbinsel eröffnet.