Mit Sputnik 1 hat ein enormer Aufbruch für die Menschheit begonnen. Das sagt der deutsche Astronaut Gerhard Thiele mit Blick auf den Beginn der Raumfahrt vor 60 Jahren. Zu deren bedeutendsten Ereignissen zählt er den ersten internationalen Raumflug von Sojus-Apollo 1975. Die Raumfahrt wird globaler, blickt er in die Zukunft.
„Sputnik hat, das bezweifelt niemand, ein komplett neues Kapitel in der Geschichte der technologischen Entwicklung der Menschen aufgeschlagen, und damit auch der Möglichkeiten, die sich daraus ergeben.“ So bewertete Gerhard Thiele, als zehnter Deutscher im All, im Interview den Beginn der Raumfahrt am 4. Oktober 1957. „Auch wenn es aus heutiger Sicht nur ein sehr, sehr kleiner Körper gewesen ist, der nichts anderes konnte außer ‚Piep-Piep‘ zu machen, so war das doch der Anfang eines enormen Aufbruches. Und wie es oft ist: Jeder Fortschritt beginnt mit einem kleinen Schritt.“
Aus Sicht des Astronauten, der im Jahr 2000 mit dem US-amerikanischen Space Shuttle im All war (Mission STS 99), haben sich 60 Jahre Raumfahrt bisher gelohnt, denn „wir haben auf alle Fälle eine große Menge gelernt. Alle Anstrengungen haben sich gelohnt, die mit diesem Lernprozess verbunden sind.“ Für Thiele gilt das nicht nur für die unbemannte Raumfahrt. Diese sei oftmals eher ein Werkzeug, wenn zum Beispiel Satelliten für die Wettervorhersage oder die Kommunikation eingesetzt würden.
„Gerade die bemannte Raumfahrt ist für mich ein Beispiel dafür, wie wir Menschen uns ständig neuen Herausforderungen stellen und an diesen auch wachsen. Ich persönlich glaube, dass wenig die Menschheit so beeinflusst hat wie der Blick auf die Erde.“
Meilensteine in 60 Jahren Raumfahrt
Ihn persönlich beeindrucke aus der Geschichte der Raumfahrt am meisten das Bild, das William Anders von Apollo 8 aus der Mondumlaufbahn gemacht hat, wie die Erde über dem Mond aufgeht. Dieser Flug, bei dem Ende 1968 Menschen das erste Mal das Schwerefeld der Erde verließen, sei für ihn „ein absoluter Meilenstein“. Als solchen sieht er im Rückblick ebenso den Händedruck zwischen dem US-Astronauten Thomas Stafford und dem sowjetischen Kosmonauten Alexej Leonow im Jahr 1975 im Weltraum.
Am 17. Juli 1975 koppelten das sowjetische Raumschiff Sojus 19 und Apollo 18 aus den USA miteinander – das erste internationale Raumfahrtprojekt. Thiele erzählte, dass selbst Neil Armstrong, der erste Mensch auf dem Mond, diesen Moment als noch wichtiger erachtete als seine eigenen Fußabdrücke auf dem Erdtrabanten. In einer TV-Sendung 2010 habe Armstrong zu Leonow sinngemäß gesagt: „Your Handshake with Tom Stafford – that changed the world“.
Zu den Momenten der Raumfahrtgeschichte, „wo wir emotional tiefberührt waren und gehofft und gebangt haben“, zählt für Thiele der Flug von Apollo 13 im Jahr 1970. Bei diesem war es zu einer Explosion in einem Sauerstofftank des Apollo-Servicemoduls gekommen und eine Landung auf dem Mond deshalb nicht möglich. Es sei eine Meisterleistung gewesen, das stark beschädigte Raumschiff zur Erde zurück zu bringen und so die Besatzung zu retten.
In der Geschichte der unbemannten Raumfahrt findet er die Reise der ESA-Sonde „Rosetta“ zu einem Kometen und ihre Landung auf diesem Himmelskörper am bemerkenswertesten – „Ein Erfolg ohne gleichen!“ Was ihn am meisten bei seinem eigenen Flug ins All beeindruck habe, konnte der Astronaut nicht genau benennen: „Jeder Raumflug ist voll von besonderen Ereignissen.“ Das hätten auch Raumfahrer bestätigt, die öfter im All waren. Gerade der erste Flug sei „so komplett neu“, dass sich die Eindrücke nicht genau einordnen ließen.
„Natürlich ist der Start etwas sehr Emotionales und Besonderes, weil man nur hoffen kann, dass die nächsten achteinhalb Minuten gut und wie geplant über die Bühne gehen. Man hat zwar über ein Jahr lang darauf trainiert, gegebenenfalls einzugreifen, aber wir wissen sehr wohl, dass es durchaus auch Fehler geben kann, wo man nicht mehr eingreifen kann.“
Private Initiativen verändern Gesicht der Raumfahrt
Ihn habe „gar nicht mal so sehr der Blick auf die Erde“ beeindruckt, sondern der „in die entgegengesetzte Richtung, hinaus in die Schwärze des Weltalls.“ Für die Zukunft der Raumfahrt ist Thiele „relativ optimistisch“. Ein Trend sei: „Die Raumfahrt wird nicht nur internationaler, sondern globaler.“ So seien bereits an der internationalen Raumstation ISS insgesamt zehn Länder beteiligt (USA, Russland, Japan, Kanada und die ESA-Mitgliedsländer). „Da fehlt China, da fehlt Indien, da fehlen Brasilien und andere Staaten.“ Der deutsche Astronaut zeigte sich sicher: „Wir werden das bei zukünftigen Raumprojekten sehen, dass auch die integriert werden.“
Der zweite Trend sei, dass die private Raumfahrt zunehme: „Ich bin der festen Überzeugung, dass wir gerade eine Wende in der Raumfahrt erleben durch das Aufkommen des privaten Sektors.“ Private Initiativen würden „das Gesicht der Raumfahrt umkrempeln und in 60 Jahren das Bild der Raumfahrt bestimmen.“ Zudem seien private Firmen nicht an Ländergrenzen gebunden – „dann wird sie ohnehin wirklich global werden“, so der Astronaut.
Derzeit bereitet sich seine Tochter Insa Thiele-Eich gemeinsam mit Nicola Baumann unter anderem im Sternenstädtchen bei Moskau auf den ersten Raumflug einer deutschen Astronautin vor. Er freue sich für sie, aber wünsche sich eigentlich, dass beide fliegen können, denn „beide sind ohne Frage gut“. Auf die Frage, welche seiner eigenen Erfahrungen er seiner Tochter vermittelt habe, sagte Thiele: „Ich habe ihr für die einzelnen Auswahlschritte Eines mitgegeben: Bleibe ruhig und gelassen, auch wenn die Situation etwas anderes nahelegt! Sie sagt, das hat ihr in der einen oder anderen Situation durchaus geholfen.“ Es wäre das erste Mal, dass die Tochter eines Astronauten ins All fliegt, nachdem schon einige Söhne von Kosmonauten und Astronauten dem Weg ihrer Väter dorthin folgten.