Einflussreiche Kräfte wollen anscheinend die erneute Wahl von Kanzlerin Angela Merkel verhindern – auch aus den eigenen Reihen. Dazu trägt die Zeitung „Die Welt“ bei, die am 23. März „Zehn Gründe für Angela Merkels Scheitern“ aufzählte. Die reichen vom „Hillary-Faktor“ bis hin zur Bezeichnung Merkels als „Wegbereiterin von Rot-Rot-Grün“.
Zu den Gründen für ein Scheitern Merkels bei der Bundestagswahl im September 2017 gehört für Autor Stephan Götz-Richter, das Publikum habe „irgendwie den gefestigten Eindruck, als sei sie schon 25 Jahre am Ruder“, obwohl es erst knapp zwölf sind. Richter hat im September 2016 bereits die Wahl von Donald Trump mit zehn Punkten richtig vorhergesagt.
Auch der „Hillary-Faktor“ zählt für den Autor zu den Gründen. Hillary Clinton sei als US-Präsidentschaftskandidatin gescheitert, weil die Leute sie „einfach nicht mehr auf dem Bildschirm sehen wollten.“ Aus Sicht von Richter hat sich Merkel selbst überschätzt und „sehr smart verstanden, sich lange Zeit als die Unersetzliche zu positionieren“. Aber der Merkel-Effekt habe sich „gründlich abgenutzt“, stellte er als dritten Grund fest.
Der vierte Grund: Die „permanente Karriere-Killerin“ Merkel habe im Kanzlerwahlverein CDU „den Moment ihres selbstbestimmten Abgangs nun womöglich verpasst“. Sie mache sich „aktuell aller Fehler schuldig, für die sie seinerzeit Helmut Kohl erst angeprangert und dann auch an den Pranger gestellt hat.“
Will das Wahlvolk wieder einen Mann?
Die verpasste Chance des richtigen Abgangs spüre auch das Wahlvolk, das unter anderem „mal wieder einen Mann“ an der Spitze des Landes sehen wolle. Dieser fünfte Grund erklärt für Richter auch den „Martin-Schulz-Effekt“. Die Bürger spürten außerdem, dass Merkel selbst nicht so recht wisse, „wer sie ist und wofür sie steht“, sieht Richter als sechsten Grund. Der siebte sei, dass Merkel „von der SPD aufs Glatteis gestellt“ worden sei. SPD-Kandidat Schulz könne aufrufen, gleich das Original zu wählen – weil Merkel „wahrscheinlich als erfolgreichste sozialdemokratische Kanzlerin der Bundesrepublik in die deutschen Geschichtsbücher eingehen“ werde.
Die Schwäche der Grünen gehört für den Autor ebenso zu den Gründen. Dadurch habe Merkels Projekt von Schwarz-Grün auf Bundesebene keine Chance. Für dieses Projekt habe sie ihre viel kritisierte Flüchtlingspolitik konzipiert. Aber: „Je mehr sie ihrem grünen Traum nachstrebte, desto mehr entfernten sich nicht nur viele CDU-Wähler von diesem Projekt.“ Doch selbst die Grünen wollten „sich auf keinen Fall von Merkel umgarnen lassen.“
Droht der CDU und der Wirtschaft ein rot-rot-grünes Erdbeben?
Der Polit-Prophet sagte in seinem Text ein „Erdbeben“ in der CDU und in der deutschen Wirtschaft voraus, wenn „auf Merkels zwölf Jahre Rot-Rot-Grün folgen wird“. Die Kanzlerin habe zum Teil „eine stark sozialdemokratisch eingefärbte Politik betrieben“. Die Folge: „Rückblickend betrachtet werden CDU-Wähler und Wirtschaftskonservative Angela Merkel nicht nur als De-facto-Wegbereiterin der rot-rot-grünen Koalition zu verachten lernen.“ Richters Fazit: „Am Ende steht Angela Merkel bemerkenswert allein auf der Bühne.“ Ihr bleibe nur noch, „auf ihren eigenen Abgang zu warten“.
Der Beitrag in der „Welt“ klingt wie eine gezielte Attacke auf das Image der Kanzlerin, fast genau sechs Monate vor der Wahl. Allerdings ist für Beobachter nicht überraschend, dass das Blatt aus dem Springer-Konzern eine solche Position einnimmt. „Die Welt“ gilt – entgegengesetzt zu BILD aus dem gleichen Haus – als Ort der Merkel-Kritiker. Die Zeitung positioniere sich als „Anti-BILD“, stellte der Medien-Fachdienst Meedia bereits 2015 fest, indem unter anderem Horst Seehofer medialen Raum für seine Angriffe auf die Politik der Kanzlerin erhalte.
Eine Druckwelle von rechts gegen Merkel?
Seit Merkels Ausruf „Wir schaffen das!“ in der Flüchtlingskrise gibt es einen „Ruck nach rechts“ – auch in der Union. Darauf machte der Publizist Albrecht von Lucke bereits im November 2015 in der Zeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik“ aufmerksam. Merkels anscheinend überstürzte Flüchtlingspolitik habe eine „eine Spirale der rhetorischen Eskalation – und der Angstmache“ ausgelöst, mit Seehofer an der politischen und der „Welt“ an der medialen Spitze.
Unterdessen gilt SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz selbst Politikanalytikern wie Lucke als „Glücksfall“ und Hoffnungsträger für einen Regierungswechsel in Berlin. Die internen Machtkämpfe in der Union scheinen deren Chance auf den Machterhalt zu schmälern. Lucke schrieb in Heft 3/2017 seiner Zeitschrift von der „Stärke der SPD aus der Schwäche der Union“.
Aber vielleicht rechnen die eigenen Leute Merkel nur schlechte Chancen aus, gegen Schulz gewinnen zu können. Sie könnten versuchen, sie entweder auf Kurs zu bringen oder gar noch nach eine eigene Alternative zu finden. Vielleicht entspricht das aber nur der „cleveren Strategie von CSU und CDU“, nach dem Prinzip „Getrennt marschieren und vereint schlagen“ vorzugehen, wie der Publizist Albrecht Müller jüngst auf den Nachdenkseiten meinte.
Was macht Merkel-Freundin Friede Springer?
Die konservativen Kräfte in der Union werden genauso medial gegen Schulz angehen, wie sie es anscheinend gegen Merkel versuchen. Erste Berichte über interne Kritik gegen Schulz‘ Amtsführung als Präsident des EU-Parlaments deuten daraufhin. Ob das nötig ist, bleibt fraglich. Die steigenden Umfragewerte für den SPD-Kandidaten erklären Beobachter mit einer „Sehnsucht nach Gerechtigkeit“ in Deutschland. Ob ihre Hoffnungen erfüllt werden, wird sich zeigen. Als ARD-Moderatorin Anne Will am 29. Januar in ihrer Sendung allein mit Schulz sprach, stellte sie mehrmals fest, dass der in vielen politischen Fragen keine andere Position als die Kanzlerin einnimmt. Der reagierte darauf etwas pikiert.
Spannend bleibt bei den Medien, wie BILD sich gegenüber Merkel bis zum 27. September verhält. Das Blatt erreicht mehr Leser und potenzielle Wähler als „Die Welt“. Mehrheitsaktionärin Friede Springer gilt weiterhin als entscheidende Frau im Springer-Konzern, aber auch als enge Vertraute von Merkel. Und dem siebenköpfigen Kuratorium der „Friede Springer Stiftung“ gehört Joachim Sauer an – das ist der Mann der Kanzlerin. Die Verbindungen bleiben eng geknüpft.