Aus heiterem Himmel – Heute vor 40 Jahren: ein tapferes kleines Kerlchen namens Sputnik

Heute hat der Sputnik Geburtstag. Vor vierzig Jahren jagte das Vaterland der Werktätigen den ersten künstlichen Erdsatelliten ins All und versetzte dem Klassenfeind einen gehörigen Schrecken – zeugte er doch von der Leistungsfähigkeit der sowjetischen Industrie. Die Raumfahrt war geboren und für Jahrzehnte ein weltraum- technologischer Wettlauf in Gang gesetzt.

Sputnik heißt auf russisch »Reisegefährte«. Er war ein putziges kleines Kerlchen: Sein Durchmesser betrug 0,58 m und sein Gewicht 83,6 kg. Er hatte einen Sender mit 1 W Leistung und berichtete über die Luftdichte in der hohen Atmosphäre. Nach 22 Tagen war mit ihm nichts mehr anzufangen und so mußte er irgendwann einsam im Weltraum verglühen.

Zum Gedenken an den kosmischen jungen Pionier sprach jW mit Prof. Dr. Dieter B. Herrmann, Direktor der Archenhold-Sternwarte Berlin und des Zeiss- Großplanetariums Berlin.

F: Wie haben Sie den 4. Oktober 1957, den Start des ersten künstlichen Erdsatelliten erlebt?

Ich erinnere mich an den Tag noch sehr genau: Ich war 18 Jahre alt, hatte mein Physikstudium begonnen und war freier Mitarbeiter an der Archenhold-Sternwarte. Gerade an dem Abend hatte ich eine Führung durchzuführen. Auf dem Bahnhof Ostkreuz habe ich eine Sonderausgabe irgendeiner Tageszeitung in die Hand bekommen, in der gemeldet wurde, daß ein Sputnik gestartet war. Als ich dann hier ankam, war die Sternwarte schon schwarz vor Menschen. Ich wußte zu dem Thema nicht viel, stand aber vor einer erwartungsvollen Schar von Besuchern, die alle diesen ersten künstlichen Stern am Himmel erläutert haben wollten. Es kam für uns alle so ziemlich aus heiterem Himmel.

Rückwirkend betrachtet, war der 4. Oktober 1957 aber überhaupt nicht überraschend, sondern hatte ein lange Vorgeschichte. Erinnert sei insbesondere an die jüngere deutsche Vergangenheit, wo man Raketen im Zweiten Weltkrieg einsetzte, Stichwort Peenemünde. Die Peenemünder wurden teils in die USA, teils in die UdSSR geholt, um die Ära der Weltraumfahrt zu eröffnen. Außerdem hatte die Sowjetunion öffentlich erklärt, im damaligen Geophysikalischen Jahr 1957 einen Satelliten zu starten. Auf westlicher Seite traute man das der UdSSR gar nicht zu. Man war überzeugt, daß der erste Satellit aus Amerika käme. Für Außenstehende war das dann eine Superüberraschung, das plötzlich dieser Sputnik startete und die Raumfahrt-Ära einläutete. F: Haben Sie damals mit dem Teleskop der Sternwarte den Sputnik sehen können?

Dazu brauchte man gar keine Sternwarte. Die Menschen haben überall auf den Straßen gestanden und ihn gesehen. Sein »piep, piep« konnten wir allerdings hier in der Sternwarte hören.

F: Die Geschichte der Raumfahrt und ihrer Entwicklung ist lange Zeit als friedlich dargestellt worden. Als ginge es nur um friedliche Zwecke, um das Leben auf der Erde besser zu gestalten. Heute weiß man, daß die Sputnik-Rakete ein Abfallprodukt der militärischen Planung war. Wie stehen Sie dazu?

Mit diesem ersten Sputnik ist tatsächlich eine neue Ära der Wissenschafts- und Technikgeschichte eröffnet worden. Das ganze Bild des Sonnensystems hat sich vollständig verändert. Es war ein wirklich epochemachendes Ereignis, das eine enorme politische und vor allen Dingen auch militärische Bedeutung hatte. Es gab einen Wettlauf zwischen den USA und der UdSSR, der ein Teil des Kalten Krieges war. Die Raumfahrt hat sich aus militärischen Vorarbeiten entwickelt. Da sind zum Beispiel Wernher von Braun und die anderen, die in Peenemünde arbeiteten und uns immer versichern wollen, sie hätten ja eigentlich nur die friedliche Eroberung des Kosmos im Sinne gehabt. Die haben natürlich ganz genau gewußt, was sie dort machten und wofür sie es machen sollten. Das Ziel war immer ein militärisches.

In der realen Geschichte spielen sich eben die Dinge immer in einem Kräftefeld verschiedener Interessens- und Motivationslagen ab. Dieses Doppelgesicht weist alle Technik auf. Technik selbst ist nur eine Möglichkeit der Realisierung von bestimmten Prozessen und Vorgängen. Technik kann immer sowohl für friedliche als auch für kriegerische Zwecke angewendet werden.

Man kann sich die Geschichte von 40 Jahren Raumfahrt ohne die Konfrontation USA-UdSSR nicht vorstellen. Sie hatte den positiven Aspekt, daß die Raumfahrt mit sehr viel mehr Aufwand und mit viel höherem Tempo forciert wurde als zum Beispiel gegenwärtig.

F: Was sind für Sie die Höhepunkte der Raumfahrtentwicklung?

Die ersten Landungen auf den Planeten. Die sowjetischen Venuslandungen waren ja sensationell. Wir haben ein völlig neues Bild vom Planeten Venus bekommen. Die Aktivitäten beim Mars, die Voyager-Flüge zu den äußeren Planeten des Sonnensystems. Im erdnahern Raum natürlich die Langzeitflüge.

Oder das erste Aussteigen: Leonow 1965. Aber auch die aus östlicher Sicht sehr stark kritisierte Strategie des wiederverwendbaren Raumgleiters, des Space Shuttles der USA. Es ist vernünftig, daß heute die Raumstation auf der einen Seite und der wiederverwendbare Raumtransporter auf der anderen Seite miteinander kooperieren können, was früher aus politischen Gründen völlig ausgeschlossen war.

F: Was hat es dem Menschen gebracht, daß er selbst ins Weltall fliegt oder Geräte ins All schickt?

Der wissenschaftliche Aspekt ist ohne jeden Zweifel außerordentlich. Wenn Sie heute etwas über unser Planetensystem erfahren wollen, dann gibt es im wesentlichen nur noch Informationen, die durch die Raumfahrt gewonnen wurden. Das betrifft nicht nur den erdnäheren Weltraum, das Sonnensystem, sondern das betrifft auch die Galaxien, die entfernten Sternensysteme. Es handelt sich um Grundlagenforschung. Da sind viele Ergebnisse so weit eingeflossen in unseren Alltag, daß wir das gar nicht mehr merken.

F: Welche Beispiele gibt es da?

Der globale Blick auf die Erde. Wir haben jetzt das ganz große Problem: Die Erde ist bedroht, und zwar durch den Menschen selbst. Die Aktivitäten, die der Mensch hier entfaltet, besonders die industriellen Aktivitäten, sind für die Erde auf Dauer so nicht zu ertragen. Wir wissen, was globale Klimaveränderungen bedeuten würden, was der CO2- Ausstoß bedeutet, was die Ozonlöcher bedeuten, die wir selbst erzeugt haben. Wir erleben gerade in diesen Tagen die Folgen der Brandrodungen in Asien und vergessen, daß soziale Probleme dahinter stehen. Was im einzelnen passiert mit den Meeresströmungen, mit der Luftverschmutzung, mit dem Ozonloch, alles das, was letzten Endes das Schicksal der Menschheit entscheiden kann, das ist aus dem Orbit in einer Art und Weise analysierbar, die wir früher so nicht kannten. Ich denke, Raumfahrt kann ein Hilfsmittel sein, mehr natürlich nicht. Die Erkenntnisse können zur Verfügung gestellt werden, aber die Handlungen sind Aufgabe der Politik und natürlich Aufgabe jedes einzelnen Menschen.

F: Wie sehen Sie die Zukunft der Raumfahrt?

Ich denke, das große Ziel, auf das sich die internationale Raumfahrt konzentrieren wird, ist eine bemannte Marslandung in den ersten Jahrzehnten des kommenden Jahrhunderts. Die geplante internationale Raumstation ALPHA wird vielleicht der Anfang einer utopischen Idee sein: Eine Besiedelung des Weltalls durch die Menschheit. Der Mensch hat die Erde in einer unglaublichen Weise mit vielen Dingen umgestaltet. Man könnte in kosmischen Wohnwelten sozusagen alles, was man hier falsch gemacht hat, zurücklassen und dort noch mal neu anfangen. Allerdings ist das eine naive Hoffnung, denn diese Probleme haben nichts damit zu tun, daß die Menschheit auf der Erde lebt, sondern die haben damit zu tun, wie die Menschen sich sozial organisieren.

Zuerst erschienen am 4. Oktober 1997 in der Tageszeitung „junge Welt“