Bundesnachrichtendienst: „Stasi 2.0“ oder Schlapphüte ohne kontrollfreie Räume?

Alles „Stasi“ außer wir – so kann zusammengefasst werden, was BND-Chef Bruno Kahl, „Stasi“-Aufklärer Roland Jahn und Reporter Georg Mascolo am Donnerstag diskutiert haben. Ein „demokratischer Geheimdienst“ dient nur dem Land und seinen Bürgern, so der Tenor. Was das mit der Realität zu tun hat, hat die Runde nicht aufgeklärt.

Wer in der Berliner Chausseestraße an der neuen Zentrale des Bundesnachrichtendienstes (BND) vorbeikommt, wird sich fragen, was hinter der Fassade geschieht. Das lässt sich demnächst in einem Besucherzentrum der Geheimdienst-Zentrale erfragen – auch ganz spontan. Dazu hat BND-Präsident Bruno Kahl am Donnerstag in Berlin eingeladen.

von links: R. Jahn, B. Kahl, G. Mascolo

Die Einladung war, wenig überraschend, fast das einzige Konkrete, was Bruno Kahl über die Arbeit seiner Behörde in Berlin berichtete. Welche wahrheitsgetreuen Antworten die interessierten Besucher bekommen, verriet er nicht. Der Geheimdienst-Chef nahm an einer Podiumsdiskussion im „Deutschen Spionagemuseum“ teil. Die versuchte zu klären, was einen demokratischen Nachrichtendienst von einer Geheimpolizei unterscheidet. So stand es zumindest in der Einladung unter dem Thema „Stasi 2.0? Demokratie, Diktatur und die deutschen Geheimdienste“. Die stellte aber nicht die Frage, was denn ein „demokratischer Geheimdienst“ sein soll und ob es so etwas überhaupt geben kann.

Vorsichtig kritische Fragen

Neben Kahl saß mit Roland Jahn einer, der versucht, über einen aufgelösten Geheimdienst aufzuklären. Er ist seit 2011 „Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik“ (BStU). Die Runde moderierte der Journalist Georg Mascolo. Er leitet den Rechercheverbund der beiden Sender „Norddeutscher Rundfunk“ und „Westdeutscher Rundfunk“ (WDR) und der „Süddeutschen Zeitung“. Der machte sich vor allem mit Enthüllungen über internationale Steuerflucht („Panama-Papers“, „Paradise-Papers“) und mit dabei unbewiesenen Behauptungen über russische Verbindungen einen Namen. Letzteres führt immer wieder zu berechtigter Kritik an dem Rechercheteam.

Mascolo stellte dem BND-Präsidenten vorsichtig kritische Fragen zum jüngsten Cyber-Angriff auf das bundesdeutsche Regierungsnetz. Auch das Verhalten des Auslandsgeheimdienstes in der NSA-Affäre sah er nicht so positiv wie dessen Chef. Dafür stimmte der Journalist dem obersten „Schlapphut“ zu, als dieser an die „Selbstverantwortung der Journalisten“ appellierte. Sie sollten an die nationale Sicherheit denken, wenn sie Geheimdokumente veröffentlichen wollen, forderte Kahl.

„Kein Grund zum Schrecken“

Bruno Kahl

Erwartungsgemäß findet er, dass niemand vor einem Geheimdienst in einer Demokratie Angst haben müsse. Kahl wurde vom Publikum im übervollen Raum des Spionagemuseums gefragt, was die technologischen Entwicklungen wie die Digitalisierung für Spionage und Überwachung bedeuten. Darauf antwortete er:

„Diese ungeahnten Möglichkeiten sind in den Händen eines Rechtsstaates, in den Händen eines Gemeinwesens, in dem alle mitbestimmen können, kein Grund zum Schrecken. Aber sie sind ein Grund zum Schrecken in Diktaturen, in denen diese Technik gegen die eigene Bevölkerung gewandt wird. Das ist der Unterschied, für den wir alle arbeiten müssen und für den auch der Bundesnachrichtendienst arbeitet.“

Widerspruch bekam er dafür nicht. MfS-Unterlagen-Bewahrer Jahn stellte immerhin zu Beginn des Abends klar: „Abhören ist abhören. Da geschieht was Gleiches.“ Er verwies auf die Vorratsdatenspeicherung durch bundesdeutsche Sicherheitsbehörden als Beispiel für Gefahren, die von Geheimdiensten ausgehen.

Keine kontrollfreien Räume für den BND?

Das „Wissen über die Stasi“ müsse genutzt werden, um heute zu sagen: „Stopp! Hier muss man aufpassen. In dieser Demokratie müssen wir über bestimmte Dinge diskutieren.“ Entscheidend sei der Zweck der eingesetzten Mittel. Jahn warnte davor, „in guter Absicht die Freiheitsrechte der Menschen“ einzuschränken und im Namen der Sicherheit die Absicht ins Gegenteil zu verkehren. Das sei beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR, in der Runde immer als „Stasi“ bezeichnet, der Fall gewesen.

Natürlich erklärte der BND-Chef, dass der von ihm seit 2016 geleitete Dienst so etwas gar nicht mache und sich immer an das Grundgesetzt der Bundesrepublik halte. Mit einer Einschränkung: Für Terroristen wie IS-Kämpfer im Grenzgebiet zwischen Irak und Syrien gelte das deutsche Grundgesetz nicht. Kahl, früher Mitarbeiter von CDU-Minister Wolfgang Schäuble, behauptete, die bundesdeutschen Nachrichtendienste würden öffentlich kontrolliert: „Das schafft eine sehr, sehr große Transparenz.“ Wo etwas im Verborgenen bleiben müsse, sei der BND dennoch seiner Verantwortung dem Parlament gegenüber gerecht geworden. Er sehe „keine kontrollfreien Räumen“, meinte der „Schlapphut“. Regierung, Parlament und Justiz würden für eine „relativ wasserdichte Kontrolle“ der Geheim- und Nachrichtendienste sorgen.

Dagegen hatte unter anderem die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff bereits 2016 auf „kontrollfreie Räume“ trotz des BND-Reform-Gesetzes nach dem NSA-Skandal hingewiesen. Journalist Mascolo widersprach Kahl mit einem Zitat von Ex-Kanzler Helmut Schmidt über die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste: „In diesen Kontrollkommissionen sitzen Leute, die sich wichtig fühlen, aber kaum etwas ausrichten.“ In den letzten Jahren hätten wichtige Vorgänge das Parlament gar nicht erreicht, so der Journalist. Der BND-Chef meinte dazu, heute seien nicht mehr die Zeiten Helmut Schmidts.

Helmut Schmidt las keine BND-Berichte

Der hatte das Zitat aber erst 2013 geliefert, zum NSA-Skandal seine Erfahrungen als Regierungspolitiker wiedergebend. Der inzwischen verstorbene Ex-Kanzler schrieb damals in der Wochenzeitung „Die Zeit“ Interessantes zum Thema. In seiner Hamburger Zeit als Innensenator und damit Chef des Verfassungsschutzes sei aus seinem „Vorurteil gegenüber den Geheimdiensten ein endgültiges Urteil“ geworden.

„1969 wurde ich Verteidigungsminister, ich war damit auch zuständig für den Militärischen Abschirmdienst. Mein endgültiges Urteil wurde bestätigt. Deshalb habe ich mir später als Regierungschef niemals einen Bericht des BND vorlegen lassen. Ich wusste, die Einschätzung des Geheimdienstes beruhte zum Teil auf dem Abhören von Telefonen, manchmal auf Indizien und oft auf Eindrücken, die stark gefärbt waren durch die politische Präferenz des Berichtenden. Abgesehen davon: Jedermann weiß, dass die Auslandsgeheimdienste in aller Welt Dinge treiben, die nach dem dort geltenden Gesetz verboten sind. Oder sie tun, was das Gesetz befiehlt, und tun aber auch das, was das Gesetz nicht befiehlt.“

BND-Präsident Kahl erklärte am Donnerstag in Berlin, die Zeiten hätten sich geändert, „nicht erst durch die NSA“. Heute sei die Arbeit des Geheimdienstes sehr gut kontrolliert. Das Parlament stelle inzwischen das Maß an Öffentlichkeit, Transparenz und Kritik sicher, „was die Geheimdienste nicht nur brauchen, sondern auch wollen“.

In der DDR war alles schlimmer

Das Publikum, das immer wieder gern über Scherze der Podiumsrunde und des obersten „Schlapphutes“ lachte, lachte allerdings nicht, als dieser sagte: „Wir wollen keine unbeobachteten, vor uns still hinwirkenden, geheimnisvollen, obskuren Instrumente eines Staates sein, sondern wir wollen in der Öffentlichkeit mit dem, was wir als Dienstleistung erbringen, auch hinreichend transparent sein, um Vertrauen zu kriegen für unsere Arbeit.“ Kahl ergänzte mit Blick auf die BND-Aufgaben als Auslandsnachrichten- und Geheimdienst: „Wir tun nichts gegen unsere eigenen Bürger.“

Roland Jahn

Das sei bei der „Stasi“ alles ganz anders gewesen, erklärte und erinnerte Unterlagen-Bewahrer Jahn mehrmals. In der DDR habe es keine Medien gegeben, die wie jene in der Bundesrepublik dem Geheimdienst auf die Finger schauten. Das sei gerade in Konfliktsituationen notwendig, „dass klar ist, mit was für einem Auftrag wird gearbeitet, was hat dieser Dienst für eine rechtliche Grundlage und wie weit darf er überhaupt gehen“. Ein Dienst wie der BND müsse „jeden Tag deutlich machen, dass er nicht Stasi 2.0 ist“.

Vorwürfe gegen Moskau ohne Beweise

Als Mascolo von Kahl konkret wissen wollte, was bei dem jüngsten Hacker-Angriff auf das bundesdeutsche Regierungsnetz geschah, sagte der BND-Präsident nur, er sei dazu nicht eingeladen worden. Er bezeichnete später als „misslich“, dass die medialen Veröffentlichungen über den Vorgang „vor der Zeit“ es den Sicherheitsbehörden erschwert hätten, diesen und die Täter aufzuklären. 2016 hatte Kahl behauptet, Russland würde die Bundestagswahl 2017 hacken. Im November letzten Jahres warnte er grundsätzlich vor Russland und versorgte vor seiner entsprechenden Rede laut der Zeitung „Der Tagesspiegel“ „Journalisten heimlich mit russlandkritischen Informationen und Einschätzungen“. Bei der Veranstaltung behauptete Kahl allerdings, für den BND seien anders als früher keine bezahlten Journalisten mehr aktiv.

Das machte der Geheimdienstchef, obwohl der BND und der Verfassungsschutz Anfang 2017 in einem Bericht an das Kanzleramt feststellten, keine Beweise dafür zu haben, dass in Deutschland Desinformation im Auftrag der russischen Regierung betrieben wird. Mascolo hatte selbst mit seinem Team über die „dünne Faktenlage“ berichtet – unter der aufmerksamkeitsheischenden Schlagzeile „Die Angst vor dem langen Arm des Kreml“. Am Donnerstag ließ er sich von Kahl dazu erklären: Russland und China seien „nicht die beiden einzigen Quellen für Cyberangriffe“, aber „sehr prominente und häufige“. Fakten gab es dazu abermals keine – aber dafür war BND-Chef Kahl auch nicht eingeladen.