Das erfolgreiche Treiben der „Systempartei“ AfD – und was andere dazu beitrugen

Längst hat die Suche nach den Ursachen für die hohe Wählerzustimmung zur Alternative für Deutschland (AfD) bei der Bundestagswahl, besonders in Ostdeutschland, begonnen. Natürlich hat den Nährboden dafür die regierende Politik bereitet. Aber das reicht nicht aus, um das Wachsen der AfD zu erklären. Ein Kommentar

Das hat nicht Angela Merkel zu verantworten, wie manche behaupten, darunter der Verlierer der SPD, Martin Schulz. Seine Partei hat dagegen zum Wachstum der AfD viel mehr beigetragen, wahrscheinlich am meisten, wie auch die Partei Die Linke. Beide linke Parteien haben schon lange das Feld des Protestes und des Widerstandes gegen eine unsoziale Politik verlassen und anderen überlassen. Der französische Soziologe Didier Eribon hat Ähnliches in Frankreich in seinem Buch „Rückkehr nach Reims“ beschrieben. Die Sozialdemokraten taten das noch stärker als die Linkspartei, aber beide mit dem ständigen Reden davon, dass „Verantwortung übernehmen“ durch Mitregieren wichtiger ist als das Artikulieren sozialer Proteste in der Opposition. Das missachtet nicht nur die demokratisch wichtige Funktion der Opposition, sondern auch, was diese erreichen kann, wenn sie stark genug ist.

Ausgerechnet die AfD hat es gezeigt mit ihrer Politik und Propaganda gegen Flüchtlinge: Nach der „Flüchtlingskrise“ 2015 hat die Bundesregierung die Asyl- und Flüchtlingspolitik in einem Maße verschärft, dass die AfD sich entspannt zurücklehnen konnte und mancher Beobachter schon meinte, dass diese Partei deshalb schlechter abschneidet als zu Zeiten der „Flüchtlingskrise“.

Beachtenswert ist, was Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nach der Bundestagswahl stolz verkündete: „Wir haben Rot-Rot-Grün verhindert.“ Das ist auch dank der AfD gelungen. Es gibt Beobachter, die meinen, dass diese Partei deshalb ins Leben gerufen wurde. Lange Zeit galt eine mögliche Ablösung der zwölfjährigen CDU-Dominanz durch eine Koalition aus SPD, Linkspartei und Grünen als gar nicht so realitätsfern. Doch dann tauchte die „Alternative für Deutschland“ auf. Der gelang es, selbst das Wort „Alternative“ so negativ zu besetzen, dass jeder, der diesen einst linken Begriff benutzte, verdächtigt wurde, „rechtspopulistisch“ daher zu reden.

Eine „Alternative“ aus dem System heraus

Die AfD ist eine Antwort auf die Krise der etablierten Politik und der von dieser verursachten gesellschaftlichen Lage. Aber diese Antwort kommt ausgerechnet jenen Kreisen, die verantwortlich für die gesellschaftlichen Zustände sind. Die AfD ist nicht quasi aus dem Nichts entstanden, nur gedüngt vom Protest gegen die bisherige Politik. Davon künden unter anderem die Finanzquellen dieser Partei, die mit Hilfe des „Vereins zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten“ organisiert, aber auch getarnt werden. Dieser hat nicht nur Verbindungen in die Schweiz zu Personen, die in dem Umfeld der dortigen rechtspopulistischen „Schweizer Volkspartei“ (SVP) aktiv sind.

Der Verein, der der AfD in mehreren Wahlkampagnen half, hat Mitglieder, die schon für Banken und Konzerne tätig waren. Er arbeitet unter anderem mit rechten Kreisen wie dem „Studienzentrum Weikersheim“ zusammen. Das wurde gegründet vom früheren CDU-Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, bekam schon Spenden von der Daimler Benz AG und Unterstützung von der Rüstungsschmiede Krauss Maffei und lud zu Veranstaltungen in Räumen der Allianz AG und der Deutschen Bank ein.

Angeblich bekommt die AfD nur Spenden von einzelnen Bürgern, von kleinen und maximal mittelständischen Unternehmern. Doch das dürfte ebenso eine Täuschung sein. Sie ist nicht weniger eine Partei des Kapitals wie die anderen Parteien. Sie wird gebraucht und ist nützlich mit ihrem Anschein, „gegen das System“ zu sein: Es geht darum, das Potenzial an Protest und Widerstand, das infolge gesellschaftlicher Probleme und Krisen vorhanden ist, aufzufangen und umzulenken. Es muss in Bahnen gebracht werden, die das bisherige System von Macht- und Eigentumsverhältnissen nicht in Frage stellen und antasten. Schon in den 1960er Jahren gab es solche Ideen, den Geist der Revolte aufzunehmen und umzulenken, weg von linken Gedanken, von Vorstellungen, die das herrschende System ernsthaft in Fragestellen.

Gezielte und erfolgreiche Strategien

Dazu bietet sich immer noch der „Sündenbock“-Mechanismus an, durch den Einzelne oder eine Gruppe verantwortlich für die Lage gemacht werden, ohne dass sie es sind. Aber eine solche Gruppe wie aktuell die Geflüchteten sind greifbar, sind erreichbar für jene, die enttäuscht, frustriert oder einfach nur verängstigt sind, weil sie fürchten, auch noch sozial abzusteigen wie andere vor ihnen und um sie herum. Und so werden Menschen für die soziale Lage verantwortlich gemacht, für die Folgen neoliberaler asozialer Sparpolitik in den letzten beiden Jahrzehnten, die als allerletzte etwas dafür können.

Das Fatale ist: Diese perfide Spiel der AfD und anderer funktioniert. Das „Empörungsmanagement“ ist längst Teil politischer Strategien, um Unmut und potenziellen Widerstand in Gesellschaften für politische Ziele zu nutzen und auch zu steuern. Neben recht einfachen Techniken, zu denen das Besetzen von Begriffen wie eben der „Alternative“ gehört, werden längst subtile psychologische Mechanismen von Entscheidungs- und Meinungsbildung für eine effektive Meinungssteuerung eingesetzt. Das ist keine Verschwörungstheorie, sondern unter anderem in Lehrbüchern der PR und des Marketings nachlesbar. Es ist sicher zu verurteilen – aber der Erfolg gibt jenen Recht, die sie einsetzen. Dafür werden bewusst auch Krisen geschaffen, wie die „Flüchtlingskrise“, in deren Folge laut Untersuchungen die Menschen mehr Sorgen über die Zuwanderung äußerten als zuvor über ihre eigene soziale Lage.

Und so gelingt es, dass die AfD sich nicht nur als Partei der angeblichen bürgerlichen Mitte präsentieren kann, sondern auch als „Partei des kleinen Mannes“. Und dieser kauft ihr das ab, ohne genau hinzuschauen, dass diese Partei eine genauso neoliberale und asoziale Politik vertritt und umsetzen will wie jene „Vertreter des Systems“, gegen die sie angeblich ist. Das in den AfD-Papieren schwarz auf weiß nachgelesen werden, es kann auch nachgeschaut und gehört werden. Auch die Herkunft vieler führender AfD-Köpfe zeigt das.

Protest gegen Dominanz der Wirtschaftsinteressen

Es bleibt: Diese Methoden haben Erfolg, wie sich am Wahltag gezeigt hat. Dabei spielen auch die Medien eine wichtige Rolle, die noch jeden alternativen Politikvorschlag von links diffamieren und vorn vornherein als nicht umsetzbar abqualifizieren. Dagegen haben sie bekanntermaßen der AfD über das notwendige Maß hinaus eine mediale Bühne gegeben, auch weil dies ganz bewusst provoziert und mit den Aufmerksamkeitsmechanismen spielte.

Wer vor diesem Betrug an den „Abgehängten“, Frustrierten, zu Recht Empörten und Wütenden nicht nur in Ostdeutschland warnt, findet nur schwer Gehör und wird mindestens als „Kommunist“ beschimpft. Dabei geht es nicht um links oder rechts, sondern darum, die sozialen Interessen der Menschen, die in diesem Land leben, zu verteidigen und in die Politik einzubringen. Es dominiert der Wunsch nach ganz einfachen Antworten – und auch das nutzt jenen, die die Wut gegen ihre Politik und ihre Herrschaft umlenken wollen, damit sie sich nicht gegen sie wendet.

Das gab es alles schon mal in der Geschichte des Landes, mit allen bekannten Folgen. Parteien wie die SPD und Die Linke müssten nun Konsequenzen ziehen und wieder Protestparteien werden – gegen die Dominanz einer Politik, die der Wirtschaft dient, egal ob sie von der Union, der FDP oder der AfD betrieben wird. Gebraucht wird Protest, der wirklich verändert und eine andere Politik bewirkt, die tatsächlich alle Interessen in dieser Gesellschaft beachtet. Mag sein, dass das eine Illusion bleibt.