Karsten Voigt: Europäer wollen an Bedeutung gewinnen – Trump lernt noch

US-Präsident Donald Trump hat außenpolitisch noch unausgegorene Vorstellungen. Das meint Karsten Voigt (SPD), ehemaliger Koordinator der Bundesregierung für deutsch-amerikanische Zusammenarbeit. Er setzt darauf, dass Trump lernt. Für den Ukraine-Konflikt gibt es keine Lösung, er kann nur eingehegt werden, sagt Voigt im Interview.

Herr Voigt, wie schätzen Sie als ehemaliger Koordinator der Bundesregierung für deutsche-amerikanische Zusammenarbeit das aktuelle Verhältnis zwischen den USA und Deutschland bzw. Europa ein?

Für uns ist Trump ein wichtiger, aber auch ein schwieriger Partner. Wichtig deshalb, weil außerhalb der EU für uns Amerika das wichtigste Land ist. Aber schwierig, weil Trump Vorstellungen vertritt in Bezug auf die EU, die zurückhaltend bis negativ sind, von denen wir hoffen können, dass man sie noch verändern kann. Aber man muss erst einmal von dieser negativen Ausgangsbasis ausgehen. Das Zweite ist, dass er natürlich in vielen Dingen unausgegorene Vorstellungen vertritt. Das ist eine Frage, die sich im Laufe der Zeit ändern wird. Er lernt sozusagen mit dem Job. Das hängt dann sehr stark davon ab, welche Mitarbeiter er sich auswählt. Man muss mit einer Grundstruktur rechnen, in der für ihn die bedeutsamen Akteure international die Nationalstaaten sind. Er kann nicht verstehen, dass wir Europäer durch Bündelung unserer Souveränität auf europäischer Ebene insgesamt an Bedeutung gewinnen wollen und dass es für ihn deshalb als Gesprächspartner nicht nur den einzelnen Nationalstaat gibt, sondern auch die EU.

Sie haben in einem Vortrag in Berlin am 10. Mai auf langfristige Entwicklungstendenzen in Politik und Gesellschaft der USA hingewiesen. Wie ist das mit den aktuellen Entwicklungen verbunden, wie zuerst Hoffnungen auf eine andere Außenpolitik durch Trump, dann der Militärschlag gegen Syrien, nun die Meldung, dass FBI-Chef James Comey abgesetzt wurde?

Das Eine ist, dass die Amerikaner sich weniger engagieren wollen in vielen Konflikten. Das ist eine Tradition von solchen Leuten wie Trump, das entspricht der „Jacksonian Tradition“, wie man das in den USA nennt, dass, wenn sie intervenieren, meistens massiv intervenieren. In gewisser Weise hat er das ja gemacht in Syrien mit den Cruise Missiles. Das sollten seine Partner und seine möglichen Partner in Europa und in Russland bedenken, dass sie es immer mit jemandem zu tun haben, der anders handelt als wir das mit traditionellem Risiko-Kalkül und traditionellem Kalkül von Nutzen und Schaden von internationalen Regeln tun.

Sie kennen die USA sehr gut, sie kennen Russland sehr gut. Sie sind in ständigem Austausch auch mit Politikwissenschaftlern und Politikern in Russland und fahren demnächst wieder nach Moskau. Wie beurteilen Sie das Verhältnis USA zu Russland?

Ich glaube, dass das Verhältnis schlecht ist, vor allen Dingen aus deutscher Sicht wegen der Ukraine-Krise. Es kommt noch etwas hinzu: Dass es Russland nach wie vor nicht gelungen ist, ein positives, konstruktives Verhältnis zu zahlreichen der postsowjetischen Staaten und der ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten zu finden. Das Verhältnis von uns mit Russland ist immer noch besser als das zu zahlreichen dieser Staaten. Aber das lasse ich mal beiseite.
Die Amerikaner schauen, wie sich Russland im Iran-Konflikt und in Syrien verhält. Sie gucken nicht nur auf die Konfliktfelder in der Ukraine und im europäischen Teil der Welt. Sie sehen das als etwas, das ihren Interessen widerspricht. Ich kann mir vorstellen, dass das die russisch-amerikanischen Beziehungen auf absehbare Zeit belastet. Ein weiteres belastendes Element ist, dass die amerikanische Debatte, die eine innenpolitische Debatte ist, über die Rolle Russlands im Wahlkampf dazu geführt hat, dass einerseits Russland mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit steht als vorher – aber unter einem negativen Vorzeichen. Dieses negative Vorzeichen wird auf absehbare Zeit bleiben. Das heißt, die russisch-amerikanischen Beziehungen sind wichtig, aber äußerst schwierig. Die russischen Beziehungen zu den Mitgliedsstaaten der EU und zu Deutschland sind ja auch schwierig.

Zum Faktor Russland in der US-Innenpolitik: Wird da ein neuer alter Feind benutzt, um von ganz anderen inneren Fragen abzulenken?

Nein, die amerikanische Politik ist immer sehr stark innenpolitisch geprägt. Ich glaube, dass das nicht neu ist und dass das kein Ablenkungsmanöver ist, sondern: Wenn die Amerikaner glauben – und das glaubt die Mehrheit der Amerikaner inzwischen –, dass die Russen sich in ihren Wahlkampf eingemischt haben, um einen bestimmten Kandidaten zu featuren und einen anderen zu belasten, dann greift das das Kernverständnis der amerikanischen Demokratie an. Das ist aus amerikanischer Sicht negativer als die ein oder andere außenpolitische Aktion. Also: Russland hat an Bedeutung gewonnen in der amerikanischen Debatte, aber unter negativen Vorzeichen. Das ist der bedauerliche Zustand.

Was lässt sich daraus für die Zukunft schlussfolgern?

Man muss als Außenpolitiker möglichst immer in der Analyse realistisch sein, aber in den Intentionen optimistisch. Also bin ich das auch, das heißt, ich bemühe mich um eine Verbesserung der Beziehungen zu den USA natürlich zuerst, aber auch gegenüber zu Russland. Aber ich sehe, dass dort zahlreiche Schwierigkeiten sind. Ganz andere Schwierigkeiten mit den USA – Handelsfragen spielen da eine große Rolle, die EU spielt eine große Rolle –, als mit Russland, wo es um solche Themen geht wie das Baltikum, aber vor allem wie es mit der Ukraine-Krise weitergeht.

Wie schätzen Sie als erfahrener Außenpolitiker das Verhältnis Deutschland-Russland ein, mit realistischem wie auch optimistischem Blick?

Realistisch gesehen sind unsere Beziehungen beschädigt, weil nach deutschem Verständnis wir gar nicht die Annexion der Krim und der russischen Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine akzeptieren können, ohne dass das nicht zu Schwierigkeiten mit fast allen unseren östlichen Nachbarn führen würde. Das ist erheblich belastet. Aber gleichzeitig bemühen wir uns um eine Verbesserung der Beziehungen. Die sind ja auf der gesellschaftlichen Ebene relativ intensiv. Das ist ein Punkt, den viele vergessen, dass die russisch-deutschen Beziehungen auch in schwierigen Zeiten Eines auszeichnet: Dass sie ungeheuer intensiv sind. Das ist ein Pfund, mit dem man wuchern sollte und das man nicht vergessen sollte.

Was könnten beide Seiten in absehbarer Zeit aktiv für ein besseres Verhältnis tun?

Das Eine ist, dass man im Kulturbereich und diesen Bereichen weiter zusammenarbeiten kann. Das Andere sind die Fragen, wo man sich um Rüstungskontrolle bemühen muss. Ob das erfolgversprechend ist, kann ich heute nicht sagen. Das Dritte ist: Man muss sich um eine Einhegung des Ukraine-Konfliktes bemühen. Ich spreche nicht von einer Lösung des Ukraine-Konfliktes. Die sehe ich auf absehbare Zeit nicht. Ich hoffe, dass beide Seiten an einer Einhegung des Ukraine-Konfliktes das gleiche Interesse haben.

Sie sind in Kürze wieder in Moskau. Was raten Sie ihren russischen Gesprächspartnern?

Wenn ich in diesen Wochen und Monaten mit Russen rede, rate ich ihnen erstmal überhaupt nichts, sondern ich höre erstmal zu. Ich glaube, das ist sehr wichtig, dass man, bevor man russische Positionen kritisiert oder sich mit ihnen auseinandersetzt, erstmal versucht, sie zu verstehen.

Sie hatten in Ihrem Vortrag erwähnt, dass Sie glauben, dass in Moskau bestimmte Dinge nicht realistisch genug eingeschätzt werden. Haben Sie da vielleicht Ratschläge?

Ich mache keine Ratschläge. Ich habe meine großen Zweifel, ob die Moskauer Führung die Entwicklung in der Ukraine mit den ganzen Folgen so vorausgesehen hat, die Implikationen. Das ist ein Punkt, den man ernsthaft sehen muss. Und es kommt ein Zweites hinzu: Bei Syrien ist es sehr leicht reinzukommen, aber es ist sehr schwer, wieder rauszukommen.