Der Schweizer Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser hat ein neues Buch geschrieben, in dem er über das „Imperium USA“ aufklärt. Darin schlägt er einen weiten Bogen von der Besiedlung Nordamerikas durch Europäer bis zum digitalen Imperium in Gestalt von Facebook, Google und Co. Im Gespräch hat er erklärt, warum er das Buch geschrieben hat. Teil 1
Eine ganze Reihe von Büchern gab bereits Auskunft über den US-Imperialismus, die in den vergangenen Jahren erschienen sind: John Pilgers „Verdeckte Ziele“, „Putsch!“ von Stephen Kinzer, Bücher zum Thema von Noam Chomsky und von William Blum. Dazu gehört auch das jüngst erschienene Buch von Daniel Immerwahr „Das heimliche Imperium – Die USA als moderne Kolonialmacht“. Nun hat Daniele Ganser einen Überblick über das „Imperium USA“ vorgelegt.
Im Gespräch erklärte der Schweizer Historiker und Friedensforscher, warum er das Buch schreiben musste. Die USA würden als das mächtigste Land der Welt immer wieder das Interesse der Menschen auf sich ziehen. „Weil sie auch die meisten Länder bombardiert haben“, würden sich Menschen immer wieder mit ihr auseinandersetzen. „Mir ist einfach aufgefallen, dass es keine kompakte Übersicht gibt, von der Gründung der ersten Kolonie 1607 bis zu Facebook“, sagte Ganser.
Mit seinem Buch möchte er diesen bisher fehlenden Überblick leisten. „Ich möchte, dass es vor allem jungen Menschen zwischen 15 und 25 Jahren lesen können. Das heißt, das Buch ist so geschrieben, dass es kein Vorwissen braucht. Man kann es auch mit 50 oder 70 gut lesen.“
„Jedes Imperium ist gefährlich“
Der Historiker sieht die USA als Imperium in der Krise. Angesichts der aktuellen Unruhen in der US-Gesellschaft meinte er: „Die USA brennen.“ Zudem sei das Land politisch tief gespalten zwischen Arm und Reich sowie zwischen Republikanern und Demokraten, während gleichzeitig sein weltweites Ansehen sinke. „Ich finde, es war immer ein gefährliches Imperium“, sagte er zum Hinweis auf Emmanuel Todds „Nachruf auf die Weltmacht USA“ aus dem Jahr 2002. Der französische Politologe warnte damals vor der Gefährlichkeit des untergehenden Imperiums.
„Jedes Imperium ist gefährlich“, so Ganser dazu.
„Und der US-Imperialismus war gefährlich, als sie über Vietnam Napalm abwarfen oder in Chile die Regierung gestürzt haben. Ich sehe jetzt nicht, dass es im Moment gefährlicher ist als früher. Im Gegenteil: Trump hat weniger Kriege geführt als Obama. Das wird oft vergessen.“
Zum gegenwärtigen US-Präsidenten Donald Trump meinte der Historiker, dass dieser für ihn „sehr undurchsichtig“ sei. Er könne ihn nur schwer einschätzen, „weil er keine klassische imperiale Politik betreibt“. So habe Trump den Iran nicht bombardiert und dort keinen US-Militärstützpunkt etabliert. In den USA gebe es Stimmen, dass der derzeitige Präsident gegen den „Tiefen Staat“ der Eliten aus Politik, Wirtschaft, Militär und Geheimdienst kämpfe.
„Obama hat den Friedensnobelpreis nicht verdient“
Die von Trump befohlenen Militärschläge in Syrien, Afghanistan und Irak hätten bisher nur fortgesetzt, was seine Amtsvorgänger Barack Obama und George W. Bush begonnen haben. Allerdings sei der Präsident auch Geschäftsmann und Milliardär, erinnerte Ganser, der Trump „nicht sympathisch“ findet, was aber in der Analyse keine Rolle spiele.
Er sei „ganz klar der Meinung“, dass Trump-Vorgänger Barack Obama den Friedens-Nobelpreis nicht verdient habe, da er 2011 Libyen überfallen hat.
„Er hat zwar ein Mandat des UN-Sicherheitsrates gehabt, aber nicht für den Sturz oder die Ermordung von Gaddafi. Obama hat auch mit der Bombardierung von Syrien angefangen, 2014 war das. Aber schon zuvor hat er die CIA reingeschickt und im Rahmen der Operation ‚Timber Sycamore‘ alle Gegner von Assad bewaffnet. Das ist beides illegal und ein Verstoß gegen das Uno-Gewaltverbot.“
Zuvor habe George W. Bush Afghanistan und den Irak angegriffen. Trump habe diese Kriege nicht begonnen und Schwierigkeiten, wie angekündigt die US-Truppen abzuziehen. „Ich denke eigentlich, dass im Moment das Imperium weniger aggressiv nach außen ist, in der Zeit von Januar 2017 bis Sommer 2020“, sagte Ganser.
„Indianermorde sind Ursünde der USA“
Im Buch bringt er zahlreiche Beispiele aus den Etappen der US-Geschichte, seit der Besiedlung des Kontinents durch die europäischen Siedler bis heute. Damit beschreibt er den Weg zu dem Imperium USA, wie wir es heute erleben und auch kennen. „Man kann sicher sagen, die Indianermorde sind an und für sich die ‚Ursünde‘“, blickte der Autor auf die Anfänge zurück. Von den etwa fünf Millionen Ureinwohnern in Nordamerika zum Zeitpunkt der ersten europäischen „Entdecker“ Ende des 15. Jahrhunderts seien um 1900 nur noch etwa 250.000 am Leben geblieben.
„Das heißt, wir haben netto vier Millionen tote Indianer. Diese vier Millionen tote Indianer sind ein ganz wichtiger Punkt, der in Erinnerung gerufen werden muss.“
Ganser bezeichnete das als einen „sehr brutalen Start für einen Staat“.
Ein weiterer wichtiger Zeitpunkt ist aus seiner Sicht das Jahr 1898: „Man hätte davon ausgehen können, dass die USA innerhalb dieses doch großen Landes zwischen Atlantik und Pazifik sich begnügen und nicht weiter expansiv sind. Aber so war es eben nicht, sie haben dann die Philippinen erobert, sie haben Kuba erobert, sie haben Puerto Rico und sie haben Hawaii erobert. Das war alles 1898, plus minus ein paar Jahre.“
„Händler des Krieges“
Als weitere wichtige Etappe sieht Ganser im Ersten Weltkrieg, als die USA auf der Seite der Franzosen und der Briten Geld in den Krieg investierten. Daher sei „die Niederlage von Deutschland notwendig gewesen, weil Deutschland über Paris und London dieses Geld an die US-Banken zurückzahlen musste“. Der Historiker beschreibt die Vorgänge im Kapitel „Die Händler des Krieges“, einem für ihn „ganz wichtigem Teil des Buches“.
Im Gespräch verwies er außerdem auf den Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki 1945 durch die USA. „Das ist auch das einzige Mal in der Geschichte der Menschheit, dass überhaupt Atombomben auf Zivilisten abgeworfen wurden.“ Ein weiterer Etappenpunkt auf dem Weg zum globalen Imperium seien die etwa 600 Militärbasen gewesen, die seit 1945 und zum Teil schon vorher in fremden Ländern geschaffen wurden.
„Dann kommt natürlich 9/11, das ist für mich immer noch ein großer Einschnitt“, betonte der Friedensforscher. Er ärgere sich darüber, dass die Ereignisse vom 11. September 2001 nicht aufgeklärt werden.
„Man sagt: Ja, das ist jetzt schon lange her, des interessiert nicht mehr. Mich interessiert es und das wird noch viele Generationen von Historikern beschäftigen. Ich bin eben der Meinung, dass WTC 7 gesprengt wurde. Ich stütze mich da auf eine neue Studie der Universität Alaska, die wirklich sehr detailliert das Gebäude untersucht hat. Aber man hat große Mühe, darüber zu sprechen.“
„Der Kommunismus als Gegner war nur Vorwand“
Seit dem Zweiten Weltkrieg wurde alles, was die USA politisch, militärisch und wirtschaftlichen getan haben, als „Kampf gegen den Kommunismus“ ausgegeben. Ab 1989/90 verschwand erst der sozialistische Staatenblock und dann die Sowjetunion als großes Land, als erster erklärter sozialistischer Staat. Die Frage, warum das Imperium USA damals nicht die eigenen militärischen Ausgaben, das militärische Engagement zurückfuhr, beantwortete Ganser so:
„Weil es nie nur darum ging, den Kommunismus zu bekämpfen. Sondern es ging meiner Meinung nach darum, eine Vormachtstellung weltweit aufzubauen. Man geht außerhalb der eigenen Landesgrenzen, baut Militärstützpunkte, erschließt Handelsräume. Das ist eigentlich der Kern. Das hat aber nichts mit dem Kommunismus zu tun.“
Der Krieg gegen den Kommunismus von 1945 bis 1991 sei „nur eine Erzählung gewesen, um das Volk hinter sich zu scharen“. Der Historiker nannte das Beispiel Vietnam, das von den USA überfallen wurde und auf das mehr Bomben abgeworfen wurden als im ganzen Zweiten Weltkrieg. Da sei erklärt worden: „Wir müssen Vietnam bombardieren, weil dort sind böse Kommunisten.“ Doch die eingesetzten US-Soldaten hätten bald erlebt, dass sie in Südvietnam gehasst wurden, weil sie die Felder anzündeten, die Frauen vergewaltigten und die jungen Südvietnamesen als angebliche „Commies“ erschossen. Zumindest einige wache US-Soldaten hätten festgestellt: „Wir sind die Besetzer!“
„Kampf um imperiale Vorherrschaft“
Nach dem Ende des Vietnam-Krieges, als die USA abziehen mussten und das ganze Land kommunistisch wurde, habe sich gezeigt, dass die „Domino-Theorie“ nicht stimmte. Dieser zufolge hätten nach Vietnam auch alle anderen asiatischen Staaten kommunistisch werden müssen, was aber bis auf Kampuchea und Laos nicht der Fall war.
Ganser verweist in seinem Buch auch auf das Beispiel Indonesien, das als blockfreies Land ins Visier der USA geriet. Washington stürzte mit Hilfe der CIA 1965 Präsident Suharto, „weil diese Idee der Blockfreiheit nicht von den USA unterstützt wurde“. Er habe als Historiker aus der neutralen Schweiz für diese Idee eine große Sympathie.
Nach dem Ende des Kalten Krieges habe es keinen Gegner gegeben – „und dann bombardiert man 1999 Serbien!“ Das habe gezeigt, dass es offensichtlich nicht um den Kommunismus ging. Aus imperialistischer Perspektive sei es aber sinnvoll gewesen, das wehrlose Serbien mit der Nato anzugreifen. „Das ist das Gleiche wie 1898, da sehe ich den großen Bogen“, so Ganser. Das habe sich auch gezeigt, als der Westen am 7. Oktober 2001 in Afghanistan einmarschierte:
„Das ist immer der Kampf um imperiale Vorherrschaft und die Gründe dafür werden nur vorgeschoben. Das hat sich auch später daran gezeigt, dass es nach 1989 die erhoffte ‚Friedens-Dividende‘ nie gab. Nach dem Zerfall der Sowjetunion hätte man das Wettrüsten einstellen können und man hätte eine ‚Friedensdividende‘ auszahlen können, für Bildung, für Versöhnungsprojekte, für die Menschheitsfamilie.“
Ganser hob im Gespräch hervor: „Die USA haben im Gegensatz zu Deutschland nie Kriegsreparationen bezahlt, auch nicht an Vietnam, obwohl sie diesen Krieg verloren haben.“ Im Fall des verdeckten Krieges gegen Nikaragua in den 1980er Jahren seien sie sogar vom UN-Gerichtshof verurteilt worden. Die damalige US-Führung unter Präsident Ronald Reagan habe das Urteil einfach ignoriert. Die US-amerikanischen Kriege seien eindeutig Schuld der USA, was auch der Angriff auf den Irak 2003 zeige.
„Das Imperium nutzt digitale Kanäle“
Ganser beschreibt in seinem Buch auch das „digitale Imperium“ der USA, das geprägt ist vom Internet und Konzernen wie Microsoft, Apple, Facebook und Google. Zu den alten imperialen Mitteln wie Soldaten, Kanonen und Flugzeugträgern sind nun Drohnen und der Cyberwar hinzugekommen. Hinzukommt aus Gansers Sicht, dass der Kampf um die Meinungshoheit heute digital und global geführt wird. Die dominierenden Digital-Konzerne seien zumeist Unternehmen aus den USA.
Dem Historiker ist bewusst, dass seine kritischen Vorträge über den US-Imperialismus bei Youtube auf einem US-Kanal laufen. „Im Moment ist das möglich. Ich weiß aber nicht, wie lange das möglich ist.“ Der Kampf um die Meinungshoheit werde immer mehr über die digitalen Kanäle ausgefochten. Er habe festgestellt, dass selbst in der Schweiz nur sehr wenig über den US-Imperialismus zu erfahren war und ist. Das sei „kein großes Thema“ gewesen, bis auf einige wenige linke Publikationen, erinnerte sich der heute 47-jährige Historiker an seine Studien- und Doktorats-Zeit.
„Das hat mich immer geärgert“, sagte er dazu und begründete das:
„Wenn man in der Friedensbewegung ist, muss man doch zuerst darüber nachdenken, welches Land hat am meisten andere Länder bombardiert.“
Diese Tabelle führe ganz klar die USA an, stellte Ganser fest. Auch Russland und China hätten andere Länder bombardiert, „aber deutlich weniger“, fügte er hinzu.
Daniele Ganser: „Imperium USA – Die skrupellose Weltmacht“
Orell Füssli Verlag 2020. 400 Seiten; ISBN 978-3-280-05708-7; 25 Euro