Wissenswertes 5: Über Herrschaft und Macht

Der Psychoanalytiker Arno Gruen über das Zusammenspiel von Mächtigen und Ohnmächtigen, Herrschenden und Beherrschten

„Herrscher und Beherrschter, Unterdrücker und Unterdrückter sind in einen gemeinsamen Machtaustausch verwickelt, in dem Fürsorge zur Einschränkung der tatsächlichen Freiheit führt; das Ganze wird dann noch Liebe genannt. Der Preis der Anpassung an diesen Vorgang ist die Furcht vor der eigenen Freiheit und Lebendigkeit, und dies trotz aller eventuell zur Schau getragenen Rebellion. Man kann sich kritisch gegen die Normen einer Gesellschaft auflehnen, ohne sich dieser Furcht bewußt zu sein. Ohne es zu bemerken, haben wir uns bereits ergeben. Da, wo wir es weder bemerken noch wissen, haben wir uns mit der Macht selbst identifiziert. Die Furcht vor der eigenen Autonomie und vor der Lebendigkeit, zu der sie führt, wird zum unbewußten Angelpunkt unseres Lebens. Diese Zerstückelung unserer autonomen Möglichkeiten ist so umfassend, daß wir sie gar nicht bemerken.“

Aus: Arno Gruen „Der Verrat am Selbst. Die Angst vor Autonomie bei Mann und Frau“ München 1986; S. 35