Was die Corona-Krise bei uns anrichtet – Widersprüchliche Aussagen eines Psychiaters

Welche Folgen haben die politischen verordneten Anti-Corona-Maßnahmen? Was bewirkt die soziale Isolation, die Bundeskanzlerin Angela Merkel eingefordert hat? Sind die Maßnahmen grundsätzlich übertrieben und eher schädlich? Der Psychiater Manfred Spitzer versucht in einem Buch, Antworten zu geben. Die fallen aber sehr widersprüchlich aus.

Die Schulschließungen Mitte März im Rahmen der politisch verordneten Anti-Corona-Maßnahmen sind als „schwerwiegende Gefährdung“ für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen einzustufen. Das erklärt der Neurologe und Psychologe Manfred Spitzer in seinem Buch „Pandemie – Was die Krise mit uns macht und was wir aus ihr machen“.

„Geschlossene Kindertagesstätten und Schulen schaden nicht nur der Bildung, sondern auch der körperlichen, seelischen, sozialen Entwicklung junger Menschen, insbesondere dann, wenn sie aus eher schwachen oder schwierigen sozialen Verhältnissen kommen.“

Spitzer beschreibt ausführlich die Folgen für die Entwicklung der Heranwachsenden.

„Kinder brauchen für Ihre Entwicklung vor allem eines: andere Kinder.“

Sie seien „nicht dafür gebaut, Wochen oder gar Monate nur in der Familie zu verbringen. Eltern auch nicht.“ Beide hätten an den Schließungen der Bildungseinrichtungen „in nicht geringem Ausmaß“ gelitten, so der Psychiater.

Folgen für die Kinder

Er betont, dass diese Maßnahmen „einen negativen Effekt auf die Bildung der Schüler hatten“, und bezweifelt deutlich, dass der vielbeschworene digitale Ersatz-Unterricht hilfreich ist. „Mediziner fürchten Folgen für die Gesundheit von Kindern, und insbesondere Kinderärzte und Kinderpsychiater haben vor den schweren Langzeitfolgen der Corona-Krise für die psychische Gesundheit von Kindern gewarnt“, schreibt Spitzer. Er spricht sich in dem Buch, das er im Mai dieses Jahres abgeschlossen hat, für eine schnelle Wiedereröffnung von Kitas und Schulen aus, weil sie wichtig für die Bildung und die Psyche der heranwachsenden seien.

Der Psychiater meint:

„Corona bringt Kindern viel Leid, nicht weil sie krank werden, sondern weil unsere Maßnahmen sie krank machen.“

Solche Erkenntnisse sind in der Bundesrepublik nicht oft öffentlich zu vernehmen. Wer sie äußert, läuft meist Gefahr, als „Corona-Leugner“ ins Visier der mainstream-Medien. Doch das dürfte Spitzer, vom Verlags als „Bestsellerautor“ gepriesen, wenig kümmern.

Schaden durch Distanz

Er warnt auch vor den Folgen des als wichtige Anti-Corona-Maßnahme gepriesenen „social distancing“. So hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel am 16. März „die Erhöhung der Distanz, des Abstandes, … also das Verringern sozialer Kontakte“ als „die wirksamste Maßnahme, um die Ausbreitung dieser Infektion zu verringern“, bezeichnet. Spitzer sieht den körperlichen Abstand zwar ebenso als eine „sehr gute Maßnahme“ an, um die Ausbreitung des Virus Sars-Cov-2 zu bremsen, das laut Weltgesundheitsorganisation WHO die Krankheit Covid-19 auslöst.

Zugleich betont er, dass es nicht um soziale Isolation gehen dürfe, weshalb er lieber von „physical distancing“ spreche. Die auch von der Bundesregierung mehrfach propagierten Kontaktbeschränkungen hätten Anfang April in verschiedener Form rund 3,9 Milliarden Menschen in mehr als 90 Ländern betroffen. „Das muss Nebenwirkungen haben“, stellt der von Medien gern zitierte und gefragte Psychiater fest. Die Vereinsamung durch die Quarantänemaßnahmen sei „eine reale und ernst zu nehmende Gefahr“, warnt er.

Einsamkeit führe zu Stress, der wiederum zu Erkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes sowie einem geschwächten Immunsystem führe, erinnert Spitzer und verwiest auf entsprechende internationale Erkenntnisse dazu. Und:

„Zum Überleben brauchen in Gruppen lebende Wesen wie wir Menschen jedoch nicht nur einen unversehrten Körper, sondern auch eine funktionierende Gemeinschaft.“

Objektiv bestehende soziale Isolation sowie subjektiv erlebte Einsamkeit würden das Sterberisiko erhöhen. Diese beiden Faktoren würden sogar stärker als solche Risikofaktoren wie  Luftverschmutzung, Bewegungsmangel, schlechter Ernährung oder Rauchen und Alkohol die Gesundheit gefährden.

Fehlende grundsätzliche Kritik

Spitzer zitiert in seinem Buch zudem Erkenntnisse, das verringerte soziale Kontakte nicht nur den Stressfaktor für Betroffene erhöhen. Stress, der zu den Folgen sozialer Isolation gehöre, schwäche die Immunabwehr von betroffenen Menschen. Damit gehe auch eine erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Infektion und von Erkältungen einher. Studien würden belegen, dass eine geringe Anzahl sozialer Verbindungen „zur vermehrten Anfälligkeit für Infektionen führte“. Es habe sich ebenso gezeigt, „dass ein breiter gefächertes soziales Netz das Risiko vermindert, einen Schnupfen oder andere Infektionskrankheiten zu bekommen“.

Solche Informationen und Erkenntnisse machen das kleine Taschenbuch des vielschreibenden Psychiaters interessant und nützlich. Dazu gehört auch der Hinweis auf die wichtige Rolle von Kunst und Kultur in der menschlichen Gesellschaft. Diese seien „eben nicht Beiwerk, das man auch weglassen kann, solange man nur genug zu essen hat und die Wirtschaft brummt“. Sie hätten „sehr viel mit Gemeinschaft zu tun, die wir ebenso zum Leben brauchen wie die Luft zum Atmen und das Wasser zum Trinken“.

Spitzer liefert zahlreiche Argumente und Fakten, um die Anti-Corona-Politik der Regierenden in Bund und Ländern grundsätzlich zu kritisieren. Doch solche weitergehende Kritik ist in seinem Buch nicht zu finden, was es dem Autor erschwert, es wirklich als Lektüre zu empfehlen. Zwar stellt Spitzer schon im Vorwort fest:

„Der überwiegende Teil der Menschen leidet nicht, weil er an dem Virus erkrankt ist, sondern er leidet aufgrund der Folgen der Eindämmungsmaßnahmen, die er selbst bzw. andere Menschen zurzeit erdulden.“

Aber genau diese Maßnahmen, die auch in der Bundesrepublik das gesellschaftliche Leben massiv einschränkten und einschränken sowie für massive Kollateralschäden sorgen, findet er an sich richtig und stellt sie nicht grundsätzlich in Frage. Bei Thema Maskenpflicht schreibt er gar: „Leute, lasst euch nicht kirre machen von denjenigen, die etwas anderes behaupten: Tragt Masken, solange die Pandemie läuft!“ Mit Grafiken zu den aus anderen Ländern gemeldeten sogenannten Corona-Toten argumentiert er gar gegen jene, die hierzulande gegen die Anti-Corona-Politik öffentlich protestieren. „Mehr Ignoranz geht kaum!“, wirft Spitzer ihnen vor.

Einseitige Sicht

So geht er auch nicht auf die selbst von einem Mitarbeiter aus dem Bundesinnenministerium festgestellte fehlende Folgenabschätzung zu den Maßnahmen ein. Diese hätte dagegen die Ausbreitung des Virus Sars-Cov-2 verlangsamt, meint er mit Verwies auf entsprechende Studien. Auch hier geht er nicht auf die Zahlen des zuständigen Robert-Koch-Institutes ein, die zeigen, dass die als vermeintliche Infektionszahlen gemeldeten positiven Test-Ergebnisse schon vor dem Lockdown am 23. März zurückgingen.

Spitzer zitiert stattdessen eine Reihe von Studien, nach denen sich anscheinend die Anti-Corona-Politik als richtig erweist. Dazu gehören auch die längst von Fachleuten deutlich als übertrieben kritisierten Modellrechnungen wie die des britischen Imperial College vom 16. März, das für Großbritannien mehr als 500.000 Tote und für die USA 2,2 Millionen Tote durch Covid-19 im August vorhersagte, falls keine massiven Beschränkungen erfolgen.

Der Psychiater kritisiert zwar einzelne regionale Maßnahmen wie Reisebeschränkungen von norddeutschen Bundesländern als übertrieben. Aber er geht nicht auf die umfangreiche Kritik von anderen Experten, Medizinern und Betroffenen an den Maßnahmen insgesamt ein. Dafür warnt er vor „Verschwörungstheorien, Dummheiten und Fake-News“ und schreibt tatsächlich:

„Nach den derzeitigen Berechnungen werden die meisten Menschen am Coronavirus versterben, weil ihre Mitmenschen zu sorglos mit der Gefahr umgegangen sind.“

Beteiligung an Angstmache

Es müssten sich mehr Deutsche Sorgen um ihre Gesundheit machen, fordert Spitzer mit Blick auf den ARD-„Deutschlandtrend“ von Anfang April 2020, laut dem sich nur etwa die Hälfte vor einer Ansteckung mit Sars-Cov-2 fürchtete. Dass er das nicht mit Blick auf die von ihm selbst beschriebenen gesundheitlichen Folgen der Maßnahmen meint, wird besonders deutlich, wenn er hinzufügt:

„China hat seinen Bürgern während der Krise immer wieder eingehämmert: Ihr bringt andere um, wenn ihr euch nicht an die Regeln haltet. Dieses Bewusstsein fehlt hier noch sehr deutlich, vor allem bei jüngeren Menschen – möglicherweise aus Sorglosigkeit oder vielleicht eher aus Fahrlässigkeit. Gehen Jugendliche und junge Erwachsene wirklich so gerne über Leichen? Und noch dazu über die von Oma und Opa? Man muss sie vielleicht noch ein paarmal deutlich danach fragen.“

Der vielgefragte Psychiater von der Universitätsklinik in Ulm muss angesichts solcher Passagen gefragt werden, warum er sich aktiv an der politischen und medialen Angst- und Panikmache beteiligt. Er könnte es besser wissen, folgt aber der Rhetorik, die in einem öffentlich gemachten Strategiepapier aus dem Bundesinnenministerium zum Umgang mit Covid-19 beschrieben wird. „Um die gewünschte Schockwirkung zu erzielen“, solle die Urangst vor dem Erstickungstod aktiviert sowie bei Kindern Angst um ihre Großeltern erzeugt werden, heißt es in dem Material unter anderem.

Falsches Vertrauen

Am Ende seines Buches zitiert er Kanzlerin Merkel, die am 6. Mai 2020 behauptet hatte: „Vertrauen ist der Grundsatz.“ So wie sie den Bürgern vertraue, müssten diese den Behörden vertrauen, so die Kanzlerin. Spitzer dazu: „Sie hat recht.“ Eine Gesellschaft funktioniere nicht ohne Vertrauen, das helfe, dass Menschen „weniger gestresst und daher gesünder und sogar glücklicher sind“.

Der renommierte Psychiater scheint nicht in der Lage zu Erkenntnissen wie der des Soziologen Wolfgang Engler, der im April in der Berliner Zeitung zur Corona-Krise und den politisch verordneten Maßnahmen schrieb:

„Auch besteht kein Grund, den Regierenden blind zu vertrauen. Zweifel an ihrer Eignung als treue, entschlossene Sachwalter des Allgemeinwohls sind vielmehr angebracht. Die einseitige Parteinahme zugunsten der Besitzenden und Bessergestellten, die Hofierung von Selbsthelfertum, Egoismus und sozialer Vergesslichkeit hat den Gemeinsinn der Regierten über Jahrzehnte arg strapaziert. Der Klage von Amtsträgern über Bürger auf dem Egotrip, die den Ernst der Lage noch immer nicht begriffen haben, haftet etwas Scheinheiliges an.“

So bleibt ein zwiespältiger Eindruck von Spitzers Buch. Es bietet stellenweise interessante Fakten zu psychischen Problemen in Folge der Corona-Krise, liest sich aber in weiten Teilen wie ein Plädoyer für mehr Folgsamkeit der Bürger gegenüber dem Regierungskurs. Es wäre von einem Experten wie Spitzer mehr und anderes zu erwarten und auch notwendig gewesen.

Manfred Spitzer: „Pandemie – Was die Krise mit uns macht und was wir aus ihr machen
MVG Verlag München 2020. 240 Seiten; ISBN 978-3-7474-0257-3. 9,99 Euro