Bund und Länder halten am grundsätzlichen Anti-Corona-Kurs fest, wie ihre Beschlüsse vom Mittwoch zeigen. Dabei ist ihr Vorgehen nicht nur verfassungswidrig, sondern auch nicht von Fakten und Daten gestützt. Darauf weisen fünf Wissenschaftler hin, die bei der Bundesregierung nachgefragt haben. Einer von ihnen hat die Antworten kommentiert.
Die politisch beschlossenen Anti-Corona-Maßnahmen, die das gesellschaftliche Leben in der Bundesrepublik weiter massiv einschränken, waren ein „panischer Schnellschuss“ und sind verfassungswidrig. Das meint der Mainzer Ökonom Werner Müller in einem Text auf seiner Webseite. Er wertet darin die Antwort der Bundesregierung auf Fragen zur Corona-Krise und den Maßnahmen aus. Diese zeige:
„Die Regierung räumt also ein, dass sie keine Ahnung hat!“
Die Fragen hatte Müller gemeinsam mit vier anderen Professoren verschiedener Fachgebiete Ende April mit Hilfe von AfD-Bundestagsabgeordneten als „Kleine Anfrage“ über das Parlament gestellt. Zu den beteiligten Wissenschaftlern gehören außerdem der Medizinwissenschaftler Sucharit Bhakdi, Universität Mainz, der Immunologe Stefan Hockertz, früher an der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf tätig, der Ökonom Stefan Homburg von der Universität Hannover sowie der Psychologe Harald Walach, Universität Witten-Herdecke.
Unverhältnismäßige Reaktion
Sie hatten ihren Fragenkatalog unter das Motto „Die Schäden einer Therapie dürfen nicht größer sein als die Schäden der Krankheit“ gestellt. Die Fragen hatten sie in Form einer öffentlichen Anfrage an alle Fraktionen des Deutschen Bundestages geschickt. Doch nur Abgeordnete der AfD reagierten darauf und brachten sie ins Parlament ein.
„Die Wissenschaftler sehen schwerwiegende Folgen aufgrund des gegenwärtigen Ausnahmezustands, der von den Regierenden mit dem Kampf gegen den Corona-Virus begründet wird, auf das Land zukommen“, so die Fünf in ihrer Anfrage. Sie schätzten darin ein, „dass die Reaktionen der Regierung auf die Covid-19-Pandemie angesichts der davon ausgehenden Bedrohungen nicht verhältnismäßig sind“.
Bei der massiven Einschränkung von Grundrechten habe der Staat eine Bringschuld, seinen Bürgern die Rechtfertigung immer wieder darzulegen. Dabei sei die Abwägung des Für und Wider der Maßnahmen nachvollziehbar zu erläutern, so die Wissenschaftler. Sie stellten allerdings fest: „Es wurde bisher keine Abwägung der Folgen der Einführung der Maßnahmen gegenüber einem Verzicht darauf veröffentlicht. Wir zweifeln an, dass es diese Abwägung je gegeben hat.“
Ungerechtfertigte Maßnahmen
In der Vorbemerkung schrieben sie: „Wir zweifeln an, dass es überhaupt eine besondere Bedrohung der Bevölkerung und selbst der Risikogruppen gibt.“ Das begründeten sie mit Hinweis auf die Sterbestatistiken vor und während der Corona-Krise. „Wenn es aber keine besondere Bedrohung gibt, sind besondere Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung unverhältnismäßig“, stellten sie fest. „Wenn die Regierung die Rechtfertigung für ihre Maßnahmen nicht dezidiert darlegen kann, wären sie aufzuheben“, fügten sie außerdem hinzu.
Die Wissenschaftler wollten von der Bundesregierung wissen:
1) Welche konkreten Szenarien lagen am 13.03.20 vor, und aus welchen Grund hat sich die Regierung für Kontaktbeschränkungen und gegen die Herstellung der Herdenimmunität entschieden?
2) Was waren die Gründe, wegen der die Regierung in der Covid-19-Pandemie eine Bedrohung für die Bevölkerung sieht, obwohl sich die Sterblichkeit nicht wesentlich von den alltäglichen Todesfällen unterscheidet und sie sogar wesentlich niedriger ist als im Januar/Februar 2017, März/April 2018 und Juli/August 2018, als die Regierung keinerlei Aktivität gezeigt hat.
3) Mit welchen Gründen rechtfertigt die Regierung die hohen wirtschaftlichen Schäden und die zusätzlichen Sterbefälle, die aus ihren Maßnahmen resultieren, vor allem unter Berücksichtigung der geringen geretteten Lebenszeit.
4) Was sind die Gründe für die Schließung von Kindertagesstätten, Kindergärten, Schulen und Hochschule, wenn die Erkrankung doch an jungen Menschen spurlos vorbeigeht und eine natürliche Immunität möglichst vieler Menschen eher hilfreich im Kampf gegen noch wenig bekannte Erreger ist?
Allgemeine Erklärungen
Die Bundesregierung erklärte in der Vorbemerkung zu ihren Antworten: „Vorrangiges Ziel der jeweils eingeleiteten Maßnahmen war und ist es, die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus (Sars-Cov-2) in Deutschland einzudämmen bzw. zu verlangsamen, um Menschen vor Infektionen zu schützen und eine Überforderung des Gesundheitssystems zu vermeiden.“ Durch die Beschränkungen des gesellschaftlichen Lebens sei es gelungen, dass sich das Virus langsamer ausbreitet. Diese vermeintlichen Erfolge müssten gesichert werden, so die Regierung.
Sie verweist bei der Frage nach den Grundlagen für die Kontaktbeschränkungen auf die Situationsberichte des Robert-Koch-Institutes (RKI). Müller kommentiert die Antworten der Bundesregierung ausführlich auf seiner Webseite. Zur ersten Antwort stellt er fest: „Nach den Erkenntnissen aus dem Papier von Stephan Kohn aus dem BMI mit dem Titel ‚Analyse des Krisenmanagements‘, hat es keine professionelle Risikobewertung durch die Regierung gegeben, und es kann dann auch keine normale Entscheidungsvorbereitung gegeben haben. Die Antwort der Bundesregierung bestätigt diese Aussage.“
Im Ergebnis werde in der Antwort „eingeräumt, dass die Regierung im Blindflug entschieden hat“, so Müller. Er bezeichnet es als „erschreckend, wie leichtfertig aus einem Bauchgefühl heraus Maßnahmen beschlossen wurden, die Schäden in Billionenhöhe verursachen“. Und fügte hinzu: „Ohne Folgenabschätzungen für verschiedene Handlungsalternativen in mehreren Szenarien war der Lockdown also nach dieser Antwort ein panischer Schnellschuss!“
Fehlende Informationen
Auf die Frage nach den Gründen, warum die Covid-19-Pandemie von der Bundesregierung als bedrohlich für die gesamte Bevölkerung eingestuft wurde, wurde ebenso nur allgemein geantwortet. Es kam der Hinweis, dass das auslösende Virus Sars-Cov 2 neuartig sei und kein natürlicher Immunschutz dagegen vorhanden sei. Zum Thema der Sterblichkeitsraten, die den Wissenschaftlern zufolge insgesamt nicht höher sind als bei starken Grippe- und Hitzewellen in den Jahren zuvor, verwies die Regierung auf europäische Statistiken.
In seinem Kommentar dazu weist Ökonom Müller nach, dass trotz Covid-19 bis Mitte Mai in diesem Jahr insgesamt weniger Menschen starben als im Vergleich zu den Vorjahren. Er stützt sich dabei auf die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Ähnliches sei in den meisten Ländern der Europäischen Union (EU) verzeichnet worden: „Die Anzahl der gemeldeten Todesfälle für alle Altersgruppen in Europa zeigt, dass es 2020 zwar einen höheren Höchststand gab als in den Vorjahren, da aber die Basis im Jahr 2020 kleiner war als in den Jahren zuvor, war die Gesamtzahl der Todesfälle nicht signifikant höher.“
Die Frage der Wissenschaftler, wie die Bundesregierung die hohen wirtschaftlichen Schäden und die gesundheitlichen „Kollateralschäden“ durch die Anti-Corona-Maßnahmen rechtfertigt, wurde ebenso wenig konkret beantwortet. Es würden „keine Informationen zu einer geringen geretteten Lebenszeit in Bezug auf die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie“ vorliegen, so die Regierung. Das ist für Müller „absolut glaubwürdig“:
„Sie hat nicht nur keine Information, sie hat auch keine Ahnung! Sie hat sich auch in der ganzen Entscheidungsfindung nie bemüht, Informationen zu bekommen.“
Fehlende Folgenabschätzung
Auf die Frage der Verhältnismäßigkeit sei die Regierung nicht eingegangen. Weil sie keine Folgenabwägung getroffen habe, könne sie nicht nachweisen, dass die Maßnahmen angemessen sind. Müller erinnert daran, dass das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, dass bei Einschnitten in Grundrechte „das geschützte Rechtsgut das beeinträchtigte wesentlich“ überwiegen müsse. Doch das sei bei den Anti-Corona-Maßnahmen nicht nachgewiesen.
„Es stellt sich die Frage, ob bedrohtes Leben mit sehr hohem Aufwand und mit extremen Kollateralschäden gerettet werden muss. Hierzu hatte die Regierung nach eigener Aussage keine Information, und sie hat sich trotzdem für die Kollateralschäden entschieden. Ohne Folgenabschätzung (siehe Frage 1) und ohne eine Vorstellung zum Umfang der zu rettenden Lebenszeit konnte die verfassungsrechtlich für die Einschränkung von Grundrechten gebotene Güterabwägung nicht vorgenommen werden.“
Das zeigt aus Sicht der fünf Professoren, dass die Anti-Corona-Maßnahmen „übermäßig belastend und damit verfassungswidrig waren“. Müller geht in seinem Kommentar ausführlich auf die Frage ein, ob die über 80-Jährigen tatsächlich eine besondere Risiko-Gruppe sind. Die bisherigen Corona-Todesfälle in dieser Altersgruppe würden nur etwa ein Prozent der üblichen Todesfälle ausmachen. „Jede Grippewelle im Winter oder Hitzewelle im Sommer macht sich in der Todesfallstatistik in dieser Altersgruppe viel stärker bemerkbar als Codiv-19.“
Fehlendes Interesse
Der Ökonom stellt fest:
„Die Regierung verweigert jeden nüchternen Blick auf die Todesfallstatistik des Statistischen Bundesamtes und sie ist nicht bereit, sich den nötigen Überblick über ein unangenehmes Thema zu verschaffen. Nur aus diesem Grund hat die Bundesregierung keine Informationen über die zu erwartende Restlebenszeit der Geretteten.“
Die Antwort auf die Frage nach den Gründen, warum die Betreuungs- und Bildungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche geschlossen wurden, belegt laut Müller das Vorgehen der Regierung nach dem Motto „Erst schießen – dann fragen!“. Alle bekannten Daten würden zeigen, dass die Jüngeren am wenigsten von der Infektion durch Sars-Cov 2 und von Covid-19 betroffen seien. Sie müssten „aber wegen der Schließung der Schulen und Kitas neben den Selbständigen die Hauptlast des von der Bundesregierung zu vertretenden Kollateralschadens“ tragen. „Aus dieser Antwort folgt, dass ihr die wirklichen Probleme der Kinder egal sind!“, so der Ökonom.
Nach seinen Angaben machten die fünf Fragesteller am 5. Mai auf die Antworten der Bundesregierung mit einer Pressemitteilung aufmerksam. Diese sei an verschiedene bundesdeutsche Leitmedien übermittelt worden. Doch darauf habe es keine Reaktion gegeben. Damit reagieren wie Medien wie die angeschriebenen Parteien, von rechts bis links: Jegliche Zweifel und Kritik an den offiziellen Erklärungen zu Sars-Cov 2 und Covid-19 werden ignoriert.
Lückenhafte Medien
Wer sie äußert, wird maximal als „gefährlich“ diffamiert und seine Aussagen nur mit den Daten gekontert, auf die sich auch die Bundesregierung stützt. Ökonom Müller will dennoch „nicht von einer Lügenpresse sprechen“, dafür von einer „Lückenpresse“. Die Journalisten der sogenannten Leitmedien würden „mit den Politikern wie unter einer Käseglocke“ leben, „unter der sie die Wirklichkeit nicht richtig erkennen können“.
Der Ökonom sieht im medialen Umgang mit Kritiker am offiziellen Anti-Corona-Kurs Parallelen zum Umgang mit der bundesdeutschen Friedensbewegung in den frühen 1980er Jahren:
„Erst wurde die Bewegung ignoriert, dann als Agenten Moskaus (heute sagt man Verschwörungstheoretiker) diffamiert und danach als weltfremde Spinner und naive Weltverbesserer verspottet.“
Erst als mehr als eine Million Menschen gegen die damalige Nato-„Nachrüstung“ auf die Straße gingen, hätten die etablierten Medien von dem „exotischen Phänomen“ Kenntnis genommen, aber noch immer nicht objektiv berichtet.