Der erste Deutsche im Kosmos, Sigmund Jähn, ist im Alter von 82 Jahren am Samstag gestorben. Das haben die Agenturen am Sonntag gemeldet. Jähn hat mit seinem Raumflug 1978, einer Kooperation zwischen der DDR und der Sowjetunion, Geschichte geschrieben und anderen deutschen Raumfahrern den Weg gebahnt. Eine persönliche Erinnerung.
Es war der 26. August 1978. Ich war zwölf Jahre alt und mit meinen Eltern zu Besuch bei Verwandtschaft im mecklenburgischen Torgelow. Das Radio lief, das Programm von Radio DDR I. Plötzlich wurde es unterbrochen und mit ernster Stimme kündigte ein Sprecher eine Sondermeldung an. Ich glaubte wirklich im ersten Moment, der Krieg sei ausgebrochen. Aber nicht das wurde verkündet, sondern der Start des ersten Deutschen mit dem sowjetischen Raumschiff Sojus 31 in den Kosmos. Umso größer war meine Freude, interessierte ich mich doch schon länger für Raumfahrt und Kosmonauten. Und so hörte ich das erste Mal von Sigmund Jähn, dem ersten und einzigen Kosmonauten der DDR.
In dem Sommer vor 41 Jahren waren wir nur zu einem Abstecher bei der Verwandtschaft. Eigentlich machten wir Familienurlaub über den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) in einem Dorf bei Templin in der brandenburgischen Uckermark. Die restlichen Tage nach dem Start von Sojus 31 lief ich am frühen Nachmittag täglich einige Kilometer bis nach Templin. Ich wollte immer rechtzeitig am Zeitungskiosk sein, um die neuesten Ausgaben der Zeitungen und Zeitschriften mit den Nachrichten und Informationen zum Raumflug von Sigmund Jähn zu bekommen.
Mit dem Leben auf der Erde verbunden
Bis zur Rückkehr des DDR-Kosmonauten mit seinem sowjetischen Kommandanten Waleri Bykowski, am 3. September 1978, gab es einiges, was gedruckt wurde; auch danach. Ich habe es alles gesammelt, auch ein Plakat zum Raumflug, das damals in irgendeinem Schaukasten hing und ich mir dort irgendwie rausgeholt hatte. Es hängt noch heute bei mir zuhause an der Wand.
Sigmund Jähn wird von vielen, die ihm begegneten, als Mensch beschrieben, der trotz seines einwöchigen kosmischen Höhenfluges nie die Bodenhaftung verlor. Er war dem Leben auf der Erde aufs Engste verbunden, im Kleinen wie im Großen. Nach seinem Raumflug hat der einstige Jagdflieger eine Doktorarbeit zur kosmischen Erdfernerkundung geschrieben.
Dass er nie abhob, habe ich bei unserer ersten Begegnung erlebt. Es war am 1. Mai 1986 in der Berliner Karl-Marx-Allee. Da stand ich am Rand der offiziellen Demonstration mit anderen Wehrpflichtigen in Uniform Spalier. Und während die werktätigen Massen an uns eher lustlos als begeistert vorbeizogen, wurde in unserer Nähe ein General in Uniform professionell fotografiert. Er winkte den Menschen zu, lächelte in die Kamera – es war Sigmund Jähn, frisch zum Generalmajor befördert.
Ganz nah und ganz menschlich
Als der Fotograf mit ihm fertig war, kam er direkt auf uns zu. Kurz bevor er vor mir stand, hatte ich ihn endlich erkannt und konnte es nicht fassen, direkt vor ihm zu stehen. Er verzichtete völlig auf irgendwelches militärisches Gehabe, er immerhin im Generalsrang, ich als Unteroffizier. Er sprach uns an, schüttelte uns die Hand, fragte, wie es uns geht, ganz einfach und menschlich. Natürlich bleibt mir diese kleine Begegnung für immer in Erinnerung.
Das nächste Mal traf ich ihn Jahre später, 1997, bei einer Veranstaltung zu 40 Jahren Raumfahrt. Sigmund Jähn kam mit anderen Raumfahrern ins Russische Haus der Wissenschaft und Kultur in Berlin. Ich arbeitete damals für die Tageszeitung „junge Welt“, machte mit dem DDR-Kosmonauten ein Interview. Wir sprachen über seine damaligen Aufgaben für die Europäische Raumfahrtagentur ESA, für die er westeuropäische Raumfahrer auf Flüge in russischen Raumschiffen vorbereitete.
Und die Zukunft war Thema, der Flug zum Mars und die von manchen beschriebene Auswanderung der Menschheit ins All. Sigmund Jähn sagte damals dazu:
„Das ist eine völlig verquere Denkart. Wenn man so primitiv denkt, wie es teilweise in Science-Fiction-Darstellungen geschieht, dann lässt sich wirklich sagen, daß die Menschheit nichts wert ist. Denn erst die arme Erde kaputtzumachen und dann was Neues zu finden, das ist eine Horrorvision und außerdem nicht realisierbar. Milliarden Menschen auszusiedeln, das ist Nonsens. Wenn man schon überleben will und auch ordentlich und sinnvoll Raumfahrt betreiben will, müsste man die Erde überlebensfähig machen und dann als Menschheit in den Raum gehen. Nicht sich gegenseitig bekriegen und beschießen mit irgendwelchen weltallgestützten Laserwaffen, sondern den Mars als eine humane Aufgabe anfliegen.“
Zeitgemäßer Blick auf die Erde und die Raumfahrt
20 Jahre später, im April 2017, konnte ich Sigmund Jähn wieder sprechen. Bei einer Veranstaltung im Russischen Haus fragte ich ihn erneut nach seiner Sicht. Das Ziel der Raumfahrt sei es eigentlich, „zu verstehen, dass die Dummheiten und Verbrechen, die wir mit dieser kleinen Erde betreiben, nicht endlos unbestraft bleiben.“ Pläne für Raumflüge zum Mars fand er damals unrealistisch und unzeitgemäß: „Zeitgemäß ist es, die Erde zu beschützen!“
Der erste Deutsche im All hatte zwar mit der Zeit einen zunehmend skeptischen Blick auf Sinn und Zweck der Raumfahrt. Aber die Begeisterung dafür ließ ihn nie los. Und so war er Gast beim Start von Alexander Gerst bei dessen zweitem Start 2018 in Baikonur zur internationalen Raumstation ISS. Von dort war Jähn selbst 40 Jahre zuvor ins All zur sowjetischen Raumstation Saljut 6 gestartet. Gerst bezeichnete den Kosmonauten aus der DDR als „sehr guten Freund“.
Ich habe ihn noch mehrmals bei verschiedenen Veranstaltungen gesehen und erlebt, zuletzt Ende Juli 2018 zur „Fiesta de Solidaridad“ in Berlin-Lichtenberg. Dort trat er zusammen mit dem kubanischen Kosmonauten Arnaldo Tamayo Mendez auf. Auf den Blick von oben auf die Erde und die aktuellen Konflikte auf dieser angesprochen, sagte Jähn damals: „Das ist eine Frage, die mir als Problem oft durch den Kopf geht.“ Er erinnerte sich an den Anblick des Amazonas-Gebietes und wie er dort 1978 bereits die Schneisen durch das Dschungelgebiet sah, geschlagen „von Leuten, die nichts weiter im Sinn haben als Gewinn zu machen, Gnade Gott, was mit dem Land passiert“.
„Bewahrt unsere Erde!“
Nach dem Gespräch gaben Jähn und sein kubanischer Kosmos-Kollege ununterbrochen und ausdauernd Autogramme. Auch das machte ihn aus: Immer beantwortete er geduldig die Fragen von Fans, signierte Fotos und Briefmarkensammlungen, ließ sich mit jenen fotografieren, die ihn anhimmelten. Und er versuchte, jeden Brief zu beantworten, den er bekam. Das wurden zu seinem 80. Geburtstag 2017 so viele, dass er noch ein Jahr später Antworten schrieb und bei der Veranstaltung Ende Juli bat: „Bitte nicht mehr schreiben.“
Nun hat er sein langes und bewegtes Leben beendet und mancher Brief an ihn wird unbeantwortet bleiben. Bei einer Veranstaltung vor Jahren verriet er einmal, dass er 1960 einen Absturz überlebte: Bei der MiG-17 war das Triebwerk ausgefallen und Jähn konnte sich rechtzeitig herauskatapultieren. Den Raumflug 1978 überstand er nicht ganz unbeschadet: Von der harten Landung in der kasachischen Steppe behielt er einen Wirbelsäulenschaden. Das konnte ihn nicht hindern, bis zuletzt aktiv zu sein und seine Erfahrungen einzubringen. Obwohl er niemand war, der den Rummel um die eigene Person suchte, stellte er sich den Wünschen seiner Fans und gab bereitwillig Interviews. Und er mahnte bis zum Schluss: „Bewahrt unsere Erde!“ So behalte ich ihn in Erinnerung: als Raumflieger mit Bodenhaftung.