USA und Nato als „Elefanten im Raum“ bei Tagung zum deutsch-russischen Verhältnis

Der Abzug der sowjetischen Truppen aus der wiedervereinigten Bundesrepublik 1994 hat viele Hoffnungen auf ein gutes deutsch-russisches Verhältnis hervorgebracht. Davon ist heute nicht viel übrig. Eine Veranstaltung in Berlin hat sich unter anderem damit beschäftigt und gefragt, wie wieder Vertrauen und Kooperation möglich sein können.

„Was heute unmöglich erscheint, kann morgen Realität werden“ – mit diesem Zitat von Russlands Präsident Wladimir Putin beschrieb Alexej Gromyko am Dienstag in Berlin, warum er die Zukunft der deutsch-russischen Beziehungen vorsichtig optimistisch sieht. Der Politikwissenschaftler vom Europainstitut in Moskau ist Enkel des langjährigen sowjetischen Außenministers Andrej Gromyko. Er nahm an einer Diskussionsrunde zum Thema „Sicherheit durch Vertrauensbildung und Kooperation heute“ in der deutschen Hauptstadt teil.

Gromyko betonte, es sei wichtig, die Geschichte zu kennen und zu verstehen, um Lösungen für die heutigen Probleme zu finden. Er beschrieb die leidvollen Erfahrungen seiner Familie mit deutschen Soldaten seit 1918. Für seinen Großvater sei deshalb klar gewesen, dass Kriege zwischen den Völkern nur Unheil bedeuten.

Aus Sicht des Moskauer Politologen normalisieren sich die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen langsam wieder. Er warnte gleichzeitig davor, das Verhältnis Deutschlands zu den baltischen Staaten wichtiger zu nehmen als das zu Russland.

Im Hintergrund das Nato-Symbol

Zu der Veranstaltung mit zwei Diskussionsrunden hatte die „Stiftung West-Östliche Begegnungen“ aus Anlass des 25. Jahrestages ihres Bestehens eingeladen. Dabei wurde an den Abzug der sowjetisch-russischen Truppen 1994 aus der wiedervereinigten Bundesrepublik erinnert. Bevor es um den heutigen und den künftigen Zustand des Verhältnisses zu Russland ging, erinnerte Ex-Kanzler-Berater Horst Teltschik und eine Podiumsrunde mit Zeitzeugen an die Ereignisse vor 25 Jahren und die weitere Entwicklung.

Zu den Partnern, die die Stiftung bei der Veranstaltung unterstützten, gehörte auch die Deutsche Atlantische Gesellschaft (DAG). Und so kam es, dass nicht nur Teltschik, sondern auch Russlands Botschafter Sergej Netschajew vor dem Banner der DAG sprachen und hinter ihnen das Nato-Kreuz zu sehen war. Das war eines der kleinen und sicher unbeabsichtigten Details einer interessanten Veranstaltungsrunde.

Die Nato war immer mal wieder Thema, wenn nach den Ursachen für das erkaltete Verhältnis zwischen dem Westen und Russland nach den Hoffnungen in den 1990er Jahren gefragt wurde. Selbst Gernot Erler, ehemaliger Russland-Beauftragter der Bundesregierung, kam nicht umhin festzustellen, dass Russland meist auf westliche Schritte reagierte. Das habe in den letzten zwei Jahrzehnten zu einer Entfremdung zwischen beiden Seiten geführt, die Erler bedauerte. Sie habe unter anderem zum Ukraine-Konflikt 2014 geführt.

Forderung nach „Helsinki II“

Er warnte zugleich vor den Folgen einer „beispiellosen Eskalation“ im Rüstungsbereich in den letzten Jahren. Dennoch habe er „vorsichtige Hoffnung“, dass zum Beispiel der Ukraine-Konflikt langfristig gelöst werden könne. Grundsätzlich sei ein langfristiger Dialog notwendig, der am Ende über einen Konferenzprozess wie in den 1970er Jahren zu einem „Helsinki II“ führen könnte. „Gemeinsame Sicherheit bleibt nur auf der Basis von Vertrauen und Kooperationsbereitschaft erreichbar“, so Erler, der forderte, die Eskalation zu stoppen.

Zwar war auf dem Podium deutlich das Nato-Symbol zu sehen, aber die Rolle des westlichen Militärbündnisses und seiner Führungsmacht USA wurde insgesamt selten angesprochen. Doch vieles was gesagt und besprochen wurde, hatte damit zu tun, ohne das es immer direkt so benannt wurde. Das wirkte fast wie der sprichwörtliche „Elefant im Raum“.

Immerhin stellte der Politikwissenschaftler Peter Schulze aus Göttingen klar, dass die Politik der Europäischen Union (EU) „praktisch in Geiselhaft genommen wird, über die Situation in der Ukraine“ – und zwar von den baltischen Staaten und den USA. So werde eine Lösung des Konfliktes durch das „Normandie-Format“ verhindert. Schulze betonte, dass Russland in die Gestaltung Europas einbezogen werden müsste. Dazu gehöre, die russischen Sicherheitsinteressen genauso ernstzunehmen wie die der der Balten und Polens.

Westliche Wahlberichterstattung „völlig anders“

Der Göttinger Politologe war kürzlich als halboffizieller Wahlbeobachter bei den russischen Kommunalwahlen in Sankt Petersburg dabei. Was er dort gesehen habe, von der perfekten und korrekten Organisation bis hin zum Einsatz modernster Technik sei „völlig anders“ gewesen als das, was die bundesdeutschen Medien darüber berichtet hätten, beklagte er.

Sein Fazit: „Wir haben in keinem der von uns besuchten Wahllokale irgendwelche Unregelmäßigkeiten festgestellt.“ Schulze forderte dazu auf, über die falschen Erzählungen der Wirklichkeit in Russland aufzuklären. Zugleich bedauerte er, dass der Westen zahlreiche russische Vorschläge Moskaus für eine gemeinsame Sicherheit „zurückgebürstet“ hat. Mit Blick auf die aktuelle Situation zeigte er sich „eher pessimistisch“.

Erinnerung an deutsche Verantwortung

André Hahn erinnerte unter anderem an die deutsche Verantwortung für 27 Millionen sowjetische Tote und unermesslichen materiellen Schaden in Folge des faschistischen Überfalls im Zweiten Weltkrieg. Der Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Mitglied der Deutsch-Russischen Parlamentariergruppe, meinte, „das müsste öfter mal wieder ausgesprochen werden“.

„Diese Schuld verjährt nicht und deshalb darf es in der Politik der Bundesrepublik heute gegenüber keinem der 15 Nachfolgestaaten der Sowjetunion neutral oder gar ablehnend zugehen. Das muss eine wichtige Grundlage für die aktuelle und künftige Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland sein.“

Hahn wunderte sich, dass in Veranstaltungen Parlamentskollegen anderer Parteien zustimmen würden, dass die Sanktion gegen Russland abgeschafft werden müssten. Wenn dann im Bundestag darüber entscheiden werde, würden die gleichen Personen aber anders abstimmen. Der Linken-Abgeordnete kritisierte die westliche Politik und wünschte sich, dass der Begriff „Russlandversteher“ nicht mehr als Schimpfwort benutzt wird.

Einfluss der USA auf EU

Die USA würden versuchen, über Polen und die baltischen Staaten die EU in die Richtung ihrer Interessen zu steuern. Das sagte der russische Politologe Wassili Fedortsew aus Kaliningrad. Er stellte fest, dass die EU keine einheitliche Strategie besitze, was sich auch in der Unberechenbarkeit gegenüber Russland zeige. Für Berlin sei die Einheit der EU wichtiger als das Verhältnis zu Russland, was die kleineren Mitgliedsstaaten in Osteuropa ausnutzen würden.

Fedortsew bezeichnete es als wichtig, dass es einen Dialog zwischen Moskau und Warschau sowie mit den baltischen Staaten gebe. Er sei mit Blick in die Zukunft skeptisch. Zugleich machte er auf die Rolle der Medien aufmerksam, die mit ihren Berichten die politische Entscheidungsfindung mit beeinflussen würden. Der Politikwissenschaftler betonte, dass Russland in den letzten 30 Jahren immer nur auf die Schritte des Westens reagiert habe.

„Wir geben nicht auf“ – so beschrieb Volker Treier vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) die Haltung der deutschen Wirtschaft gegenüber den antirussischen Sanktionen. Diese seien ein „Rückschlag“ für die gegenseitigen Beziehungen gewesen. Für die Unternehmen auf beiden Seiten sei wichtig, trotz der Lage den Dialog aufrechtzuerhalten. Die Beziehungen zu den USA spielten bei alldem eine wichtige Rolle, betonte Treier so klar als einer der Wenigen in der Runde.

„Uns verbindet mehr als uns trennt“

Er verwies darauf, wie in den USA die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland gesehen werden. In den USA habe es lange Zeit „eine gewisse Angst davor“ gegeben, „wenn Russland mit seinem Rohstoffreichtum und seiner Organisation, damit umzugehen, und Deutschland mit seiner Industrialisierung und seiner Technologie zusammenkommen und zu engen Partnern werden“. Das habe dann geopolitische Auswirkungen auf das globale Mächteverhältnis, so der DIHK-Vertreter. Die Auswirkungen dieser US-Befürchtungen seien heute zu erleben.

Treier erinnerte im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland: „Uns verbindet mehr als uns trennt.“ Beispiele dafür aus der sogenannten und vielbeschworenen Zivilgesellschaft brachte Martin Kummer, ehemaliger Oberbürgermeister der Stadt Suhl in Thüringen. Er berichtete auf der Veranstaltung, wie er sich nach 1990 dafür eingesetzt hat, die Städtepartnerschaft mit dem russischen Kaluga aufrechtzuerhalten. Kummer betonte, dass es nicht nur um die Zivilgesellschaft in Russland gehen dürfe. Auch die in Deutschland brauche mehr Unterstützung.

Der einstige CDU-Kommunalpolitiker engagiert sich noch heute ehrenamtlich für die Städtepartnerschaft zwischen Suhl und Kaluga. Er berichtete vom jüngsten Projekt für Fotografen aus beiden Städten, die unter dem Titel „Die Sprache und das Bild des Anderen“ mit ihren Bildern ihre Sicht auf das Leben erzählen. Das gegenseitige Erzählen, das gegenseitige Zeigen der jeweils eigenen Sichten helfe beiden Seiten, sich besser zu verstehen, so Kummer.