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Trotz aller widersprechenden Informationen machen die britische und andere westliche Regierungen Russland weiter für die Vergiftung von Sergej Skripal und dessen Tochter verantwortlich, so zuletzt auf dem G7-Gipfel. Auch die Sprecher der Bundesregierung und des Berliner Außenministeriums reagieren entsprechend auf Nachfragen.
Die Bundesregierung hält an ihren unbewiesenen Vorwürfen gegenüber Russland im Fall des mutmaßlich am 4. März vergifteten Sergej Skripal und dessen Tochter fest. Das erklärten Regierungssprecher Steffen Seibert und Maria Adebahr, Sprecherin des Auswärtigen Amtes, am Montag in Berlin auf der Regierungspressekonferenz auf Nachfrage.
Dagegen hatte ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes (WD) des Bundestages festgestellt: „Die Verantwortung Russlands für das Attentat auf den Ex-Agenten Skripal in Großbritannien ist bis heute nicht nachgewiesen.“ Das hatte die „Neue Osnabrücker Zeitung“ am 8. Juni berichtet.
Die Regierungssprecher ließen sich nicht von dem Hinweis auf jüngste widersprechende Informationen wie das Gutachten beirren. Die ARD hatte bereits am 7. Juni berichtet, nach ihren Informationen habe die Bundesregierung keine Beweise für die behauptete Verantwortung Russlands. Auch das brachte die Regierung nicht von ihren bisherigen Behauptungen ab.
Unveränderte Position trotz wachsender Zweifel
Die Zweifel an der Version Großbritanniens und anderer westlicher Staaten wachsen, wie Harald Neuber am Samstag im Online-Magazin „Telepolis“ feststellte. Nicht so anscheinend bei Außenamtssprecherin Adebahr: „Unsere Position in diesem Fall ist unverändert“, erklärte sie in der Regierungspressekonferenz am Montag. Ich hatte nachgefragt und wollte auch wissen, ob sich ihr Ministerium für die Vorwürfe auf seiner Homepage gegen „staatlich kontrollierte russische Auslandsmedien“ entschuldigen würde. Diese würden „falsche Gerüchte“ und „gezielte Falschmeldungen“ verbreiten, so das Berliner Außenamt. Am 26. März hatte Außenminister Heiko Maas gar erklärt, „die Fakten und Indizien weisen nach Russland“.
Maas warf Moskau damals vor, es habe „bisher keine der offenen Fragen beantwortet und keine Bereitschaft gezeigt, eine konstruktive Rolle bei der Aufklärung des Anschlags spielen zu wollen“. Das lässt sich längst gegen sein Ministerium wenden, samt Belegen dafür. So behauptete seine Sprecherin Adebahr am Montag trotz des anderslautenden Zitates dazu, das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages treffe „zu der Frage, ob Russland den Anschlag von Salisbury zu verantworten hat, ausdrücklich keine Aussage“.
Westliche Vorwürfe trotz russischer Hilfsbereitschaft
Anstatt auf die Zweifel an den Vorwürfen gegen Moskau einzugehen oder sich gar zu entschuldigen, meinte Adebahr nur, das Gutachten „bestätigt im Übrigen, dass die von uns getroffene Maßnahme der Ausweisung von Diplomaten völkerrechtlich nicht zu beanstanden ist“. So redete Adebahr schön, dass es in dem Dokument laut „Telepolis“ heißt, der Schritt gegen die russischen Diplomaten sei ein „unfreundlicher, aber nicht völkerrechtswidriger Akt“. Der gesamte Fall Skripal und die westlichen Reaktionen hatten immerhin zu einer „dramatischen Verschlechterung der diplomatischen Beziehungen zwischen Russland und zahlreichen westlichen Staaten geführt“, wie selbst die ARD feststellte.
Adebahr ließ sich auch nicht davon beeindrucken, dass die Bundestagsjuristen Russland nachgewiesene Kooperationsbereitschaft für die Untersuchung des Falls bescheinigen. Sie bezeichnete es stattdessen als „unerlässlich, dass Russland weiter an der Aufklärung mitwirkt“. Regierungssprecher Seibert stimmte seiner Kollegin zu und verwies auf die Abschlusserklärung des G7-Treffens am Wochenende im kanadischen Charlevoix. Darin wird erneut Russland als „höchstwahrscheinlich für den Anschlag verantwortlich“ erklärt und hinzugefügt, „dass es keine plausible alternative Erklärung gibt“.
Kanzlerin Angela Merkel stehe weiter zu dieser von Anfang an aufgestellten Behauptung, so Seibert. Die Bundesregierung habe keinen neuen Stand, beantwortete er die Frage nach eventuellen neuen Beweisen dafür. „Es bleibt bei unserer Einschätzung, dass es eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine russische Verantwortung gibt und dass es aus unserer Sicht keine andere plausible Erklärung gibt.“
Wiederholte Anklage trotz fehlender Beweise
Der ehemalige russische Agent Skripal und seine Tochter Julia waren mutmaßlich am 4. März im britischen Salisbury vergiftet worden. Beide überlebten das Attentat. Ohne Beweise dafür vorzulegen, wurde von Beginn an Russland vorgeworfen, für diesen Anschlag verantwortlich zu sein. Begründet wurde das unter anderem damit, dass der angeblich verwendete Kampfstoff aus der „Nowitschok“-Gruppe in der Sowjetunion entwickelt wurde. Das zuständige britische Labor in Porton Down konnte keine Angaben zur Herkunft des verwendeten Giftes machen.
Die in die Untersuchungen einbezogene Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) hatte diese Ergebnisse bestätigt. Darauf beruft sich unter anderem die Bundesregierung, obwohl eben nichts zur Herkunft gesagt wurde. OPCW-Direktor Ahmet Üzümcü hatte Anfang Mai gegenüber der New York Times erklärt, dass für den Anschlag schätzungsweise 50 bis 100 Gramm verwendet worden seien. Das musste die Organisation selbst in einer Erklärung widerrufen. Sie erklärte, es könne sich nur um eine Dosis im Milligramm-Bereich gehandelt haben. Inzwischen wurde zudem bekannt, dass der angeblich verwendete Kampfstoff nach 1990 auch in anderen Ländern bekannt war und sogar hergestellt wurde.