Es immer noch keine Beweise dafür, dass Russland den Ex-Agenten Sergej Skripal und dessen Tochter vergiftet hat. Doch genau das behauptet das Auswärtige Amt in Berlin weiter und wirft russischen Medien „gezielte Falschmeldungen“ vor. Sputniknews hat versucht, auf der Regierungspressekonferenz am Montag nachzufragen.
Das Auswärtige Amt engagiert sich im Fall Skripal gegen den aus seiner Sicht unbegründeten und „um sich greifenden Nihilismus in den Sozialen Medien“. Und es will zeigen, „dass es ganz klar um Fakten geht“, erklärte Amts-Sprecher Rainer Breul am Montag in Berlin auf der Regierungspressekonferenz. Für Fakten interessierte er sich aber kaum, als Sputnik zuvor auf solche hinwies.
Breul wurde gefragt, auf welcher Grundlage das Außenamt „staatlich kontrollierten russischen Auslandsmedien“ vorwirft, im Fall Skripal „falsche Gerüchte“ und „gezielte Falschmeldungen“ zu verbreiten. Das hatte das Ministerium auf seiner Homepage am Freitag erklärt.
Dabei wurde behauptet, für das mutmaßliche Attentat auf den russischen Ex-Agenten Sergej Skripal und dessen Tochter am 4. März in Großbritannien „wurde das Nervengift ‚Nowitschok‘ eingesetzt – ein Kampfstoff, der in Russland entwickelt und produziert wurde.“ Sputniknews wollte wissen, auf Grundlage welcher Fakten das Auswärtige Amt das erklärt. Das war verbunden mit dem Hinweis auf Informationen, die der Erklärung des Auswärtigen Amtes widersprechen.
Widersprechende Fakten
So hatte die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) in ihrer öffentlichen Erklärung vom 12. April ebenso wie das offizielle britische Labor in Porton Down keine Angaben zur Herkunft des Giftes aus der Stoff-Gruppe „Nowitschok“ gemacht, das sie ihren Angaben nach in Skripal-Proben gefunden haben. Russland wird dabei nicht erwähnt. London selbst hat in seinen Erklärungen zum Skripal-Fall ausdrücklich immer nur von einem Kampfstoff „eines Typs, wie er von Russland entwickelt wurde“ gesprochen. Diese Formel ist ebenso in der gemeinsamen Erklärung der Regierungen Großbritanniens, der USA, Frankreichs und Deutschlands zu dem Vorfall zu finden.
Ebenso ist nach allen vorliegenden Informationen bekannt, dass die „Nowitschok“-Nervengifte nicht von Russland, sondern in den 1980er Jahren in der territorial größeren Sowjetunion entwickelt wurden. Die Produktionsanlage befand sich im heute usbekischen Nukus und wurde von den USA ohne internationale Kontrolle in der Jahrtausendwende abgebaut. Darauf hat unter anderem der ehemalige britische Botschafter in Usbekistan, Craig Murray, aufmerksam gemacht. Auch in der Ukraine sei mit den Stoffen gearbeitet worden, hatte der deutsche Chemiewaffen-Experte Walter Katzung gegenüber Sputniknews erklärt.
Angebliche Unterstellung
Doch bis dahin und zum Verweis auf die Tatsache, dass Experten zufolge entsprechende Labore „Nowitschok“-Stoffe herstellen können, wie es 2016 selbst für die OPCW erfolgte, kam es nicht. Moderatorin Ute Welty unterbrach die Hinweise, die angeblich nicht zur Frage gehörten. Sputnik wollte danach noch wissen, warum das Auswärtige Amt von „gezielten Falschmeldungen“ schreibt, obwohl nur Äußerungen des russischen Außenministers Sergej Lawrow über OPCW-Angaben zum Nato-Kampfstoff „BZ“ in Skripal-Proben gemeldet wurden. Gleiches betrifft die Erklärungen der Organisation über das „BZ“ in den Proben. Sputnik wollte wissen, warum das Auswärtige Amt sich nicht an das russische Außenministerium wendet, wenn es meint, dieses habe OPCW-Verfahren falsch verstanden.
Doch Sprecher Breul sah das nicht als Fragen an, sondern als Versuch, „noch mal Ihren Standpunkt zu unterstreichen“. Die Frage nach den Fakten, auf die sich sein Ministerium stütze, bezeichnete er als „Unterstellung“, die er zurückweise. Er wiederholte die „gut nachvollziehbare“ Position des Auswärtigen Amtes und der Bundesregierung – obwohl er sich fragte, „ob das für andere auch von Interesse ist“.
„Russische Nebelkerzen“
Regierung und Ministerium würden sich auf den OPCW-Bericht und die britischen Laborergebnissen stützen, sagte der Sprecher. Diese seien „teilweise öffentlich, teilweise nichtöffentlich“. Der Text auf der Ministeriums-Homepage sei eine Reaktion auf „Aussagen der russischen Seite, die hier von russischen Staatsmedien in Deutschland ganz maßgeblich verbreitet wurden“. Die Meldung, dass das OPCW-Labor im schweizerischen Spiez den Kampfstoff „BZ“ in den Skripal-Proben nachgewiesen hat, sei „völlig haltlos“, meinte Breul dazu. Dabei hatte das Labor laut der Organisation das tatsächlich nachgewiesen. Bloß die Frage, wie „BZ“ in die Proben von Salisbury kam, wurde mit OPCW-Verfahren und damit anders als in Moskau erklärt.
Der Ministeriumssprecher warf der russischen Regierung vor, damit „Nebelkerzen“ zünden zu wollen. Es gehe nicht um einzelne Meldungen, sondern um das „Verhalten bestimmter Medien“. Diese hätten auch auf den Social Media-Plattformen dem Auswärtigen Amt unterstellt, die Bundesregierung könne beispielsweise ihre Erklärungen nicht mit Fakten belegen. Deshalb habe die Regierung im konkreten Fall darauf hingewiesen, was die OPCW zum Skripal-Fall und den Proben erklärt habe – „und dass es hier ganz klar auch um Fakten geht“.
Unveränderte Position
Wie es damit aussieht, zeigte sich im weiteren Verlauf der Pressekonferenz. Der Journalist Hans Jessen wollte wissen, was die Bundesregierung zu dem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zum westlichen Angriff auf Syrien am 14. April meint. In dem Material vom 18. April wurden die Luftangriffe als völkerrechtswidrig eingeschätzt und als „unverhohlene Rückkehr zu einer Form der – völkerrechtlich überwunden geglaubten – bewaffneten Repressalie im ‚humanitären Gewand‘“ bezeichnet.
Die Bundesregierung habe das Gutachten „zur Kenntnis genommen“, erklärte dazu die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer. Doch eine deshalb geänderte Position, wie sie Jessen erfragte, stelle sie nicht dar. Stattdessen wiederholte sie die bisherigen Vorwürfe Berlins an Damaskus und Moskau, für den angeblichen Chemiewaffeneinsatz verantwortlich zu sein. Zudem habe Russland eine unabhängige Untersuchung von solchen Vorfällen in Syrien im UN-Sicherheitsrat blockiert, behauptete Demmer wieder.
Unbeantwortete Frage
Ebenso erneuerte sie die verbale Unterstützung der Bundesregierung für den westlichen Angriff als „erforderlich und angemessen“. „Unsere Verbündeten“ hätten damit „Verantwortung übernommen“, angebliche weitere Verstöße der syrischen Regierung gegen die Chemiewaffen-Konvention zu verhindern.
Auch der Hinweis von Sputniknews auf die Berichte verschiedener Journalisten aus dem syrischen Douma, die keine Spuren des angeblichen Chemiewaffenangriffs finden, brachte die stellvertretende Regierungssprecherin nicht von ihrer Linie ab. Ebenso blieb erneut die Frage unbeantwortet, warum die Bundesregierung ihre angeblichen Erkenntnisse nicht öffentlich macht, damit sie nachvollzogen werden können.