Vor den Folgen des westlichen Angriffs auf Syrien in der Nacht zum Samstag warnt der arabische Journalist Aktham Suliman. Washington, London und Paris ignorieren nicht nur die Vernunft, sondern auch die eigenen Bevölkerungen, sagt er. Und: Es geht nicht nur im Syrien. Von einer solchen Politik des Westens ist die ganze Welt betroffen, so Suliman.
Syrien sei in der Nacht zu Samstag nicht von drei westlichen Staaten angegriffen worden, sondern von „drei Mafia-Banden“. Das erklärte der arabische Journalist Aktham Suliman am Samstag in Berlin gegenüber Sputnik. „Ich hüte mich davor, die Franzosen, die Briten, die US-Amerikaner, also die Bevölkerung, zu beschuldigen, ein Teil des Ganzen zu sein.“
Suliman war zehn Jahre lang bis 2012 Deutschland-Korrespondent des arabischen Fernsehsenders Al Jazeera. Er stammt aus Syrien und lebt und arbeitet seit 1989 in Deutschland. Sputnik traf ihn am Rand einer prosyrischen Protest-Demonstration gegen die Angriffe vor der US-Botschaft neben dem Brandenburger Tor in Berlin.
Grundloser Angriff
„Es gab keinen Grund auf der Welt, ein Land wie Syrien jetzt anzugreifen“, empörte sich der Journalist. Aus seiner Sicht stand die Entscheidung zum Angriff vorher fest und der nichtbewiesene angebliche Chemiewaffeneinsatz in Douma war nur der Vorwand.
„Das ist Mafia-Benehmen, das ist kein normales Verhalten eines Staates. Das ist beängstigend. Es geht nicht mehr um Syrien. Wenn diese Entscheidungsträger so agieren, auch innenpolitisch so agieren, führen sie uns in einen Weltkrieg. Davon sind nicht nur die Syrer betroffen, davon ist die ganze Welt betroffen.“
Für Suliman wird der Vorwand des angeblichen Chemiewaffeneinsatzes von den westlichen Regierungen benutzt, um die eigene Bevölkerung „eine gewissen Zeit zu betäuben“. Der Grund dafür sei die mehrheitliche Ablehnung solcher Angriffe. Dem diene auch der Zick-Zack-Kurs bei der Frage, ob nun angegriffen werde oder nicht. „Durch dieses Spiel werden ganze Völker lahmgelegt, sei es nur für ein paar Tage.“
Gedankenlose Bundesregierung
Er kritisierte dabei die deutsche Regierung. Sie solle „sich schämen, zu sagen, wir beteiligen uns militärisch nicht, aber anders doch, und im Nachhinein zu sagen, das war eine gute Aktion.“ Berlin müsse sich Gedanken machen, ob es sich weiter „an dieser Bande beteiligen“ wolle. Auch: „Ist das Schutz für Deutschland, wenn man zu solch einer Bande gehört, die andere Länder angreift?“ Es sei dagegen eine Gefahr für die Bundesrepublik, betonte Suliman.
Der Journalist erinnerte daran, dass bereits 80 Prozent der Briten gegen den Angriff auf den Irak 2003 waren. Der erfolgte trotzdem, mit aktiver Unterstützung aus London. Sowas gebe „auch kein gutes Bild von der westlichen Demokratie“, stellte er fest. Das ist für ihn ein zusätzlicher Schaden durch solche Angriffe, außen- wie innenpolitisch. Es entstehe der Eindruck, „Regierungen machen das, was Völker nicht wollen“. „Darüber würde ich mir viel mehr Sorgen machen, wenn ich Franzose, Brite oder US-Amerikaner wäre als wie ich als Syrer.“
Unbeugsame Syrer
Viele Menschen in Syrien seien auf die Dächer und die Balkone ihrer Häuser gegangen, um den Angriff live zu sehen, berichtete Suliman. Danach hätten viele ihren ganz normalen Alltag fortgesetzt.
„Man hat sich an den Krieg gewöhnt, nach sieben Jahren. Man hat auch innere psychologische Mechanismen entwickelt, um mit so etwas umzugehen. Syrien ist voller Witze über Donald Trump, voller Witze über Theresa May, via Internet und die sozialen Medien, über diese ganze Bande. Das zeigt, wie lebendig dieses Volk ist und dass es nicht gewillt ist, sich zu beugen. Man lacht über das Ganze, man nimmt es nicht ernst. Man betrachtet es als neue Folge in einem sehr langen, andauernden Film.“
Verletzend für die Syrer sei aber die erneute Verletzung des Völkerrechtes und der Souveränität des Staates Syrien durch diesen Angriff in der Nacht zu Samstag, erklärte der syrische Journalist. Er wundert sich nach seinen Worten, dass mit dem Vorwand des angeblichen Chemiewaffeneinsatzes durch die syrische Armee auch die Gesetze der Physik missachtet werden:
„Diese Gesetze besagen, man wirft keine Chemiewaffen dort, wo man gleich einmarschieren wird. Wenn man 95 Prozent des Territoriums befreit hat, setzt man keine Chemiewaffen ein, um die fünf Prozent noch zu befreien. Das geht nicht, auch physikalisch nicht. Wenn ein Wind kommt, wird das alles in die Hauptstadt Damaskus, drei, vier Kilometer entfernt, getragen. Mein Problem ist wirklich die Physik, nicht die Chemie, bei der ganzen Geschichte. Dass die Leute soweit mit ihrer Propaganda sind, dass sie sich nicht einmal Mühe geben, eine glaubhafte Geschichte zusammen zu spinnen.“
Bei allen ähnlichen Fällen sei bisher klar geworden, wie das ende. Deshalb verstehe er die Enttäuschung bei den Assad-Gegnern. Diese demonstrierten zur gleichen Zeit auf der anderen Seite des Brandenburger Tores und wirkten deutlich aggressiver. Polizisten in Kampfuniform standen zwischen den beiden Gruppen und hielten diese auf deutlichen Abstand.
Westliche Unvernunft
Solche Angriffe würden niemand in Syrien nutzen, auch nicht den oppositionellen Gruppen, stellte Suliman klar. Das würde dagegen auch die Sicherheit in Europa gefährden. „Es ist kontraproduktiv, fast trotzig“, so der Journalist, der hinzufügte: „Man hat immer behauptet, die US-Amerikaner und die Europäer seien vernünftig im Vergleich zu uns emotionalen Arabern. Inzwischen hat man sich davon befreit. Ich wünsche mir, dass sie sich etwas von unserer Rationalität abgucken. Es kann nicht sein, das so etwas Kontraproduktives – politisch und militärisch und ideologisch gesehen – macht.“
Suliman bestätigte Meldungen, dass die Mehrheit der Bevölkerung in Syrien weiter hinter Präsident Bashar al-Assad stehe. „Man kann dazu stehen wie man will, aber das ist eine Tatsache.“ Doch was die Bevölkerung wolle, werde in solch einem Zusammenhang als unwichtig angesehen, kritisierte er. „Es geht hier um Großinteressen, um geostrategische Interessen.“ Die Menschen auf dem Boden und ihre Interessen seien für die Militärs nur Statistiken. Das habe sich schon in Libyen und im Irak gezeigt.
Wichtiger Widerstand
Für ihn ist wichtig, dass die Bevölkerung zusammensteht, die syrische Armee weiter Widerstand leistet und befreundete Staaten wie Russland und Iran Syrien weiter beistehen. „Das ist leider viel entscheidender für den Westen, mehr als das, was die Einzelnen wollen. Die westlichen Verfassungen hören da auf, wo die eigene Grenzen aufhören.“ Auch im Inland würden die westlichen Regierungen die eigene Bevölkerung nicht ernst nehmen: „Die Leute haben die Nase voll.“ Das zeige sich auch in Deutschland.
Der Journalist bezeichnete es als ebenso wichtig, dass auch auf der Straße Widerstand geleistet und gegen solche Angriffe demonstriert wird. „Wenn man sich das Ausmaß der gesamten Geschichte vergegenwärtigt, werden Millionen auf die Straße gehen. Es geht nicht um Syrien. Es geht nicht um Chemiewaffenangriffe. Es geht um Weltherrschaft, um Weltkriege. Und das betrifft uns alle, in Paris, in London, in Washington, in Damaskus, in Bagdad, in Moskau, überall!“