Ostdeutscher KGB-Agent: Vom falschen zum echten US-Amerikaner – Buchpremiere

Der KGB schickt einen überzeugten Kommunisten aus der DDR als Agenten in die USA. Der steigt zehn Jahre später aus – und wird nicht als Verräter ermordet. Heute lebt er in den USA, hat dem Kommunismus abgeschworen und zum christlichen Glauben gefunden. Darüber hat er ein Buch geschrieben und es am Dienstag in Berlin vorgestellt. Sputnik war dabei.

Der US-Amerikaner Jack Barsky erblickte 1949 als Albrecht Dittrich das Licht der Welt – in der DDR, in Reichenbach im Vogtland. Als Student in Jena wurde er 1970 vom KGB angeworben und als Agent in die USA geschickt. Dort lebt er noch heute, mit seiner zweiten Identität, die zu seiner ersten wurde. Die Agententätigkeit hat er bereits 1988 aufgegeben. Und wurde erst 1997 von den US-Behörden enttarnt – die ihn nicht verhafteten, weil er ihnen in Freiheit nützlicher war, wie er selbst sagt.

Dittrich alias Barsky sollte den einflussreichen US-Politiker Zbigniew Brzezinski kennenlernen – nicht um ihn zu töten, sondern um so an direkte Informationen aus der herrschenden US-Elite heranzukommen. Doch das gelang ihm nicht, wie er im Sputnik-Interview berichtete. Dafür hat er andere Informationen, so über mögliche Agenten, gesammelt, Stimmungsberichte übermittelt und wohl auch einen Computer-Programmier-Code nach Moskau geliefert. Dieser habe der Sowjetunion wirtschaftlich geholfen. Doch sonst weiß Barsky nicht, was seine Tätigkeit dem KGB gebracht hat, sagte er im Interview. Er glaubt, dass er für den Fall einer Auseinandersetzung zwischen beiden Staaten als „Schläfer“ vorgesehen war.

Ausstieg wegen der Tochter

Barsky stellte am Dienstag auf einer Pressekonferenz im Berliner „Spionagemuseum“ sein Buch „Der falsche Amerikaner“ vor, das er gemeinsam mit der Autorin Cindy Coloma geschrieben hat. Darin berichtet er über sein Leben als Agent, und wie aus dem „gläubigen Kommunisten“ Dittrich aus der DDR der heutige Christ wurde, der die Freiheit liebt und gern in den USA lebt. Seine Tochter Chelsea habe ihn 1988 bewogen, aus dem Agentenjob auszusteigen und in den USA zu bleiben.

Er sei aber in seiner Auftragsheimat nicht geblieben, weil ihm das Leben dort besser als in der DDR gefallen hätte, sagte Barsky auf Sputnik-Nachfrage. Das wurde 2015 in einer Reportage des Magazins „Der Spiegel“ über ihn behauptet: „Wahrscheinlicher“ sei, der „glühende Kommunist“ habe „die unendlichen Möglichkeiten des kapitalistischen Amerika“ genossen, vermutete das Magazin damals. Dem widersprach er am Dienstag im Interview deutlich:

„Tatsächlich war das nicht der Fall. Zu der Zeit hatte ich in Deutschland eine bessere Wohnung, ein besseres Auto, ein Telefon und auch Ersparnisse von 60.000 Dollar. Mein Leben in den USA ist erst besser geworden, als ich angefangen habe, mich darum zu kümmern. Natürlich gefällt es mir jetzt. Aber damals die Entscheidung war nicht ökonomisch. Es war tatsächlich nur wegen dieser Kleinen. Wenn es die nicht gäbe – und es gibt sie heute noch – würde ich heute nicht mit Ihnen sprechen.“

Barsky hatte sich 1988 einem Rückzugsbefehl des KGB widersetzt. Der sowjetische Geheimdienst vermutete damals, dass sein Agent enttarnt worden sei, wie dieser in seinem Buch schreibt. Doch er ignorierte den Befehl per verschlüsseltem Funk und den roten Punkt an einem Metallträger der Hochbahn an der Hudson Street in New York, an dem er jeden Tag vorbeiging. „Die Bedeutung dieses Signals war unmissverständlich: Verlass sofort über den vereinbarten Fluchtweg das Land.“

Angeblicher Aids-Tod

Er reagierte stattdessen gegenüber dem KGB damit, dass er seinem Führungsoffizier erklärte, er habe Aids. Er wusste um die damalige Angst in der Sowjetunion, dass die tödliche Immunschwächekrankheit aus dem Westen das Land erreicht. „Die Sowjetunion würde mich nicht zurückhaben wollen, wenn ich infiziert war. Und nach einer Weile würden sie davon ausgehen, dass ich gestorben sei.“ Damit die Geschichte glaubhaft wirkt, führte Barsky die Infektion auf eine Frau zurück, mit der er ein Verhältnis hatte, von dem der KGB wusste, wie er in seinem Buch schreibt.

Der KGB glaubte ihm die Geschichte, so der Ex-Agent. Auf der Pressekonferenz bestätigte er das noch einmal. Der sowjetische Geheimdienst habe den Aids-Tod sogar seiner Familie in der DDR, die er noch hatte, erklärt – und die 60.000 Dollar in bar übergeben. „Ich hatte mir den Ruf erworben, vollkommen ehrlich zu sein. Das muss bei der Entscheidung, mich nicht zu verfolgen, eine Rolle gespielt haben.“ So blieb Barsky erspart, was in Zeiten des Kalten Krieges mehr als einmal geschah: Überläufer wurden ermordet.

KGB wusste nichts vom Leben in USA

Im Buch beschreibt er ausführlich, wie er vom hoffnungsvollen Chemie-Student in Jena zum KGB-Agenten wurde. Das begann im September 1970 mit einem Besuch eines Geheimdienstoffiziers vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR bei Albrecht Dittrich im Studentenwohnheim. Nach einer umfangreichen Ausbildung in der Sowjetunion wurde Dittrich 1978 in die USA geschickt – als Jack Barsky, mit der Identität eines zehnjährigen US-Amerikaners, der in dem jungen Alter verstorben war. Er sollte sich in die US-Gesellschaft integrieren und als „Kundschafter des Friedens“ politische Informationen sammeln.

In der ersten Zeit habe er vieles falsch gemacht und Grundregeln des US-Alltags missachtet, berichtet er im Buch. Seine KGB-Ausbilder hätten ihn schlecht vorbereitet, obwohl sie selbst in den USA lebten, erklärte Barsky auf der Pressekonferenz.

„Es war den Leuten wahrscheinlich nicht bekannt, dass es da Unterschiede in der Kultur gibt.“

Er erkläre sich das so: „Die haben nicht gewusst, was sie nicht wussten.“ Seine Ausbilder hätten in den USA gelebt und getarnt gearbeitet. „Aber die haben sich nicht in die Gesellschaft integriert.“ Sie hätten sich immer nur unter ihresgleichen bewegt und die US-Gesellschaft nur von außen betrachtet – „als wenn man zum Aquarium geht und sich die Fische ansieht. Und dann wollten die mir beschreiben, wie man als Fisch leben muss.“

99 Prozent der Arbeitszeit ist Warten

„Ich war abenteuerlustig“, erklärte er am Dienstag den Journalisten als eines der Motive, warum er sich anwerben ließ. „Ich fühlte mich geschmeichelt.“ Und er sei überzeugter Kommunist gewesen:

„Ich bin im Kommunismus aufgewachsen. Der Marxismus-Leninismus war uns als Wissenschaft erklärt worden. Und wir waren in der DDR die Kämpfer für den Frieden. Die Bundesrepublik und die USA waren Klassenfeinde. Es war vorhergesagt worden, dass die Arbeiterklasse den Kampf gewinnen würde. Da wollte ich eben mithelfen.“

Ein Buch nur über die reale Arbeit eines Spions würde so langweilig sein, dass die Leser nach fünf Seiten einschlafen würden. Das sagte Barsky auf die Sputnik-Frage, wie realistisch das ist, was Autoren wie John Le Carré zum Beispiel in seinem Buch „Der Spion, der aus der Kälte kam“ oder die TV-Serie „The Americans“ über sowjetische Agenten in den USA beschreiben.

„Diese Tätigkeit besteht zu 99 Prozent aus Warten und einem Prozent, wo man dann mal was tut. Für kurze Zeit ist die Spannung sehr hoch, und dann muss man wieder warten.“

So habe er zum Beispiel bis zu drei Wochen auf Antwort aus Moskau auf eine Nachricht von ihm warten müssen. Einmal in der Woche habe er Anweisungen bekommen.

In der konzentrierten Darstellung wie in „The Americans“ sei aber Manches richtig wiedergegeben, wenn auch viele Einzelfälle zu einem zusammengefasst seien. Manches sei falsch: „Illegale laufen nicht mit Perücken rum. Da fliegst Du sofort auf!“ Die Serien-Autoren würden wie Le Carré die psychologische Seite des Agentenlebens „sehr gut“ vermitteln: „Da muss ich ihnen gratulieren.“ Er trete selbst in der zehnten Episode der fünften Staffel von „The Americans“ für eine Minute auf, verriet der Ex-Agent in Berlin.

Langsamer Abschied vom Kommunismus

Von seinem Glauben an den Kommunismus habe er sich nur langsam gelöst, antwortete Barsky auf eine Sputnik-Nachfrage. Das habe erst nach seinem Ausstieg begonnen und sei von alledem, was nach dem Untergang des Staatssozialismus und der Sowjetunion bekannt wurde, befördert worden. Heute sei er nicht nur Christ, sondern finde den Wert des menschlichen Lebens und die Individualität wichtiger als Ideologie. Er lebe gern in den USA, so der Ex-Agent, sieht die westliche Gesellschaft aber kritisch: „Es sieht so aus, als ob die westliche Gesellschaft möglicherweise am Zerfallen ist. Der radikale Kapitalismus wird nicht funktionieren.“

Für Barsky, der in den USA als Informatiker gearbeitet hat, hat das etwas mit der fortschreitenden Digitalisierung zu tun. Er forderte, die Menschen dabei nicht zu vergessen. Ihm mache zudem die zunehmende Macht von Regierungen und der obersten Schicht Angst.

„Das kann möglicherweise irgendwann einmal in einer Diktatur – links oder rechts, Diktatur ist Diktatur – enden.“

Ihn mache auch die US-Politik „total verrückt“: „Da gibt es tatsächlich kaum einen, dem man glauben kann. Das ist alles nur Selbstsucht.“ Der einstige „Kundschafter für den Frieden“ bekannte, dass er die Welt nicht mehr besser machen wolle, aber er wolle im Zusammensein mit anderen Menschen Gutes tun.

Jack Barsky/Cindy Coloma: „Der falsche Amerikaner – Ein Doppelleben als deutscher KGB-Spion in den USA“
Verlag SCM Hänssler 2018; 424 Seiten, gebunden; ISBN 978-3-7751-5826-8;
19,95 Euro