„Russiagate“ heute und „Heißer Draht“ einst

Aus dem von Donald Trump vor seiner Wahl angekündigten besseren Verhältnis zu Russland ist bis heute nichts geworden. Es wird aktiv von interessierten Kreisen verhindert. Sie werfen Trump angebliche Kontakte nach Russland vor. Das geschieht, obwohl solche Kontakte in der Geschichte sich mehr als einmal als friedenssichernd erwiesen haben.

Russiagate“ hält die USA in Atem und behindert die Amtsführung von Präsident Donald Trump. Diesem wird unter anderem vorgeworfen, vor der Wahl 2016 und seiner Amtsübernahme versucht zu haben, mit Vertretern Russland Kontakt aufzunehmen. Verschiedene Personen aus seinem Umfeld hätten entsprechende Versuche unternommen. Eine der Folgen: Das schon im Wahlkampf versprochene Verhältnis zu Russland konnte Trump bis heute nicht verwirklichen.

So wurden am Donnerstag angebliche neue Beweise gemeldet. Danach soll ein Treffen auf den Seychellen eine Woche vor Trumps Amtseinführung dazu gedient haben, einen geheimen Gesprächskanal zwischen Russland und den USA aufzubauen. Erste Meldungen über ein solches Treffen sind vom Kreml vor etwa einem Jahr dementiert worden.

Diese offizielle Reaktion aus Moskau ist noch das Verständlichste daran. Die Vorwürfe gegen Trump, weil er und sein Team sich mit Personen aus Russland getroffen haben sollen, um miteinander ins Gespräch zu kommen, sind schlicht hanebüchen. Sie erscheinen irrational, sind es aber nicht, weil sie konkreten Interessen dienen. Denn sie nutzen samt der antirussischen Hysterie jenen Kräften, die kein Interesse daran haben, dass es zwischen den USA und Russland wieder zu mehr Verständigung kommt.

Heißer Draht zwischen Chrustschow und Kennedy

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Washington und Moskau selbst in Hochzeiten des Kalten Krieges miteinander redeten – auf geheimen Kanälen. Das blieb natürlich geheim und wäre abgestritten worden, wären damals Informationen darüber nach außen gedrungen. Aber es gab sie und sie wurden aktiv genutzt.

Selbst US-Präsident John F. Kennedy und der sowjetische Parteichef Nikita Chrustschow hatten Anfang der 1960er einen solchen – trotz Berlin- und Kuba-Krise samt Atomkriegsgefahr. Über diesen „heißen Draht“ berichtete im Dezember 1989 das damalige sowjetische Magazin „Sputnik“.

Das kleine Heft, in der DDR sogar kurzzeitig verboten, zitierte damals aus den Erinnerungen des sowjetischen Diplomaten und späteren Redakteurs der Nachrichtenagentur Nowosti, Georgi Bolschakow. Mit dem hatte sich US-Justizminister Robert Kennedy getroffen, um die „meisten Fragen, die die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten anbelangten“, zu erörtern. Das schrieb der Präsidentenbruder in seinen Erinnerungen, die erst nach seiner Ermordung 1968 erschienen. Unter anderem hatte der kürzlich verstorbene ehemalige sowjetische Diplomat Valentin Falin die Kontakte in einem Interview 2001 mit der Zeitung „Der Tagesspiegel“ bestätigt.

Aktive Kontaktaufnahme

„Jedesmal, wenn eine Botschaft Chrustschows an den Präsidenten oder des Präsidenten an Chrustschow vorlag, wurde diese über Georgi Bolschakow übermittelt“, schrieb Kennedy. Das sei gerade in Krisensituationen „infolge des mißverstandenen Vorgehens der anderen Seite“ erfolgt. Belege dafür gibt es unter anderem im Online-Archiv des US-Außeministeriums.

Der gedruckte „Sputnik“ zitierte 1989 aus Bolschakows Erinnerungen über dessen erste inoffizielle Begegnung mit dem Präsidentenbruder 1961. Danach bat Kennedy den sowjetischen Geheimdienstoffizier, der offiziell als Journalist in den USA war und auch Zugang zum Weißen Haus hatte, nach dessen Erinnerungen „wahrheitsgetreue Informationen aus erster Hand“ an den Parteichef in Moskau zu übermitteln. Und sagte bei dem ersten Treffen laut Bolschakow:

„Mein Bruder … ist der Ansicht, daß die Spannungen zwischen unseren beiden Ländern hauptsächlich von fehlendem gegenseitigem Verständnis und von einer falschen Auslegung von Handlungen und Absichten der anderen Seite herrührte. Der Präsident hat die Macht aus den Händen von General Eisenhower übernommen, der ein großer Militär gewesen ist. Eisenhower hat ihm in Schlüsselpositionen solche Leute wie den CIA-Direktor Allen Dulles, den Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs, General Lemnitzer, und andere hinterlassen. Der Fehler meines Bruders bestand darin, daß er sie nicht sofort ersetzt hat. Die Ratschläge, die diese Leute erteilten, waren nicht mehr aktuell und entsprachen dem neuen Kurs des Präsidenten nicht mehr. Mein Bruder aber mußte sich bei seinen Entscheidungen gerade von ihrer falschen Einschätzung der Lage leiten lassen. Kuba hat alle unsere Vorstellungen von der Außenpolitik über den Haufen geworfen. …“

Kennedy habe davor gewarnt, dass „gegenseitiges Missverstehen unserer und eurer Haltung zu Berlin zu einem Krieg führen kann“. Bolschakow berichtete in seinem Text, wie er die Informationen nach Moskau übermittelte und dann die Antwort eintraf. Darin sei erklärt worden, dass die sowjetische Führung mit dem inoffiziellen Kanal einverstanden war, in den der eigene Botschafter nicht einbezogen war. Der geheime Austausch sei vor dem Gipfeltreffen zwischen Präsident Kennedy und Chrustschow im Juni 1961 in Wien intensiv genutzt worden. Der Dialog zwischen den beiden „wurde mit jeder Botschaft freimütiger“, erinnerte sich der sowjetische Vermittler.

Kennedy bat um Verständnis

Er schrieb, dass die US-Hoffnungen, dass Moskau von seiner klaren Haltung zu Berlin abrückt, nicht erfüllt wurden und Chrustschow in Wien mit einem eigenen Abkommen mit der DDR drohte. „Das hätte bedeutet, daß alle bisherigen diesbezüglichen Vereinbarungen mit den Westmächten für uns ihre Gültigkeit verloren hätten.“ Moskau habe das politische Pressing fortgesetzt, worauf John F. Kennedy beim Abschied von Chrustschow gesagt habe: „Ich nehme an, daß wir einen kalten Winter bekommen werden.“ Der drohende Atomkrieg wurde unter anderem mit dem Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 verhindert.

Bolschakow beschrieb in seinen Erinnerungen ein Treffen mit dem US-Präsidenten am 31. August 1961. Dabei sei er darüber informiert worden, Kennedy habe angeordnet, das Überfliegen sowjetischer Schiffe auf dem Weg nach Kuba einzustellen. Der Präsident habe dabei erklärt, er „günstige Perspektiven für die Verbesserungen der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen“ und sei „zutiefst von der Realität einer solchen Verbesserung überzeugt“. Einen Schritt dahin habe Kennedy im Verbot der Kernwaffenversuche gesehen.

Präsidentenbruder Robert habe Bolschakow danach um Verständnis gebeten:

„‘Premier Chrustschow muß doch die Lage des Präsidenten begreifen! Weiß denn der Premier nicht, daß der Präsident nicht nur viele Freunde, sondern auch nicht weniger Feinde hat? Glaube mir, mein Bruder will aufrichtig das erreichen, wovon er redet. Aber jeder Schritt auf Premier Chrustschow zu, kostet meinen Bruder große Anstrengungen. Der Premier sollte sich einmal für einen Augenblick in die Lage des Präsidenten versetzen, dann würde er ihn verstehen. Denn die sind in einem Anfall blinder Wut zu allem fähig …‘“

Chrustschow wunderte sich

Bolschakow erinnerte sich, den Bruder des Präsidenten „so offen und aufrichtig“ noch nie erlebt zu haben. „Mir kam der Gedanke, als sagte er mir, was der Präsidenten unausgesprochen gelassen hatte.“ Danach habe er Chrustschow in Moskau über das Gespräch informiert.

„Die Frage, ob es die Vereinigten Staaten auf eine bewaffnete Konfrontation mit Kuba ankommen lassen würden, bejahte ich. Als wichtigste Argumente nannte ich, daß Kennedy seitens der reaktionären Kräfte, vor allem der Militärs und der Ultrarechten, die nach Revanche für die Niederlage in der Schweinebucht lechzten und nur auf den geeigneten Moment warteten, um mit der Republik Kuba Schluß zu machen, großem Druck ausgesetzt sei. Allerdings, so fügte ich hinzu, werde Kennedy offenbar nach einer vorsichtigen Lösung suchen, nach einem vernünftigen Kompromiß.“

Chrustschow habe daraufhin gefragt:

„Ist er nun Präsident oder nicht? Wenn er ein starker Präsident ist, dann braucht er doch niemanden zu fürchten. Er hat die ganze Macht in den Händen, dazu noch einen Bruder als Justizminister!“

Der sowjetische Parteichef habe Bolschakow gebeten, dem US-Präsidenten zu übermitteln, dass dessen Schritte, um die Spannungen zu verringern und die Beziehungen zu normalisieren, in Moskau positiv bewertet würden.

Der sowjetische inoffizielle Vermittler erinnerte sich, dass nach seiner Rückkehr nach Washington im Oktober 1962 die dortige Stimmung deutlich gereizter und verschlossener war als kurz zuvor. Justizminister Kennedy habe ihn viel förmlicher empfangen als bei den ersten Begegnungen – und ihn ausdrücklich um Verschwiegenheit gebeten. Er habe die Botschaft Chrustschows überbracht, so Bolschakow, einschließlich des Hinweises, die Sowjetunion liefere nur Defensivwaffen an Kuba. Diese seien „nicht aber für aggressive Ziele gegenüber irgendeinem Staat des amerikanischen Kontinents einschließlich der USA“ vorgesehen. Moskau sei sich über die Lage von Präsident Kennedy bewusst und werde keinerlei gegen die USA gerichteten Aktionen vor den US-Kongresswahlen im November 1962 unternehmen.

Konfrontation, Entspannung und Provokation

Bolschakow und der Präsidentenbruder hätten sich erst nach drei Wochen wiedergesehen. Kontakte habe es aber weiter mit Hilfe des US-Journalisten Charles Bartlett gegeben. Der sowjetische Nachrichtenmann schrieb, dass die Sowjetbürger, die in den USA arbeiteten, nichts von den an Kuba gelieferten Raketen wussten. Bartlett habe ihm Mitte Oktober 1962 die Überwachungsfotos der Raketen-Anlagen auf der Karibik-Insel gezeigt. Kurz danach habe US-Präsident Kennedy die militärische Blockade der Insel verkündet, worauf die Sowjetunion die USA vor einer Aggression und einem thermonuklearen Weltkrieg warnte.

„Am 26. Oktober gab Präsident Kennedy die Anweisung, unverzüglich Maßnahmen zur Einsetzung einer ‚zivilen Macht‘ auf Kuba nach der Landung amerikanischer Truppen und der Besetzung der Insel auszuarbeiten. Die Kriegsmaschinerie wartete nur noch auf das Signal zum Losschlagen. Doch der Präsident zögerte. Er harrte auf eine Botschaft Chrustschows.
Er erhielt sie um 18 Uhr desselben Tages. Wir erklärten uns bereit, unsere Raketen, die von den USA als Angriffswaffen angesehen wurden, von Kuba abzuziehen, wenn die Vereinigten Staaten ihrerseits die absolute Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Republik garantieren und auch künftig deren Souveränität nicht antasten würden.“

Allerdings sei am Folgetag über Kuba ein US-Spionageflugzeug U2 von einer sowjetischen Rakete abgeschossen und der Pilot dabei getötet worden. Das habe die Lage wieder zugespitzt, erinnerte Bolschakow. Die US-Militärs hätten daraufhin sofortige Luftangriffe auf Kuba gefordert. Der Präsident-Bruder Kennedy habe in der Folge Moskau über den sowjetischen Botschafter Anatoli Dobrynin auf die Gefahr eines Krieges aufmerksam gemacht. Doch der Präsident wolle einen solchen vermeiden, was ihm gegenüber kurz danach wiederholt worden sei, wie sich Bolschakow erinnerte. Der US-Justizminister habe dabei betont, „dass der Präsident jetzt, da er die Blockade verhängt habe, ‚Gefangener seiner eigenen Handlungen“ sei. Es werde ihm nunmehr beinahe unmöglich sein, die Militärs in den nächsten 24 Stunden zurückzuhalten, wenn keine positive Antwort aus Moskau eintreffe …“

Signal über „Radio Moskau“

Aber auch das kam: „Radio Moskau“ übertrug am 28. Oktober 1962 eine direkt an den US-Präsidenten gerichtete Botschaft der sowjetischen Regierung mit Vorschlägen, um die Krise beizulegen. „Die Uhren, die schon in die letzten Sekunden vor dem Ausbruch eines Krieges zählten, zeigten damit wieder die ersten Sekunden des Friedens an …“, so Bolschakow in seinen Erinnerungen. Er habe später erfahren, dass dieser direkte Weg über das Radio gewählt wurde, weil keine Zeit mehr gewesen sei, die Nachricht zu chiffrieren.

Der sowjetische Nachrichtenmann meinte 1989, US-Präsident Kennedy und Chrustschow hätten 1962 eine atomare Katastrophe verhindert. Beide hätten den Mut gehabt, die „Kuba-Krise“ zu lösen und auf den Sieger-Status dabei zu verzichten. Bolschakow kritisierte die damalige sowjetische Geheimniskrämerei um die eigenen Raketen auf Kuba als Auslöser. Zuvor seien die US-Raketen in der Türkei, gegen die Sowjetunion gerichtet, ganz offen stationiert worden, was auch Moskau bekannt gewesen sei. Dessen anfängliche Leugnung der Raketen auf Kuba sei von der Gegenseite als „eindeutige Lüge“ aufgefasst worden, was das Misstrauen gegen die Sowjetunion gestärkt habe. Deshalb sei er selbst von den Kennedys als Lügner angesehen worden, erinnerte sich Bolschakow mit Bitterkeit.

„Sputnik“-Hefte aus den Jahren 1989 und 1990

Ende der Annäherung

Er wies daraufhin, dass mit der Ermordung Kennedys 1963 und der Absetzung Chrustschows 1964 der von beiden vorsichtig begonnene Suche nach „einer friedlichen, für beide akzeptablen Lösung globaler Probleme“ beendet wurde.

„So wurden die sich eröffnenden Möglichkeiten für eine amerikanisch-sowjetische Annäherung und wertvolle Zeit verspielt!“

Einige Tage, nachdem die dreizehntägige „Kuba-Krise“ 1962 beigelegt werden konnte, sei der inoffizielle Kanal dichtgemacht worden, berichtete Bolschakow. Er sei von Moskau abgezogen worden, weil seine Rolle publik geworden sei. Er war und blieb nicht der einzige Geheim-Botschafter in der Zeit des Kalten Krieges, der dazu beitrug, dass aus ihm kein heißer Krieg wurde. Ähnlichkeiten mit heutigen Interessen, Ereignissen und Vorgängen sind alles andere als rein zufällig. Ob sich Geschichte wiederholt, bleibt strittig. Ob heute solche Kanäle genutzt werden, erfahren erst spätere Generationen.