„Gigantische Fehlkonstruktion“ – Westliche Demokratie vor dem Untergang?

Aus der „Herrschaft des Volkes“ ist ein elitäres Herrschaftssystem geworden. So schätzt der Publizist Wolfgang Koschnick den Zustand der Demokratie ein. Die Eliten nutzen sie geschickt für ihre Interessen und Zwecke aus. Koschnick sieht gegenwärtig keine Alternativen, während andere immer noch davon reden, die Demokratie wieder zu beleben.

Die Demokratie nach westlichem Muster ist dem Untergang geweiht, ist sich der Journalist und ehemalige Unternehmensberater Wolfgang Koschnick sicher. Sie wieder zu beleben, werde nicht gelingen, sagte er im Interview. Koschnick hat 2017 das Buch „Eine Demokratie haben wir schon lange nicht mehr“ veröffentlicht.

Es basiert auf seiner Beitragsserie zum Thema im Online-Magazin „Telepolis“ in den Jahren 2013 und 2014. In Serie und Buch stellt er unter anderem fest, dass das als „Demokratie“ bezeichnete politische System „zu einem elitären Herrschaftssystem verkommen“ sei, das die Reichen immer reicher und die Armen ärmer mache.

Das politische System in allen etablierten Demokratien von den USA über Europa bis hin nach Japan sei „gekippt“ – und mit ihm die Stimmung der Menschen, so Koschnick. Das wird durch aktuelle Analysen bestätigt, wie unter anderem kürzlich die „Wiener Zeitung“ in ihrer Onlineausgabe berichtete. Aus den Daten des aktuellen World Values Survey geht laut dem Blatt hervor, dass in den vergangenen zehn Jahren der Ruf nach starken Führern, „die keine Rücksicht auf Wahlen oder das Parlament zu nehmen brauchen“, weltweit lauter geworden ist.

Vertrauen in Politik auf historischem Tiefstand

Die globale Studie zeigt laut der österreichischen Zeitung, dass das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Parlamente, Regierungen und politische Parteien auf einem historischen Tiefstand ist. Die etablierten Demokratien Westeuropas und der USA werden laut der „Wiener Zeitung“ „von einer stillen Revolte erschüttert: Nicht wenige Wählerinnen und Wähler stimmen für Politiker, die versprechen, das System der liberalen Demokratie zu zerstören.“

Die beiden Politikwissenschaftler Christopher Achen von der Princeton-Universität und Larry M. Bartels von der Vanderbilt Universität appellieren dem Blatt zufolge in ihrem Buch „Democracy for Realists“, etwas gegen die ökonomische und soziale Ungleichheit in der Gesellschaft zu unternehmen, um die Demokratie wiederzubeleben.

Herrschaftssystem mit selbstzerstörerischer Eigendynamik

„Am Anfang ist die demokratische Begeisterung ziemlich groß. Dann erlebt man die Realität und stellt fest, dass in der wirklichen Wirklichkeit die Szene von Berufspolitikern beherrscht wird und nicht vom Volk.“

So beschrieb Autor Koschnick im Interview seine grundlegenden Erfahrungen, die viele teilen würden. Das gelte für alle repräsentativen Demokratien, „von den USA über Europa bis hin nach Japan“, so der ehemalige Unternehmensberater und Journalist.

„Aus dem demokratischen Ideal von einst ist längst ein Herrschaftssystem geworden, in dem sich eine besonders unfähige und üble Spezies von Berufspolitikern an den Schalthebeln der Macht bequem eingerichtet hat, ihre eigennützigen Interessen verfolgt und sich aus den staatlichen Töpfen komfortabel bedient.“

Koschnick bezeichnete die gegenwärtigen Demokratien als „gigantische Fehlkonstruktion, die laufend Krisen und Katastrophen erzeugt“.

„Der Zusammenbruch der entwickelten repräsentativen Demokratien ist unvermeidlich, weil die selbstzerstörerische Eigendynamik dieser Systeme unausweichlich auf den Kollaps zusteuert.“

Rechtsruck des Systems statt Druck von rechts

Der Autor widersprach den aktuellen gängigen Behauptungen, die westlichen Demokratien würden vor allem von rechts unter Druck geraten. Den „veritablen Rechtsruck“ gebe es in den politischen Systemen selbst, weltweit. Koschnick sprach von einer „Refaschisierung aller politischen Bereiche“. Dieser ähnlich ablaufende Prozess in verschiedenen Regionen habe strukturelle Ursachen.

„Die repräsentativen Demokratien haben sich allesamt zu Oligarchien gewandelt, in denen das Gemeinwohl der breiten Bevölkerung keine Rolle mehr spielt.“

Bis in die 1980er Jahren schien es aus seiner Sicht möglich, dass die demokratischen Systeme ein gewisses Maß an sozialer Gerechtigkeit leisten und sichern könnten. Diese Illusion sei „inzwischen dahingewelkt“.

„Das ist einfach nur Quatsch“, kommentierte Koschnick die wiederholten Vorwürfe vor allem an Russland, mit verschiedenen Mitteln die westlichen Demokratien beeinflussen und zerstören zu wollen.

„Immer wenn jemand finstere ausländische Mächte beschuldigt, das Inland zu beeinflussen, fällt ihm nichts mehr ein.“

Solchen Vorwürfen könne nur begegnet werden, in dem klar gemacht werde, „dass ausländische Mächte gar nicht dazu in der Lage sind und auch nicht wirklich ein Interesse daran haben.“

Unter US-Präsidenten einige mutmaßliche Kriegsverbrecher

Auch US-Präsident Donald Trump wird immer wieder als Gefahr für die Demokratie westlicher Herkunft dargestellt. Er verstehe das gar nicht, sagte der Autor dazu: Trump sei nicht die erste zweifelhafte Persönlichkeit als US-amerikanischer Präsident.

„Vor Obama hatten wir George W. Bush, der war auch nicht viel besser. Wenn ich bedenke, was ich heute über Richard Nixon und den Vietnam-Krieg weiß, muss ich sagen: Da gab es unter den US-Präsidenten einige, die vor jedem Gericht, das diesen Namen verdient, als Kriegsverbrecher verurteilt würden.“

Die demokratischen Mechanismen seien von jenen überwältigt worden, die Koschnick als „die alten Mächten“ bezeichnete.

„Die neoliberalen Kapitalisten hatten lange genug Zeit, sich in den Demokratien so einzurichten, um sie gründlich zu untergraben. Sie verstehen sich meisterlich in der Technik, die Instrumente der Demokratie zu infiltrieren und sie für ihre Zwecke umzuformen.“

Breite Bevölkerung misstraut den Politikern

Das sei zum Beispiel an den politischen Parteien erkennbar: Sie seien „ein Haufen von ein paar Hunderttausend Mann, allesamt Rentner, die im Grunde genommen mehr aus Gründen der Geselligkeit als aus anderen Gründen an den politischen Prozessen scheinbar teilnehmen“.

„Es gibt keine demokratische Entscheidung von unten nach oben. Alles, was an politischen Entscheidungen wichtig ist, wird von oben nach unten gemacht.“

In seinem Buch bringt er er verschiedene konkrete Beispiele dafür. Die breite Bevölkerung bemerke das, stellte der Autor klar, der unter anderem als Leiter der Auslandsabteilung des Instituts für Demoskopie (IfD) Allensbach tätig war.

„Sie weiß, dass sie den Politikern nicht mehr trauen kann. Sie weiß, dass sie nur noch mit gesundem Misstrauen reagieren kann – und einer großen, etwas diffusen Politikverdrossenheit.“

Koschnick betonte, dass es den Menschen in den Demokratien besser als unter vordemokratischen Systemen gehe.

„Aber in den entwickelten Demokratien geht es ihnen wieder wesentlich schlechter als noch in den frühen Demokratien.“

In Ersteren gehe es wieder bergab. Es handele sich um einen globalen Niedergang.

Unaufhaltsamer Niedergang

Mit der Demokratie sei das Versprechen wachsender Wohlfahrt, zunehmender sozialer Gerechtigkeit, nachhaltiger Chancengleichheit, Generationengerechtigkeit und der Überwindung von Elend und Armut verbunden. Dazu gehöre, „dass die Menschen nicht Untertanen sind, sondern ihr Geschick in die eigenen Hände nehmen können“.

„Nur die freien und gleichberechtigten Bürger sind die legitimen Inhaber der staatlichen Ordnungsmacht und Herrschaftsbefugnis.“

Das würden aber die Demokratien in den herrschenden Systemen nicht mehr gewährleisten.

In seinem Buch verweist als zumindest auf das Modell Schweiz mit seinen demokratischen Mechanismen. Es werde aber überschätzt und sei nur ein Mischsystem, „keine direkte Demokratie“. Die Entscheidungen, die in der Schweiz gefällt würden, „sind nicht alle sehr vernünftig“. Die eidgenössische Bevölkerung könne zwar stets Einfluss nehmen, was aber nur selten genutzt werde.

„Ich kann nicht erkennen, dass irgendwelche Kräfte am Wirken sind, die die demokratischen Werte wieder real und lebendig machen“, zeigte sich Koschnick skeptisch. Er sieht als Alternative auch keine Partei, die das Wort in ihrem Namen trägt. „Der Niedergang ist unaufhaltsam und wird in den nächsten Jahren kommen“, schätzte er fatalistisch ein.