Wo Lenin Hand in Hand mit Mickey Mouse und Jesus geht

Seit dem Oktober 2017 ist eine Ausstellung in Berlin der russischen Revolution 100 Jahre zuvor gewidmet. Sie gibt einen Überblick über Ursachen, Geschehen und Wirkungen und bietet viele Informationen und Erläuterungen. Die Zusammenhänge, die zur Revolution führten und sie später auf einen blutigen Weg brachten, erklärt die Exposition kaum.

Wer die Ausstellung „1917. Revolution. Russland und Europa“ im Deutschen Historischen Museum (DHM) betritt, der wird zuerst von Video-Statements auf Monitoren begrüßt. Darin erklären bekannte und weniger bekannte Menschen aus Deutschland und Russland, welche Bedeutung die Revolution von 1917 heute noch hat. Da hofft unter anderem der Linken-Politiker Gregor Gysi, „dass mal ein Versuch gelingt“, während die georgische Autorin Nino Haratischwili meint: „Der Reiz der Idee ist ziemlich gefährlich.“ Michail Schwydkoj erklärt dagegen: „Die Revolution beeinflusst bis heute die Denkweise der Menschen.“ Er ist Außerordentlicher Vertreter des Präsidenten der Russischen Föderation für die internationale kulturelle Zusammenarbeit. „Es gibt nur Verlierer, keine Sieger“, schätzt die renommierte Journalistin Gabriele Krone-Schmalz ein.

Vielleicht hätte das besser an das Ende statt an den Anfang der Ausstellung gepasst, anstelle der Skulptur von Alexander S. Kosolapov. Die zeigt kurz vor dem Ausgang unter dem Titel „Hero, Leader, God“ Lenin Hand in Hand mit Mickey Mouse und Jesus, alle drei ganz in Rot, und will zeigen, wie austauschbar immer wieder Götzen und Symbole politischer und religiöser Weltanschauungen sind. „Mit seinem Titel fordert das Werk den Besucher heraus, zu überlegen, welche der Figuren welche Rolle verkörpert und wie sich Kommerz, Ideologie, Propaganda und Religion in verschiedenen Weltanschauungen zueinander verhalten“, heißt es dazu im Katalog der Ausstellung.

Fleißig zusammengetragene Exponate

Zwischen den Video-Statements und der Skulptur der roten Dreifaltigkeit versucht die seit dem 18. Oktober geöffnete Exposition im DHM Unter den Linden in Berlin zu zeigen, warum es 1917 zur Revolution in Russland kam, was ihr folgte und wie sie in andere Länder ausstrahlte. Das geschieht mit vielen verschiedenen Exponaten von alten Uniformen der zaristischen Armee, Werkzeugen und Bekleidungen von Arbeitern und Bauern über Dekrete – auch das „Dekret über den Frieden“ der siegreichen Bolschewiki –, Plakate und Bücher sowie Haushaltsgegenständen von Adligen und religiösen Artefakten bis zu Fotos und Videos aus verschiedenen Zeitpunkten des Geschehens. Dabei geht es nicht nur um die Lage und die Ereignisse in Russland, sondern auch wie die russische Revolution in Europa aufgenommen wurde und was sie auslöste.

Das ist alles sehr fleißig und umfangreich zusammengetragen und nicht uninteressant. Aber vielleicht ist der Versuch einer umfassenden Darstellung, die so etwas wie einen roten Faden hat, von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil das bedeuten würde, sich auf wenige Aspekte oder gar nur einen zu begrenzen. So bleibt als solcher „Faden“ für die Besucher nur die Linie auf dem DHM-Fußboden, die durch die einzelnen Stationen führt, eigentlich nur gedacht für Blinde und Sehschwache.

Wahrscheinlich kann solch eine Ausstellung nur einen Überblick zum Thema und seine verschiedenen Aspekte geben und höchstens dazu anregen, sich mit einzelnen Fragen weiter zu beschäftigen. Bei manchen Exponaten lässt sich durchaus fragen: „Was wollen die Ausstellungsmacher um Arnulf Scriba uns sagen?“ So zum Beispiel, wenn hinter einem Foto mit der letzten Zarenfamilie eine Büste von Karl Marx hervorschimmert.

Weggelassene Aspekte

Die Ausstellung ist zumindest chronologisch angelegt – von „Aufbruch und Zerfall“ im russischen Imperium, einschließlich des künstlerischen Aufbruchs in die Moderne, zu „Utopie und Wirklichkeit“ der Revolution und ihren weltweiten Folgen mit den Stichworten „Wirkung und Widerstand“ bis zum „Epilog“ darüber, wie die Revolution in Russland bis heute unterschiedlich gesehen und verstanden wird. Über manche Erklärungen zu den einzelnen Etappen ließe sich trefflich diskutieren, so wenn es heißt, die Bolschewiki hätten nach der Machtübernahme ihre Gegner von Beginn an inhaftiert, die Presse verboten und die Armee aufgelöst.

Weggelassen wird dabei der Hinweis, dass viele der Maßnahmen, bis hin zum „roten Terror“, erst als Reaktion auf dem gewaltsamen Widerstand der bis dahin Herrschenden erfolgten. Die Bolschewiki hätten die alten Strukturen zerstört und die Revolution in den Bürgerkrieg mit seinem unendlichen Leid und mehr Toten in Russland als durch den 1. Weltkrieg geführt, wird den Besuchern erklärt. Auch das lässt weg, dass den Krieg gegen die eigene Bevölkerung und gegen die Revolution jene begannen, die von ihr entmachtet wurden.

Der US-amerikanische Journalist Albert Rhys Williams, der unter anderem mit dem legendären John Reed („10 Tage, die die Welt erschütterten“) durch das revolutionäre Russland reiste und ebenfalls als Augenzeuge über die damaligen Ereignisse berichtete, schrieb damals, „die Oktoberrevolution war zunächst einmal eine kontrollierte und weitgehend friedlich verlaufende Machtübernahme durch Besetzung entscheidender Teile der Infrastruktur“. Die Kräfteverhältnisse seien eindeutig zugunsten der Bolschewiki gewesen, so dass diese keine Hunderttausende auf die Straße rufen mussten, hob Williams hervor.

Kunst aus dem nachrevolutionären Russland

Beide berichteten darüber, wie die unblutig Entmachteten von Beginn an nicht nur mit Hetze und Manipulation reagierten, sondern auch mit zielgerichteter militärischer Gewalt, mit Hilfe der Reste der zaristischen Armee. „Daß die Bolschewiki sich länger als drei Tage an der Macht halten sollten, hielt niemand für möglich, ausgenommen vielleicht Lenin, Trotzki, die Petrograder Arbeiter und die einfachen Soldaten.“ Das hielt der US-Journalist Reed in seinem Buch fest und erklärte das so:

„Nicht durch Kompromisse mit den besitzenden Klassen oder mit den anderen politischen Führern, nicht durch einfache Übernahme des alten Regierungsapparates eroberten die Bolschewiki die Macht, noch geschah dies mittels der organisierten Gewalt einer kleinen Clique. Wenn die Massen in ganz Rußland nicht zum Aufstand bereit gewesen wären, hätten sie nicht siegen können. Die einzige Erklärung des bolschewistischen Erfolges liegt darin, dass sie die tiefen und einfachen Bestrebungen der unterdrückten Volksmassen in die Tat umsetzten, indem sie sie dazu aufforderten, das Alte niederzureißen und zu zerstören, und sie dann gemeinsam mit ihnen inmitten der noch rauchenden Ruinen an der Errichtung einer neuen Ordnung arbeiteten.“

Die Intelligenzija – verraten oder Verräterin?

Die beiden US-amerikanischen Augenzeugen beschrieben die Hoffnungen der Revolutionäre, nicht nur den Weltkrieg beenden und Frieden nach außen erreichen zu können, sondern durch eine andere Art von Herrschaft und Politik Frieden im eigenen Land zu schaffen. Nachlesbar ist bei Williams und Reed ebenso, wie diese Hoffnungen infolge der Reaktionen der Entmachteten sich als Illusionen erwiesen. Ersterer betonte bereits damals, der auch in der Berliner Ausstellung erwähnte „rote Terror“ „kam erst, als die Heere der Alliierten Russland bedrohten, als unter ihrem Schutz Zaristen und das Schwarze Hundert auf die Bauern und Arbeiter losgelassen wurden“. Maßnahmen wie die erst von den Bolschewiki abgeschaffte und dann wieder eingeführte Todesstrafe seien eine „Antwort auf den weißen Terror der Konterrevolution“ gewesen. Das gehört zu dem Nährboden, auf dem der Stalinismus mit seiner gewalttätigen Herrschaft gedeihen konnte, auf den im DHM hingewiesen wird.

„Die Intelligenz desertiert“ heißt ein Kapitel in dem kürzlich auf Deutsch erschienenen Buch von Williams („Durch die russische Revolution“). Es sei „eines der verblüffenden Paradoxe der Weltgeschichte, eine ihrer ungeheuren Tragödien – das Versagen der Intelligenz.“ Diese habe das Recht des Volkes auf Revolution verleugnet, obwohl die „Intelligenzija“ zuvor geholfen habe, sie in Gang zu setzen, so Williams. „Infolge der antibolschewistischen Einstellung fast der gesamten Intelligenz war die Sowjetregierung außerstand, schnell einen neuen Beamtenstab zu rekrutieren“, berichtete Reed von der Lage nach der Revolution. Davon ist in der Ausstellung kaum etwas zu erfahren, während die Angehörigen der russischen Intelligenz vor allem als Opfer der Revolution gezeigt werden, die einen beträchtlichen Teil der etwa eine Million Emigranten nach 1917 ausmachten.

Blick auf Deutschland

Im Ausstellungsteil über die Folgen der Revolution wird am Beispiel mehrerer Länder über die weltweiten Reaktionen auf die russischen Geschehnisse informiert. Dazu gehört eine Nische zu den revolutionären Ereignisse in Deutschland ab Herbst 1918 mit verschiedenen Exponaten von beiden Seiten, vom Freikorps-Stahlhelm mit Hakenkreuz und dem roten Banner der KPD über die Totenmaske des ermordeten Kommunisten Karl Liebknecht und antibolschewistische Hetzpropaganda bis hin zu einem Maschinengewehr und Fotos von damals. Das Bürgertum „und mit ihm die Sozialdemokraten“ hätten die von „extremen Linken“ angestrebte Revolution als Bedrohung angesehen, erklärt dazu der Katalog:

„Sie befürchteten, dass eine revolutionäre Erschütterung ebenso wie in Russland in Bürgerkrieg und Diktatur umschlagen könne.“

So wurde laut Ausstellungsmacher „gefährdete Demokratie“ in Deutschland mit den Morden an Liebknecht und Rosa Luxemburg sowie durch den Einsatz von Freikorps auf Befehl des sozialdemokratischen „Bluthundes“ Gustav Noske „gerettet“.

Wer am Ende die Ausstellung verlässt, verabschiedet von der roten Dreifaltigkeit aus Lenin, Mickey Mouse und Jesus, nimmt eine Vielzahl von Informationen und Eindrücken mit nach Hause. Das ist vielleicht das wichtigste Ergebnis: Die Exposition im DHM regt an, sich wieder oder ganz neu mit der Revolution in Russland 1917, mit ihren Ursachen und Wirkungen zu beschäftigen – und zu erkunden, was davon 100 Jahre später noch aktuell ist.

Noch bis zum 15. April dieses Jahres ist die Ausstellung im Museum Unter den Linden zu sehen. Durchaus empfehlenswert sind der Katalog (25 Euro) und der dazugehörige Essay-Band (24 Euro), beide besser gestaltet als die Ausstellungsplakate.