Attacke „unter falscher Flagge“? – Umweltverbände gegen Nord Stream 2

Zwei Umweltverbände fordern von der neuen Bundesregierung und deren tragenden Parteien, das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 zu stoppen. Das wird nicht nur mit ökologischen Argumenten begründet, sondern auch mit der „Solidarität in der EU“. Der Appell klingt ähnlich wie Attacken von Projektgegnern mit ganz anderen Interessen.

„Stoppen Sie das Projekt Nord Stream 2.“ Das fordern die beiden Verbände Naturschutzbund Deutschland (NABU) und WWF (World Wide Fund For Nature) Deutschland in einem Offenen Brief vom Donnerstag an die bundesdeutschen Parteivorsitzenden und Chef-Unterhändler der GroKo, Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz. Das wird unter anderem mit dem Umweltschutz begründet. Die geplante Erdgas-Pipeline von Russland nach Westeuropa führe in eine „klimapolitische Sackgasse“ und „bedroht das fragile Ökosystem der Ostsee“. Soweit wenig überraschend die beiden Verbände.

NABU-Präsident Olaf Tschimpke und WWF-Deutschland Vorstand Eberhard Brandes gehen aber noch weiter und behaupten, das Projekt treibe „einen Keil in die Solidarität innerhalb der Europäischen Union“. Die beiden erklären der bundesdeutschen Politik:

„Das Projekt spaltet Europa und isoliert Deutschland von seinen direkten Nachbarn. Neben Polen und den Baltischen Ländern hat sich längst Widerstand in Skandinavien und auch bei der Europäischen Kommission formiert. Dänemark hat jüngst seine Umweltgesetzgebung novelliert, um die Pipeline in seinen Küstengewässern zu verhindern.“

Argumente wie von US-Konzernen

Diese Argumente entsprechen genau dem, was von den anderen Projektgegnern bisher vorgebracht wird. Selbst die USA machen sich angeblich Sorgen um Europas Energiesicherheit – aber aus eindeutig wirtschaftlichen und politischen Interessen: „Die USA wollen die Pipeline NordStream II verhindern, die noch mehr russisches Gas in die EU (nach Deutschland) liefern würde.“ Darauf machte unter anderem die österreichische Zeitung „Kurier“ im Dezember aufmerksam.

„Mit dieser nördlichen Pipeline und einem Gasstrang durch die Türkei (TurkStream) könnten die Russen ihre europäischen Kunden weiter beliefern und die Ukraine komplett umgehen. Diese würde um zwei Milliarden Dollar Transitgebühr im Jahr umfallen.“

Das wolle Washington durchkreuzen, so das Blatt.

Es verweist auch darauf, dass die US-Konzerne das eigene Schiefergas in flüssiger Form nach Europa verkaufen wollen. Aber westeuropäische Firmen aus Deutschland und Österreich setzen bei Nord Stream 2 auf billigeres Gas aus Russland. Die USA schießen unter anderem mit Sanktionen dagegen. „Wer sich an Russen-Pipelines beteiligt, muss befürchten, keine Geschäfte in den USA mehr zu machen“, so die österreichische Zeitung.

Doch das Projekt sei nicht in Gefahr und werde weiter vorbereitet, heißt es. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hatte im November 2017 bei der 10. Deutsch-Russischen Rohstoff-Konferenz in St. Petersburg erklärt, „dass es gelingen kann, zum Beispiel auch ein so wichtiges Projekt wie Nord Stream 2 nach geltendem europäischem Recht und nach deutschem Recht möglich zu machen“. Jörg Kirsch, im Bundeswirtschaftsministerium verantwortlich für alle Fragen zu Nord Stream 2, hat bei einer Veranstaltung in Berlin betont, es gebe praktisch keine Möglichkeit, die Gas-Pipeline juristisch zu stoppen.

„Genetisches Bündnis mit der Industrie“

Doch es wird weiter versucht – mit allen Mitteln, notfalls auch mit ökologischen und moralischen Appellen wie jetzt von NABU und WWF. Sie verweisen auf Pipeline-Gegner wie Polen, die baltischen Länder und Dänemark. Das dänische Parlament hatte Ende November gar eine Gesetzesänderung beschlossen, um die Pipeline, die südlich von Bornholm verlaufen soll, auf dänischem Territorium blockieren zu können. Das wird mit außen-, verteidigungs- und sicherheitspolitische Interessen des Landes begründet. Beobachtern und Medienberichten zufolge gab es im Vorfeld entsprechenden Druck aus Washington auf Kopenhagen.

Warum sich ein Verband wie der WWF anscheinend in den Kampf gegen das Pipeline-Projekt einspannen lässt, ist beim Blick auf seine Geschichte wenig verwunderlich. Der Journalist Wilfried Huismann, Autor des „Schwarzbuches WWF“, sagte in einem Interview mit der „taz“ im Jahr 2016:

„Beim WWF ist das Bündnis mit der Industrie genetisch. Er wurde ja nicht nur von prominenten Naturschützern gegründet, sondern auch von der Ölindustrie: Shell und British Petroleum waren von Anfang an dabei – und haben bis heute Direktoren im Aufsichtsrat von WWF International.“

Huismann bezeichnete die Organisation mit dem Panda als Logo als „ein Werkzeug derjenigen extraktiven Konzerne auf der Erde, die die Umwelt am meisten schädigen“.

Der WWF wurde 1961 als reine Artenschutzstiftung gegründet und mit dem Geld und Kontakten von reichen Unternehmern und Adeligen aufgebaut. In der Zeitschrift „natur“ war 2014 zu lesen, „auch heute noch sitzen viele Geschäftsleute und Politiker in den Gremien“ der Organisation. Es sei deren Strategie, mit möglichst vielen Unternehmen zusammenzuarbeiten. Dabei wurde auch auf die „lose Konstruktion einer weltweit vermeintlich einheitlich auftretenden Organisation und Marke“ hingewiesen. Das wirke verwirrend und führe zu vielen Missverständnissen. Es ist aber immer wieder nützlich, wenn die Organisation Stimmung macht, ebenso, wenn sie kritisiert wird: Wo nötig, wird das Image einer weltweiten Organisation ins Spiel gebracht, in anderen Fällen kann auf formal unabhängige regionale Untergliederungen verwiesen werden.

Unternehmen widerlegt Verbandsvorwürfe

NABU und WWF hatten sich schon zuvor gegen das Projekt Nord Stream 2 ausgesprochen, Ersterer im Juni 2017 mit einer Stellungnahme. Da wurde zwar behauptet, der Bau der Pipeline sei „rechtswidrig“, aber es war noch keine Rede vom „Keil“, der damit „in die Solidarität innerhalb der Europäischen Union“ getrieben werde. Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte am Freitag, das Bundeskanzleramt reagiere nicht öffentlich auf solche Offenen Briefe wie den der beiden Verbände. Es bleibe „die Überzeugung der Bundesregierung, dass die Erweiterung der Gaspipeline Nord Stream eine unternehmerische Entscheidung der beteiligten Gesellschaften ist“, ergänzte Seibert. „Selbstverständlich gelten für diese Entscheidungen hinsichtlich eines solchen Pipelineprojekts nationale, europäische und internationale Rechtsvorschriften, und deren Einhaltung ist sicherzustellen.“

Die Nord Stream 2 AG erklärte auf Anfrage, „dass die Behauptungen der Umweltverbände keiner faktischen Prüfung standhalten“. Das Unternehmen betonte, die Pipeline sei notwendig, um die Versorgungssicherheit bei der sich um die Hälfte verringernden Gasproduktion in Europa zu gewährleisten. „Nord Stream 2 ist der wirtschaftlich und ökologisch effektivste Weg, Erdgas aus den weltweit größten Vorkommen zum Verbraucher zu transportieren, insbesondere im Vergleich zum ökologisch fragwürdigen Fracking-LNG aus den USA“, hieß es weiter aus der Projektzentrale im schweizerischen Zug. Mit Erdgas könnten nicht nur die Klimaziele erreicht werden, so der Widerspruch zu NABU und WWF. Im Rahmen des Nord Stream 1-Projektes sei nachgewiesen worden, dass Nord Stream 2 umweltverträglich gebaut werden könne, „da der Eingriff sehr lokal und ausschließlich temporär ist“. Nord Stream 2  sei „ein Muss für deutsche und europäische Versorgungssicherheit“, hob das Unternehmen in einer Erklärung am Freitag hervor.