Wie „Schattenmächte“ die Demokratie im Westen gefährden – Buchpremiere

Immer mehr Entscheidungsmacht von nationalen Parlamenten und Regierungen geht an transnationale Netzwerke. Das zeigt Fritz R. Glunk in seinem kürzlich erschienenen Buch und beschreibt, wie Expertengremien aus Wirtschaft und Behörden Gesetze vorbereiten, die Parlament und Regierung nur noch abnicken – und wie die Demokratie dabei verliert.

Braucht ein Land wie Deutschland überhaupt noch eine ordentliche Regierung und ein ordentliches Parlament? Es geht auch ohne, zumindest für die global agierenden Wirtschaftskreise: Längst haben transnationale Netzwerke die Aufgaben von Parlamenten und Regierungen übernommen und geben ihnen vor, was sie tun sollen. Die eigentlich verantwortlichen nationalen Politiker sind für sie höchstens noch Gesprächspartner und notwendige Umsetzer. Darauf macht der Publizist Fritz R. Glunk in seinem Buch über die „Schattenmächte“ aufmerksam. Darin beschreibt er laut Untertitel „Wie transnationale Netzwerke die Regeln unserer Welt bestimmen“.

Glunk, Gründungsherausgeber das Magazins „Die Gazette“, will damit aber keine neuen „Verschwörungstheorien“ aufstellen, wie er im Interview mit Sputnik erklärte. Es gehe ihm auch nicht um elitäre Zirkel der Reichen und Mächtigen aus Wirtschaft und Politik wie die Bilderberger-Treffen, das „World Economic Forum“ (WEF) in Davos oder die „Mont Pelerin Society“ (MPS).

„Beunruhigende Entmachtung der Parlamente“

„Viele Wege führen am Parlament vorbei“, schreibt der Autor zu Beginn seines Buches. Er kritisiert etwas, wovor auch der Politikwissenschaftler Reinhard Mehring warnt: Dass ein „Exekutivregime“ zunehmend den Parlamentarismus als Grundelement der westlichen Demokratie aushebelt. Glunk bringt Beispiele für die von ihm als „beunruhigend“ bezeichnete Entwicklung. „Die hier global tätigen Gruppen sind in Form, Gestalt und Sichtbarkeit so vielfältig, unbeständig, form- und ortlos, dass sie sich einer verlässlichen Definition zu entziehen scheinen“, stellt er fest. Ihre Zahl werde weltweit auf etwa 2000 geschätzt: Sie tragen oftmals lange Bezeichnungen samt Abkürzungen, zum Beispiel „International Medical Device Regulators Forum“ (IMDRF) oder „Standard Advisory Council“ (SAC).

Diese „Schattenmächte“ bestünden aus Vertretern der Industrie- und Wirtschaftsverbände bestimmter Branchen und der entsprechenden staatlichen Behörden, die diese Bereiche regeln sollen, erklärte der Autor im Interview. Sie würden weltweit geltende Regeln vereinbaren, die „faktisch Rechtskraft besitzen“, die von den Parlamenten nur noch zur Kenntnis genommen, „aber nicht mehr diskutiert oder entschieden werden können“.

Diese Gruppen und ihr Wirken im Schatten, weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit, würden damit begründet, weil die von ihnen behandelten globalen Sachprobleme so komplex geworden seien, dass sich nur noch Experten und keine gewählten Abgeordnete mehr darum kümmern könnten. Glunk verwies auf das Beispiel der Pharmaforschung, die konkrete Folgen für die Menschen, ihr Leben und ihre Gesundheit hat. 90 Prozent der entsprechenden Ausgaben würden von Unternehmen stammen, so dass erlangtes Wissen nicht mehr der Öffentlichkeit, sondern den jeweiligen Firmen und Konzernen gehöre.

„Transnationale Regime“ statt national agierende Staaten

„Der Staat bestimmt nicht mehr, er gleicht aus“, wird im Buch die Rolle der Regierungs- und Behördenvertreter in den Gremien beschrieben. Es sei naiv, angesichts der „allmählichen Hegemonie der Wirtschaft“ noch den Vorrang der Politik zu fordern, meint der Publizist. Die staatlichen Akteure würden „im transnationalen Kontext … zu Repräsentanten partikularer Interessen absinken“, zitiert Glunk den Rechtswissenschaftler Lars Viellechner. Dafür würde die Exekutive die mit der Wirtschaft verabredeten Projekte gegen Widerstände verteidigen, stellt der Publizist fest. Das geschehe „mit allen Mitteln und in der Not mit dem autoritären Hinweis darauf, es gebe keine Alternative“.

Der Autor benutzt für die von diesen global agierenden Netzwerken aufgestellten und durchgesetzten Regelpakete den politikwissenschaftlichen Begriff der „transnationalen Regime“. Der Vorteil für die Wirtschaftsseite bei dieser „hochflexiblen, anpassungsfähigen Mischung aus privatem und öffentlichem Recht“ sei, sie könne die Regeln für ihr Handeln und ihre Produkte mitbestimmen – wenn nicht gar dominieren.

Glunk warnt in seinem Buch, der so entstandene Rechtsbereich sei „unabhängig von dem uns bekannten demokratieförmigen Recht und ohne staatliche Mitwirkung (oder gar seine Legitimität)“. Und:

„In ihren praktischen Auswirkungen, d.h. mit einem globalen Waren- und Dienstleistungsangebot, bestimmen die transnationalen Regime über unser aller tägliches Leben, fast wie eine Regierung.“

Selbst Befürworter dieses Prozesses  hätten die Frage „Beherrschen Konzerne die Welt?“ nur noch mit „Ja“ beantworten können, ohne jedoch nach den Folgen zu fragen.

Widerstand gegen diese Regime und ihre Macht rege sich kaum bzw. höchstens schwach. Die Kräfte, die diese Entwicklung wollen und fördern, seien „weltweit in der überwältigenden Mehrheit“. Allerdings bedeute die zunehmende „Expertokratie“, die der Autor beschreibt, für die Bürger eine „gewisse Entlastung“, wie er im Interview erklärte. Sie müssten sich um die transnational geregelten Fragen und Probleme nicht auch noch kümmern und würden nur selten von den Regelungen negativ betroffen sein. Sie würden diese meist akzeptieren, auch wenn ihr Zustandekommen nicht demokratisch kontrolliert werden könne.

Verschwörung gegen die Demokratie?

Es handele sich nicht um eine „Verschwörung“, betonte Glunk. Gegen eine solche stehe zum einen die Zahl von geschätzten 2000 Gruppen. Zum anderen würden sie nur jeweils in ihrer eigenen Branche aktiv sein. Diese Gruppen stünden in keiner Beziehung zueinander, erklärte der Publizist.

„Jeder betreibt nur die Regulierungsbedürfnisse mit den staatlichen Behörden für seinen Bereich, das aber weltweit.“

Dennoch kritisiert er in seinem Buch die „Ausrichtung der Welt an den wirtschaftlichen Interessen von Konzernen und Branchen“, vor allem wegen der Folgen für die Demokratie. Er fordert, diesen Prozess zu stoppen. Das in dessen Folge entstandene Unmutsgefühl, das sich in der Antiglobalisierungsbewegung wie auch im Erstarken rechter Parteien wie der AfD zeige, müsse in die „richtigen Bahnen“ gelenkt werden. Die Bürger sollten sich wieder einmischen und engagieren, fordert Glunk und fügt hinzu: Die Politik solle „selbstbewusst ihren Primat vor der Wirtschaft einfordern. Das wäre der Anfang.“

Das Buch ist eine wichtige Ergänzung zu all den kritischen Blicken der letzten Jahre auf das Wirken der Machtzirkel wie WEF, Bilderberger oder MPS. Zwar debattieren diese meist nur, wie Glunk meint, aber so einigen sich die dort Beteiligten über ihr Wirken in Wirtschaft und Politik. Der seit den 70er Jahren durchgesetzte sogenannte Neoliberalismus mit seiner „Schocktherapie“ und deren Folgen ist das deutlichste Beispiel dafür. Genau dieser gesellschaftszerstörende Kurs, ausgerichtet an den Interessen der Wirtschaft und der Besitzenden, hat die von Glunk kritisierte Entwicklung hervorgebracht und befördert.

Es sind „Schattenmächte“, ob sie über die künftige Politik und den Erhalt ihrer Machtstellung debattieren oder die Regeln für Produkte und deren Verkauf festlegen. Manchmal sind die jeweils Handelnden die gleichen Personen. Wo das nicht der Fall ist, sind die Akteure in den von Glunk aufgezeigten Netzwerken die Angestellten derjenigen, die sich in Davos und anderswo im Schatten treffen.

Fritz R. Glunk: „Schattenmächte – Wie transnationale Netzwerke die Regeln unserer Welt bestimmen“; dtv premium 2017; 192 Seiten; Preis: 12,90 € [DE], EUR 13,30 € [A]; ISBN 978-3-423-26175-3