Vom Nazi-Kriegsplaner zum BND-Chef: Biographie über Reinhard Gehlen erschienen

Wie ein ehemaliger Wehrmachtsgeneral und Mitgestalter des Krieges gegen die UdSSR geschafft hat, erster Geheimdienstchef der Bundesrepublik Deutschland zu werden, das beschreibt eine neue umfangreiche Biographie über Reinhard Gehlen. Die zeigt: Er war vor allem im Inland ein erfolgreicher Spion – auch im Interesse der CIA.

Reinhard Gehlen konnte als Generalmajor der faschistischen deutschen Wehrmacht nach deren Kapitulation 1945 seinen Krieg gegen die Sowjetunion und die Kommunisten fortsetzen. Dabei halfen ihm die US-Amerikaner, unter deren Aufsicht er erst die „Organisation Gehlen“ und daraus später den Bundesnachrichtendienst (BND) gründete. Dessen Chef blieb der einstige Chef der Wehrmachts-Abteilung „Fremde Heere Ost“ und Mitplaner des faschistischen Überfalls auf die Sowjetunion dann bis 1968.

Der Historiker Rolf-Dieter Müller bei der Buchvorstellung im Berliner Spionagemuseum

Für die USA und vor allem die CIA war Gehlen nützlich, weil er selbst im Inland bundesdeutsche Politiker ausspionierte und entsprechende Informationen weitergab. Darauf machte Rolf-Dieter Müller, Historiker und Autor einer neuen Gehlen-Biografie, gegenüber Sputniknews aufmerksam. Er stellte am Donnerstag in Berlin gemeinsam mit dem Ch. Links Verlag das zweibändige, 1400 Seiten zählende Werk vor. Die Biografie gehört als Band 7 zu den Ergebnissen der Arbeit der 2011 ins Leben gerufenen Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der BND-Geschichte (UHK), die von dem Ostberliner Verlag veröffentlicht werden.

Gegen die „rote Gefahr“ von außen und im Inneren

Es sei die umfassendste Biografie nicht nur des BND-Gründers, sondern auch eines Geheimdienstchefs überhaupt in der Welt, betonte Müller bei der Buchvorstellung. Gehlen habe sich nach Kriegsende in die westdeutsche Politik eingemischt – „zur Fortsetzung des Krieges gegen die UdSSR“. Zugleich habe er mit seinem umfassenden Sicherheitskonzept eine einzigartige Machtposition in der jungen Bundesrepublik angestrebt. Der Historiker liefert mit den zwei Bänden nach seinen eigenen Worten einen „ungewöhnlichen Blick auf die Frühgeschichte der Bundesrepublik und des Kalten Krieges“, der auch Kontinuitäten und das „Festhalten an einem autoritär-konservativen Staatsverständnis“ zeige.

Gehlen habe mit seinen Aktivitäten die „Verwestlichung der Bundesrepublik“ gebremst, stellte Müller fest. Der Geheimdienstchef habe sich als „Schutzpatron des rechts-konservativen Lagers und williger Handlanger Adenauer und Globkes im Kampf gegen die vermeintliche kommunistische Unterwanderung, gegen Neutralismus und Aufweichung der Abwehr der sowjetischen Bedrohung“ verstanden. Zugleich bevorzugte er laut dem Historiker intrigante Machtkämpfe statt öffentlichem Agieren ebenso wie skrupellose Verleumdungen gegen tatsächliche oder vermeintliche Gegner wie zum Beispiel die Friedensbewegung, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und linke Medien.

Vor allem im Inneren erfolgreich und nützlich

„Für den antikommunistischen Grundkonsens der Bundesrepublik liefert Gehlen Munition und präsentiert sich als vermeintlich bester Kenner des Gegners und als erfolgreicher Spionagechef im Vorfeld der westlichen Verteidigung“, erklärte sein Biograph. Er habe seine Position und die US-Dollars genutzt, um eine neue Wehrmacht aufzubauen. Doch seine US-amerikanischen Auftraggeber hätten ihn bereits frühzeitig feuern wollen, weil er sich mehr um innenpolitische Fragen als um die Spionage gegen den Osten gekümmert habe. Bei letzterer habe er weniger Erfolge erreicht als behauptet:

„Gehlen verstand kein Wort Russisch und war auch kein Stratege. Seine Versuche, mit dem CIA-Chef auf Augenhöhe über die Weltlage zu kommunizieren, zeigen den Dilettantismus des ehemaligen Berufsoffiziers.“

Doch er habe es verstanden, seine Pleiten zu vertuschen, auch durch seine „unbedingte Loyalität gegenüber dem neuen Führer, das heißt Adenauer“, hob Müller hervor. So sei es ihm gelungen, die Fäden hinter den bundesdeutschen Kulissen zu ziehen.

Doch trotz der Schwächen Gehlens in der nachrichtendienstlichen Analyse und trotz der Tatsache, dass der BND und sein Vorläufer bei allen großen Krisen im Kalten Krieg „nicht an der Spitze der rechtzeitigen Aufklärung“ stand, hielten die US-amerikanischen Auftraggeber lange Zeit an ihm fest. Das ist laut dem Historiker geschehen, „weil er in den fünfziger Jahren ein nützliches Einfalltor in die Bonner Politik gewesen ist“. Der BND sei „im Inland erfolgreicher als im Ausland“ gewesen, stellte Müller anhand seiner Erkenntnisse fest.

Gehlen habe Netzwerke in Staat und Gesellschaft aufgebaut sowie rechtskonservative Ideologie und „abendländische Gesinnung“ gepflegt. Der Geheimdienstchef sei aber kein ausgeprägter Ideologe gewesen, schätzte der Historiker ein, sondern vor allem von persönlichem Ehrgeiz getrieben. Der Mythos Gehlen sei bis Ende der Sechziger Jahren nie ernsthaft in Frage gestellt worden, selbst nicht, als Heinz Felfe, der Leiter der „Gegenspionage“ in dem Geheimdienst-Apparat, 1961 als Agent der DDR enttarnt wurde.

„Grenzbereich zu Hoch- und Landesverrat nicht gescheut“

„Bedeutete Gehlen eine Gefahr für die Demokratie?“, fragte der Autor bei der Vorstellung der Biographie. Seine Antwort: „Sein autoritäres Sicherheitskonzept und seine Bereitschaft, im Falle eines Ausfalls von Adenauer und eines neutralistischen Kurses einer Großen Koalition mit der CIA gegen die gewählte Regierung zu konspirieren, zeigt seine begrenzte Loyalität.“ Gehlen habe nicht den „Grenzbereich zu Hoch- und Landesverrat“ gescheut, meinte Müller. Dennoch habe er Adenauers westorientierte Politik unterstützt und die bei ihm geparkten Wehrmachtsoffiziere als „Rückgrat der neuen Bundeswehr“ zur Verfügung gestellt.

Der Geheimdienstchef tauge nicht für die Traditionspflege des heutigen BND, stellte Verlagschef Christoph Links fest. Er hoffe darauf, dass der Geheimdienst wie versprochen die Dokumente, die die UHK einsehen kann, für die zeithistorische Forschung geöffnet hält. Kommissionsleiter Klaus-Dietmar Henke wurde bei der Buchvorstellung nach den Akten gefragt, die kurz zuvor die „Süddeutsche Zeitung“ veröffentlicht hatte. Die Zeitung hatte am 1. Dezember unter anderem gemeldet:

„In seiner Zeit als Vizekanzler und Außenminister wurde Willy Brandt umfangreicher vom Bundesnachrichtendienst überwacht als bislang bekannt.“

Sie berief sich dabei auf Dokumente aus dem Nachlass von Gehlen, die ihr vorlägen.

„Ganz schwerer innenpolitischer Skandal“

Die Historikerkommission habe sich zwar auch darüber gewundert, aber alles, was da zu lesen sei, „sei der UHK längst geläufig“, erklärte Historiker Henke. In einer Erklärung des Gremiums hieß es: „Dabei scheint es sich hauptsächlich um Kopien von amtlichen, noch nicht deklassifizierten Unterlagen zu handeln. Die Existenz dieser Materialien war seit langem bekannt, ihr Aufenthaltsort nicht.“ Die massive politische Inlandsspionage der Organisation Gehlen und später des BND sei bereits seit Anfang der fünfziger Jahre bekannt, „nicht jedoch deren Umfang, Tiefe und historisch-politischer Stellenwert.“

Die Überwachung von Willy Brandt sei ein „ganz schwerer innenpolitischer Skandal“, so Kommissionsleiter Henke. Die inländischen Machenschaften des Auslandsnachrichtendienstes seien in der neuen Gehlen-Biografie thematisiert und auch Gegenstand mehrerer demnächst erscheinender UHK-Studien, kündigte er an. Wem das Treiben nutzte, daran erinnerte Biograph Müller gegenüber Sputniknews: „Wenn der Gehlen überall in der Politik herumschnüffelte, in Parteien und Gewerkschaften, dann hatten die Amerikaner natürlich die Möglichkeit, davon zu profitieren.“

Rolf-Dieter Müller: „Reinhard Gehlen. Geheimdienstchef im Hintergrund der Bonner Republik – Die Biografie“
Band 7.1: 1902-1950 / Band 7.2: 1950-1979
Ch. Links Verlag 2017; ISBN: 978-3-86153-966-7; 1376 Seiten; Preis: 98 Euro