INF-Abrüstungsvertrag nach 30 Jahren am Ende oder Rettung möglich?

Für den 1987 zwischen der UdSSR und den USA vereinbarten INF-Abrüstungsvertrag sieht es derzeit schlecht aus. Seit einiger Zeit werfen sich USA und Russland jeweils vor, dagegen zu verstoßen. Doch der historische Vertrag hat eine Chance, wenn beide Seiten wieder für gegenseitiges Vertrauen sorgen, meint Abrüstungsexperte Otfried Nassauer.

Am 8. Dezember vor 30 Jahren unterzeichneten der sowjetische Parteichef Michail Gorbatschow und der damalige US-Präsident Ronald Reagan in Washington den INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme. Danach wurden auf sowjetischer und US-amerikanischer Seite bis 1991 etwa 2700 atomare Waffensysteme in Europa und Asien verschrottet.

Der Vertrag habe nicht nur die Zahl der Nuklearwaffen in Europa reduziert, sondern auch deren Rolle sei kleiner geworden, sagte  Otfried Nassauer vom „Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit“ (BITS) gegenüber Sputniknews. Erstmalig seien Trägersysteme für Atomwaffen verschrottet und gegenseitige Inspektionen auf dem Territorium des jeweils anderen zugelassen worden. Das habe Vertrauen geschaffen, betonte Nassauer.

Er erinnerte daran, dass die 1987 vereinbarte Abrüstung weitgehend problemlos funktionierte. Das habe unter anderem bewirkt, „dass weitere Rüstungskontrollverträge auf Basis dieser Übereinstimmung und dieses Vertrauens schnell und problemlos geschlossen werden konnten“. Beispiele seien die Verträge über Begrenzung und Abrüstung strategischer Atomwaffen („START“-Verträge) sowie die über die Begrenzung der konventionellen Streitkräfte in Europa. Es habe nach dem Ende des Kalten Krieges auch dazu geführt, dass „beide Seiten sogar einseitige Abrüstungsmaßnahmen gegenseitig angekündigt und auch weitgehend umgesetzt haben“.

Wachsende Gefahr für den Vertrag

Doch heute besteht die Gefahr, dass der beispielhafte INF-Vertrag in Frage gestellt und ad acta gelegt wird. Darauf machte unter anderem eine Veranstaltung am 30. November in Berlin aufmerksam, an der auch Nassauer teilnahm.  Kritik habe es zunächst daran gegeben, dass der Vertrag nur den USA und Russland Mittelstreckenraketen verbot, nicht aber Staaten wie Indien und Pakistan, die inzwischen auch solche Waffen entwickelten. Seit dem Test eines russischen Marschflugkörpers 2008 würden US-Vertreter Russland vorwerfen, gegen den Vertrag zu verstoßen. Moskau argwöhne dagegen, dass auch die USA ihn verletzen. Diese gegenseitigen Vorwürfe seien für die Zukunft des Abkommens eine ernstzunehmende Gefahr.

Am 30. November 2017 in Berlin: v.l.n.r: O. Meier (SWP), Prof. A. Wirsching, Prof. B. Greiner, O. Nassauer und S. Baumann in der Debatte zum INF-Vertrag

Russland werfe den USA vor, dass Startgeräte für schiffsgestützte Marschflugkörper für das Raketenabwehrsystems in Polen und Rumänien an Land zu verwenden. Das verbiete der INF-Vertrag. Washington halte entgegen, dass man mit den Startgeräten des Raketenabwehrsystems keine Marschflugkörper einsetzen könne, weil dafür zusätzliche Technik nötig sei, die aber nicht stationiert werde. Das sei technisch richtig, sagte Nassauer, aber von außen nicht unterscheidbar. Washington behaupte dagegen, Russland habe einen landgestützten Marschflugkörper entwickelt und stationiert, der gegen den INF-Vertrag verstoße. Auch dabei sei wohl das Startgerät das Hauptproblem. Die US-Seite habe dieses Startgerät bislang nicht konkret benannt. Moskau erkläre, nicht zu wissen, wovon Washington spreche. Die Vorwürfe aus den USA seien deshalb nicht zu überprüfen.

Vertrauen stärken als Rettung

Manche westlichen Nato-Partner würden die US-Vorwürfe gerne unterstützen, hob Nassauer hervor. Er verwies auf Polen und die baltischen Staaten, „die sich ganz besonders von Russland bedroht fühlen“. Andere NATO-Staaten würden es vermeiden, Zweifel öffentlich zu artikulieren. Ex-Bundesverteidigungsminister Volker Rühe hatte am Montag bei einer öffentlichen Diskussion in Berlin berichtet, dass ihm Vertreter der Bundesregierung auf seine Nachfrage nicht sagen konnten, ob und wie Russland den INF-Vertrag verletzt.

„Auch wenn es im Moment so aussieht, als wenn der INF-Vertrag zum Tode verurteilt wäre“, sieht Nassauer die Krise um diesen als Chance, darüber nachzudenken, wie er erhalten werden kann.

„Wenn man ihn erhalten will – ich gehe mal davon aus, dass es dafür immer noch starke Interessen sowohl in Russland als auch in der westlichen Welt gibt –, dann sollte man alles tun, dafür die Voraussetzungen zu schaffen.“

Das bedeute, dass beide Seiten darauf verzichten, nuklearwaffenfähige Systeme zu entwickeln oder zu stationieren, die diesen Vertrag unterlaufen können. Entsprechende politische Signale seien notwendig, hob Nassauer hervor und fügte hinzu: „Man sollte vor allem auch wieder die Möglichkeit schaffen, dies zu überprüfen, also ganz klar etwas dafür tun, dass wieder Vertrauen entsteht.“