Für die heutige Konfrontation mit Russland ist zum Großteil die westliche Politik verantwortlich. Das haben die Teilnehmer einer hochkarätig besetzten Diskussionsrunde am Montag in Berlin festgestellt. Sie haben auch an ehrliche Angebote aus Moskau und uneingelöste Versprechen des Westens erinnert – und an eine nie umgesetzte Zusage.
Selten deutliche Kritik an der westlichen Politik gegenüber Russland seit dem Ende des Kalten Krieges war am Montag im überdachten Innenhof des Deutschen Historischen Museums (DHM) in Berlins Mitte zu vernehmen. Sie kam von ehemaligen Politiker und Journalisten der Bundesrepublik, die aktiv an den Ereignissen in den 1980er und 1990er Jahren beteiligt waren, die auch zur deutschen Wiedervereinigung führten.
Fritz Pleitgen, ehemaliger ARD-Korrespondent in Moskau und Ex-WDR-Intendant, befragte dazu Horst Teltschik, Berater des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl, Frank Elbe, Botschafter a.D. und Berater des damaligen Außenministers Hans-Dietrich Genscher, sowie Volker Rühe, Ex-CDU-Generalsekretär und -Bundesverteidigungsminister. Zu der Runde im Rahmen der Reihe „Schlüterhofgespräche“ hatte der Museumsverein des DHM und der Dokumentations-Sender Phoenix eingeladen.
Rühe: Strategische Partnerschaft Nato-Russland nicht umgesetzt
Was im Verhältnis zwischen Russland und Deutschland schief läuft, war die zentrale Frage des Abends, an dem der russische Botschafter, Wladimir Grinin, als Zuhörer teilnahm. Ohne die Entwicklungen im Osten hätte es die deutsche Einheit nicht gegeben, betonte Ex-CDU-Politiker Rühe. Er bedauerte, dass die in den frühen 1990er Jahren von ihm als Verteidigungsminister mitangestrebte strategische Partnerschaft zwischen der Nato und Russland nicht umgesetzt wurde. Die Gründe dafür seien „nicht nur in Russland“ zu finden, sagte Rühe, der in der Runde zum Teil in die Rolle des Verteidigers des Westens geriet.
Die westliche Seite habe die Instrumente für gemeinsame Sicherheit mit der Sowjetunion bzw. Russland und den anderen osteuropäischen Staaten, wie sie 1990 in der „Charta von Paris für ein neues Europa“ vereinbart wurden, nicht genutzt. Das warf der ehemalige Kohl-Berater Teltschik „allen im Westen“ vor und erinnerte zum Beispiel an das damals verabredete „Konfliktverhütungszentrum“: „Haben Sie jemals davon etwa gehört?“ Er fragte: „Warum haben wir aus diesen Instrumenten nichts gemacht?“ Selbst der später gegründete Nato-Russland-Rat sei nicht aktiv genutzt worden, so im Fall von Georgien 2008 und bei der Ukraine-Krise 2013/14, und dümple eher vor sich hin. Teltschiks Fazit:
„Wir waren im Westen ohne Phantasie, ohne Idee, wie wir diese unglaubliche Vision realisieren. Ich behaupte, noch nie hat dieser Kontinent die Chance einer gesamteuropäischen Friedens- und Sicherheitsordnung gehabt, wie wir sie 1990 als Ausgangspunkt hatten. Und verdammt nochmal: Warum haben wir daraus bis heute nichts gemacht?“
Dafür erhielt der einstige Berater von Kohl deutlichen Beifall. Ex-Diplomat Elbe verwies auf die am Vorabend des 2+4-Vertrages vom damaligen US-Präsidenten George Bush sen. verkündete „neue Weltordnung“, bei der die USA niemandem überlegen oder unterlegen sein sollten. Das habe eine große Euphorie ausgelöst, blickte Elbe zurück. Angesichts der heutigen Lage stellte er fest, dass daraus „sehr wenig“ geworden ist: „Wir sind unseren Prinzipien untreu geworden. Wir haben die Chancen, die sich aus einer Kooperation in dem Gebiet von Vancouver bis Wladiwostok ergeben, nicht ausreichend genutzt.“
Putins Werben um gemeinsame Zukunft ohne Antwort
Ex-Verteidigungsminister Rühe lobte mehrmals, was mit dem russischen Präsidenten Boris Jelzin möglich gewesen sei, bis hin zu russischen Truppen im Nato-Auftrag in Bosnien. Das sei mit dem Nachfolger Wladimir Putin nicht mehr machbar. Dieser sei gegen eine Öffnung nach Westen, behauptete Rühe und wünschte sich ein Russland, das westlichen Regeln folge und mit dem dann wieder besser geredet werden könne. Damit verdeutlichte er eher ungewollt die Gründe für die heutige westliche Politik gegenüber Moskau, die für die aktuelle Schieflage im gegenseitigen Verhältnis sorgt.
ARD-Veteran Pleitgen erinnerte daran, dass Putin 2001 im Bundestag dafür geworben habe, die Zukunft gemeinsam zu gestalten – „doch daraufhin sind offensichtlich keine entsprechenden Angebote gekommen“. Der russische Präsident habe zudem miterlebt, „wie wenig erbaulich die ersten Jahre der Russländischen Föderation waren. Die erlebte zwei Putsche, zwei Bürgerkriege, stand ständig vor einem Staatsbankrott, die zum Teil vom Westen angeregten Reformen funktionierten nicht. Es herrschte ein dauernder Versorgungsnotstand und eine ziemliche Rechtlosigkeit.“
Westliche Zusagen gegenüber Moskau nicht eingehalten
Teltschik rief den Gesprächspartnern und Zuhörern ins Gedächtnis, dass Putin in den ersten Jahren seiner Amtszeit erklärte habe, Russland sei ein „freundlich europäisches Land“. Wie weit er dem Westen entgegen kommen wollte, sei deutlich geworden, als der russische Präsident nach dem 11. September 2001 neben der Nato als Erster der von George W. Busch vorgeschlagenen globalen „Allianz gegen Terror“ zugesagt habe. Doch dann seien die USA vorgegangen, ohne sich abzustimmen, und griffen Afghanistan an. Der Ex-Kohl-Berater erinnerte an weitere westliche Zusagen, die gegenüber Moskau nicht eingehalten worden sind: „Das heißt, wir sind nie ein Stück auf Russland zugegangen.“
Die Veranstaltung wurde vom Sender Phoenix mitgeschnitten und wird im TV zu sehen sein. Nach der Aufzeichnung konnte das Publikum mit den vier Gesprächsteilnehmern diskutieren. Dabei wurde auch nach den Folgen der Nato-Osterweiterung und westlichen Zusagen an Moskau, diese nicht vorzunehmen, gefragt. Ex-Botschafter Elbe bestätigte als Teilnehmer, dass das Thema „niemals Gegenstand im Rahmen der Gespräche ‚2+4‘“ war.
„Verbindliche Zusage: Keine Nato-Osterweiterung“
Die Frage, ob es von irgendeiner Seite eine Zusage an Russland gab, könne er „nur mit einem Ja beantworten.“ Elbe belegte das mit einem Brief des damaligen US-Außenministers James Baker an Kanzler Kohl nach seinem Besuch Anfang Februar 1990 bei Gorbatschow. Daraus zitierte er die „verbindliche Zusage, dass es keine Ausweitung der gegenwärtigen Nato-Zuständigkeit in den Osten geben wird“. Diese stehe im „kausalen Zusammenhang“ damit, dass Gorbatschow einen Tag später, am 10. Februar, gegenüber Kohl erklärte, die Sowjetunion stehe der deutschen Wiedervereinigung nicht im Wege.
Die mündliche Zusage von Baker in Moskau, „dass die Nato ihr Territorium um keinen Zentimeter in Richtung Osten ausweitet“, wurde von den beiden US-Ex-Diplomaten Michael Beschloss und Strobe Talbot bereits 1993 in ihrem Buch „Auf höchster Ebene“ veröffentlicht. Alexander von Plato gab Bakers Angebot 2003 in seinem Buch über die deutsche Vereinigung als „weltpolitisches Machtspiel“ anhand der sowjetischen Protokolle der Gespräche des US-Außenministers im Kreml wieder Darin ist zu lesen, dass Gorbatschow sagte, dass für Moskau „eine Ausweitung der Nato-Zone nicht annehmbar ist“, worauf Baker antwortete: „Wir sind damit einverstanden.“ Auch von Plato schreibt von einer „verbindlichen Zusage“.
USA haben eigene Interessen und Führungsanspruch durchgesetzt
Die Nato steht heute an der Grenze von Russland. Vielleicht war Bakers Zusage an Gorbatschow nur ein Lockmittel, das niemals eingelöst werden sollte. Die Rolle der USA und deren Interessen wurden an dem Abend im Museum nie richtig deutlich benannt. So auch nicht, was bereits zum Ende des Kalten Krieges deutlich war: Die USA betrieben seit langem eine Roll-back-Politik und nutzten dabei die Chance, die die schwächelnde und dann zerfallene Sowjetunion ihnen bot.
Die Politikwissenschaftlerin Maria Huber hatte darauf in ihrem 2002 veröffentlichten Buch „Moskau, 11. März 1985 – Die Auflösung des sowjetischen Imperiums“ hingewiesen. Gorbatschows Entgegenkommen gegenüber dem Westen mit weitreichenden Zugeständnissen bis hin zur deutschen Einheit habe das nicht ändern können:
„Die USA hatten ihren Führungsanspruch im Umgang mit der UdSSR auf der ganzen Front bekräftigt und in der Regel durchgesetzt.“
Das wurde gegenüber Russland fortgesetzt.
Der weitere Gang der Geschichte ist bekannt und führte in die heutige Konfrontation, unter anderem, weil Russland nicht mehr blind dem Westen folgen will, wie die Diskussionsrunde in Berlin feststellte. Diese kann am 10. Dezember, Sonntag, 13 Uhr bei Phoenix vollständig nachgesehen werden.