Deutsche und russische Historiker zeigen der Politik: Austausch kann Probleme lösen

Seit 20 Jahren gibt es die gemeinsame Deutsch-Russische Geschichtskommission, ins Leben gerufen von Helmut Kohl und Boris Jelzin. Beim Jubiläum in Berlin haben sich viele Gemeinsamkeiten, aber auch einzelne unterschiedliche Sichten gezeigt. Einigkeit bestand in einem: Russland und Deutschland erreichen gemeinsam mehr als gegeneinander.

von links: Aleksandr Tschubarjan, Horst Möller, Jörg Morré

Die Geschichte muss vor Fälschung und Lüge bewahrt werden. Dazu forderte der Außenminister Russlands, Sergej Lawrow, in einem Grußwort an die Deutsch-Russische Geschichtskommission auf. Diese traf sich am Mittwoch aus Anlass ihres 20jährigen Bestehens im Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst. Die Arbeit der Kommission sei ein wichtiger Baustein in den Beziehungen beider Länder und könne helfen, das gemeinsame Vertrauen zu stärken, so Lawrow. Dessen Grußworte trug der russische Botschafter Wladimir Grinin vor, der ebenfalls davor warnte, die Geschichte des Zweiten Weltkrieges zu fälschen und den Sieg über den deutschen Faschismus zu diskreditieren.

Die Kommission traf sich an historischer Stelle: In dem Raum im Karlshorster Gebäude, in dem am 8. Mai 1945 die Kapitulation Deutschlands gegenüber den alliierten Siegermächten unterzeichnet wurde. Die Festveranstaltung zum 20jährigen Bestehen war vor allem ein Rückblick auf die bisherige Arbeit, bot aber auch einen Ausblick, wie es angesichts des derzeitig schwierigen deutsch-russischen Verhältnisses weitergehen kann.

Zusammenarbeit trotz politischer Wetteränderungen

Die Historiker beider Länder hätten trotz aller politischen Veränderungen hindurch kontinuierlich und ununterbrochen gemeinsam gearbeitet. Das berichteten die beiden Gründungsvorsitzenden Aleksandr Tschubarjan und Horst Möller. Keiner der beteiligten Historiker könne allerdings den „genetischen Code seines Landes“ verleugnen, meinte Tschubarjan. Die politischen Entwicklungen seien natürlich nicht ohne jeglichen Einfluss. Das zeigte das Grußwort, das Ministerialdirektor Günter Winands überbrachte, der die verhinderte Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, vertrat.

Er erinnerte nicht nur daran, dass die Idee für die 1997 gegründete Kommission vom früheren Kanzler Helmut Kohl und dem damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin stammte. Winands sprach von einem Beitrag der Historiker für Aussöhnung und Verständigung, bezeichnete es aber auch als „fahrlässig, zu verschweigen, dass das positive Verhältnis zwischen Russland und Deutschland zuletzt auch etliche Dämpfer erlitten hat“. Für die machte er dann allein Russland verantwortlich, indem er folgende Beispiele dafür nannte: den Ukraine-Konflikt, die Situation in Syrien und russische Gesetzesinitiativen, „die wir in Deutschland durchaus kritisch sehen“, weil sie gegen die Zivilgesellschaft gerichtet seien.

Vertrauensbildung durch wissenschaftliche Zusammenarbeit

Das gehörte zu den wenigen Misstönen in einer Veranstaltung, die ansonsten sehr von gegenseitigem Verständnis und freundschaftlicher Zusammenarbeit trotz aller unterschiedlichen Sichten bei einzelnen Themen geprägt war. Botschafter Grinin hob besonders die Beiträge der Geschichtskommission zum Schicksal der sowjetischen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen in Deutschland hervor. Die historische Arbeit ermögliche einen nüchternen Blick auf die Geschichte, so der Diplomat.

Der derzeitige deutsche Co-Vorsitzende des Gremiums, Andreas Wirsching, betonte, dass die Kommission sich jedes Jahr mehrmals getroffen und jeweils ein Kolloquium veranstaltet habe und kontinuierlich Publikationen vorlegt. Sein russischer Kollege Tschubarjan sagte, dass das nicht so üblich sei bei ähnlichen Kommissionen. Für Wirsching ist es ein Beispiel für „Vertrauensbildung durch wissenschaftliche Zusammenarbeit“. Auch sein Vorgänger Möller hob hervor, dass die kontinuierliche Arbeit der Geschichtskommission „einzigartig“ sei.

„Eindeutig: Deutschland hat den Krieg gegen die Sowjetunion verursacht“

Der ehemalige Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin (IfZ) erinnerte, dass sich das Gremium immer wieder Themen widmete, die methodisch und von der politischen Ausgangslage her kontrovers gesehen wurden. Möller bezeichnete die Geschichte des 2. Weltkrieges als „besonders schreckliches Exempel in den deutsch-sowjetischen und deutsch-russischen Beziehungen“. Auch da habe es unterschiedliche methodische Herangehensweisen und Wertungen gegeben, was zum Teil mit der verschiedenen deutschen und russischen Erinnerungskultur zu tun habe. Er fügte an historischem Ort hinzu:

„Unstrittig ist, dass das nationalsozialistische Deutschland den Krieg verursacht hat, dass die Schuld und Verantwortung des nationalsozialistischen Deutschlands eindeutig ist.“

Die gemeinsame Historikerkommission arbeitet unter anderem am dem Projekt eine dreibändigen deutsch-russischen Geschichtsbuches. Das soll in knapper wissenschaftlich fundierter Weise die Schlüsselereignisse der deutschen und russischen Geschichte vom 18. bis zum 20. Jahrhundert darstellen. Zuerst konnte der 3. Band zum letzten Jahrhundert veröffentlicht werden, bereits 2013 auf Deutsch und 2015 in Russland. Die beiden Historiker Tschubarjan und Möller berichteten, dass es Themen gab, wo keine gemeinsame Sicht entwickelt werden konnte. Das sei zum Beispiel bei den Ereignissen 1939 wie dem Hitler-Stalin-Pakt oder dem Jahr 1941 so gewesen. In solchen Fällen gebe es jeweils einen deutsche und einen russischen Text zum Thema, um die unterschiedliche Sicht zu zeigen.

Digitale Angebote gegen das öffentliche Vergessen

Allerdings leidet die Arbeit der Kommission etwas unter mangelnder öffentlicher Aufmerksamkeit. Co-Vorsitzender Tschubarjan konnte immerhin von großem Interesse der Medien in Russland für die Historiker berichten. So war ein Team von „Rossija 1“ am Mittwoch in Karlshorst dabei, dafür nicht ein erkennbar deutsches Medium. Auch das gemeinsame Geschichtsbuch erfahre zu wenig Aufmerksamkeit, musste Historiker Möller ebenso wie Tschubarjan eingestehen, was selbst für die Zielgruppe der Lehrer und Schüler gelte. Das liege unter anderem daran, dass die „Öffentlichkeit vorliegende Erkenntnisse vergisst“ und es Aufmerksamkeitsschübe gebe.

Sein russischer Kollege verwies darauf, „dass unsere Kinder nicht mehr lesen“. Deshalb werde es nicht nur eine digitale Fassung des Werkes geben. Die bisherigen Ergebnisse der Arbeit der Geschichtskommission werden bereits seit mehreren Jahren online in digitalen Ausgaben zur Verfügung gestellt. Darauf wies Jörg Morré, Direktor des Deutsch-Russischen Museums Berlin-Karlshorst, hin. Das gelte ebenfalls für viele Dokumente und Archive zur deutschen und russischen Geschichte, die so zugänglich gemacht wurden. Dabei werde durch die Kommission Pionierarbeit geleistet, betonte Co-Vorsitzender Tschubarjan.