Minderheitenregierung unter Merkel für Übergang – Einziger Ausweg für Wahlverlierer?

Die Antwort auf die offene Regierungsfrage sieht Politologe Nils Diederich in einer zeitweiligen Minderheitenregierung unter Angela Merkel für einen Übergang bis zu Neuwahlen 2019. Er warnt davor, die Große Koalition fortzusetzen. Das hat er SPD-Chef Martin Schulz in einem Brief mitgeteilt, dessen Partei die Übergangsvariante unterstützen soll.

Für schwer einschätzbar hält der Politikwissenschaftler Nils Diederich von der Freien Universität (FU) Berlin, was nach den gescheiterten Gesprächen für eine „Jamaika-Koalition“ zu erwarten ist. Das sei nur „reine Spekulation“, sagte er dazu am Donnerstag gegenüber Sputnik am Rande einer Videokonferenz von deutschen und russischen Politologen. Er fügte hinzu: „Ich denke, dass die SPD nicht bereit sein wird, in eine große Koalition zu gehen.“ Der Politologe war selbst von 1976 bis 1987 sowie von 1989 bis 1994 Bundestagsabgeordneter für die SPD.

Allerdings gibt es seit Freitagmorgen Berichte, nach denen in der SPD-Spitze eine neue Große Koalition nicht mehr ausgeschlossen wird. Eine Situation wie die aktuelle habe es in der Bundesrepublik noch nicht gegeben, stellte Diederich fest.

„Niemand weiß, wie man damit richtig umgehen kann – auch wir als wissenschaftlich orientierte Beobachter können keine Prognosen stellen. Wir können nur Szenarien zeichnen.“

Sein „wünschbares Szenario“ sei eine Übergangsregelung, „die es den Parteien ermöglicht, sich glaubhaft neu aufzustellen. Das heißt für die Union, einen Nachfolger für die Kanzlerin zu suchen, und für die SPD, glaubhaft als eine wählbare Alternative sich aufzustellen.“

„Kein Problem: Regierung arbeitet weiter“

Das sei der „einzige Weg“, den er so beschrieb: Die SPD solle sich bereit erklären, falls Angela Merkel noch einmal antritt, eine Minderheitenregierung auf Zeit zu tolerieren. „Das heißt, man vereinbart ein Jahr bis zur Verabschiedung des Haushaltes 2019 und drei oder vier Projekte, Einbürgerungsgesetz, Bürgerversicherung und Klimaschutz, und vereinbart dann, dass die dann gewählte Kanzlerin danach die Vertrauensfrage stellt und es im darauffolgenden Jahr Neuwahlen gibt.“ Das habe er dem SPD-Vorsitzenden Martin Schulz in einem Brief nahegelegt.

Für Diederich ist die aktuelle Aufgeregtheit nach den gescheiterten „Jamaika“-Gesprächen „gar nicht begründet“. Die geschäftsführende Regierung auf Grundlage der Großen Koalition arbeite weiter.

„Das Problem ist bloß, dass die Kanzlerin auch schon jetzt immer Mehrheiten im Bundestag suchen muss.“

Der Politologe meinte dazu: „Wo ist das Problem?“ Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier könne sich Zeit lassen. Die gegenwärtige Unruhe und Nervosität werde von den Medien geschürt, „die wie bei einem Fußballspiel endlich Tore“ sehen wollen.

Große Koalition hat Wahl verloren – Übergang als einzige Lösung

Diederich stellte fest:

„Für die SPD ist es vom Regen in die Traufe. Was immer sie macht, es kann falsch sein. Die Entscheidung, in die Opposition zu gehen, ist logisch. Logisch ist aber auch, dass nicht nur die SPD die Wahl verloren hat, sondern auch die Kanzlerin. Eigentlich müsste alles darauf hinauslaufen, einen Übergang zu schaffen, der mit der Wahl eines neuen Kanzlers oder einer neuen Kanzlerin endet.“

Die Zeit von Merkel laufe so oder so ab: „Das heißt: Eine Große Koalition für eine ganze Legislaturperiode hätte überhaupt keinen Sinn.“

Der Ausgang von möglichen Neuwahlen sei „extrem ungewiss“, sagte Diederich.

„Die verantwortlichen demokratischen Parteien müssen alles tun, dass die zentrifugalen Fluchtbewegungen nach rechts – zur AfD –, aber auch nach links – zur Linkspartei – , umgekehrt werden und die Wähler wieder neues Vertrauen gewinnen. Dazu braucht man aber Zeit und man braucht vorzeigbare Erfolge.“

Die FDP spekuliere mit ihrem Nein zu Jamaika, noch stärker zu werden, vermutete der Politologe, was er aber für erfolglos halte. Er warnte, die SPD dürfe nicht umfallen und jetzt wieder in eine dauerhafte Große Koalition gehen, wie einige aus der Parteispitze fordern würden. Die AfD könnte aus der Situation gewinn ziehen, wenn es zu einer „hektischen Neuwahl oder einer falsch eingefädelten Koalition kommen würde“, so der Parteienforscher.