Deutsche Medien und Verlage sind bei Vorwürfen gegen Donald Trump weniger vorsichtig als seine Gegner in den USA. Das sagt der Politologe Martin Thunert mit Blick auf das Anti-Trump-Buch des Briten Luke Harding. Thunert schließt russische Einflussversuche nicht aus, stellt aber fest: „Wer mit Hillary unzufrieden war, brauchte nicht die Russen.“
„Ich werde es mir nicht kaufen“, sagte der Politikwissenschaftler und USA-Experte Martin Thunert von der Universität Heidelberg zu dem Buch „Verrat“ des britischen Journalisten Luke Harding. Dieser will nachweisen, dass Russland angeblich Donald Trump entscheidend geholfen hat, US-Präsident zu werden. „Es ist für einen Außenstehenden, der selbst keinen eigenen Zugang zu Geheimdienstmaterial hat bzw. die Authentizität dieses Materials nicht überprüfen kann, schwer, die Behauptungen von Harding zu beurteilen“, erklärte Thunert gegenüber Sputnik.
„Anhand des Vorabdrucks im ‚Stern‘ und des Interviews mit Harding dort bin ich mir nicht sicher, ob das Buch wirklich so viel exklusiv neues Material enthält, wie die Verlage ankündigen.“
Die wesentlichen Behauptungen Hardings scheinen auf Aussagen des ehemaligen britischen Geheimagenten Christopher Steele zu beruhen, die Anfang Januar 2017 als „Steele-Dossier“ bekannt wurden. Zwar habe ein Teil der US-Geheimdienstgemeinde das Material in Teilen als glaubwürdig eingestuft, so Thunert. Doch der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des US-Senats, Richard Burr von den Republikanern, habe im Sommer 2017 Zweifel angemeldet. Steele habe es abgelehnt, vor dem Ausschuss zur Untersuchung der sogenannten ‚Russland-Affäre‘ auszusagen und sich den Fragen der Mitglieder zu stellen. Dagegen würden die der Russland-Absprache verdächtigen Mitglieder des Trump-Teams mit dem Ausschuss kooperieren. Der Experte meinte dazu:
„Solange sich nicht feststellen lässt, wer die Quellen des ‚Steele-Dossiers‘ sind und er sich weigert, im Senatsausschuss befragt zu werden, scheint mir das ‚Steele-Dossier‘ nicht geeignet, gerichtsverwertbare Beweise für die weitreichenden Schlussfolgerungen zu liefern, die Harding anstellt.“
Deutsche Medien und Verlage aggressiver gegen Trump?
Mit Blick auf die vermeintlichen Indizien gegen Trump sagte Thunert: „Wenn das vermutete Verbrechen in zentralen Punkten nicht bewiesen werden kann, würde ich hier vorsichtiger vorgehen, was die offiziellen Ermittler in den USA, vor allem die beiden Geheimdienstausschüsse des Kongresses, auch tun.“ Der Politikwissenschaftler wunderte sich über die deutsche Variante: „Das Buch heißt im Original ‚Collusion‘, was auf Deutsch so viel wie ‚geheime Absprache‘ bedeutet. Auf Deutsch heißt es ‚Verrat‘, was eine sensationalistische Steigerung ist.“ Trump werde manchmal zu Recht vorgeworfen, unseriös zu sein und zu übertreiben. Aber:
„Hier agieren der Siedler-Verlag und der dahinterstehende Verlag Random House ähnlich. Im englischen Original heißt es im Untertitel: ‚… how Russia Helped Donald Trump Win‘, was bedeutet, er erhielt Hilfe, hätte es aber auch so schaffen können. Nicht so im deutschen Untertitel, der lautet: ‚Wie Russland Trump ins Weiße Haus brachte‘. Das suggeriert, dass Trump ein illegitimer Präsident ist, dessen Wahlsieg nicht aus einer freien Wahl hervorging. Das ist weitaus mehr, als Einflussnahme zu behaupten. Dies unterstellt, Russland hätte die Wahlabsichten von so vielen Amerikanern in ihr Gegenteil verkehrt, dass dies den Wahlausgang tatsächlich bestimmt hätte. Kein offizieller Untersuchungsbericht in den USA behauptet dies bisher in dieser Form.“
Auf dem jetzigen Stand der Beweise und der umfassenden Ermittlungen in den USA zu schlussfolgern, dass Trump Hochverrat begehe oder eine Marionette der Russen sei, scheint Thunert „nicht seriös und wenig verantwortlich“. Der Politologe ist Mitautor des 2015 erschienenen Buches „Entzauberung: Skizzen und Ansichten zu den USA in der Ära Obama“. Er erinnerte an Folgendes:
„2009 wollte die Obama-Administration einschließlich Frau Clinton einen Neustart der Beziehungen mit Russland. 2012 lachte Obama seinen Herausforderer Mitt Romney aus, als dieser sagte, Russland sei geopolitischer Hauptgegner der USA. 2013 unternahm Obama in Syrien nichts und ließ es zu, dass Russland zum Hauptplayer im Syrienkonflikt wurde. Im Sommer 2016 erfuhr Obama von den Einflussnahmen Russlands auf den US-Wahlkampf und unternahm – nichts. Hätte Obama, ketzerisch gefragt, dadurch jemals in den Verdacht geraten können, ein russischer Agent zu sein?“
Unbewiesene Behauptungen
Hochverrat wäre es aus Sicht von Thunert, „wenn sich tatsächlich geheime Absprachen beweisen ließen, wonach die Trump-Leute den russischen Regierungsvertretern für den Erhalt von Material über Hillary Clinton zugesichert hätten, die US-Außenpolitik nach den Wünschen des Kreml zu gestalten.“ Russlandfreundliche Berater im Wahlkampf von Trump seien das Eine.
„Eine andere Sache ist es nachzuweisen, dass die Russland- und Ukraine-Formulierungen in der Wahlplattform der Republikaner oder Trumps Forderungen an die Nato-Partner nach höherer Eigenbeteiligung an den Verteidigungskosten auf geheime Absprachen mit Russland zurückgehen. Was die ‚Entschärfungen‘ in der Wahlplattform angeht, so hat das US-Magazin ‚Politico‘ diesen Prozess sehr differenziert dargestellt. US-Kenner wissen, dass die Wahlplattformen nicht das Regierungsprogramm einer Administration abbilden, sondern dass dort die Auffassungen aller Parteiströmungen zusammenfließen.“
Der Politikwissenschaftler hob hervor, dass auch die Trump-Vorgänger einen höheren Eigenanteil an den Verteidigungsausgaben von den Nato-Partnern gefordert hatten, und fragte mit Blick auf Hardings Behauptungen: „Ist es wirklich in Russlands Interesse, dass dieses Ziel schnell erreicht wird, indem Trump echten Druck auf die Partner ausübt?“ Die höheren Militärausgaben und Truppen der USA im Baltikum seien „nicht unbedingt im russischen Interesse“.
Unwahrscheinliche Theorie
In Hardings Buch wie auch im „Steele-Dossier“ heißt es, das „russische Regime fördert, unterstützt und hilft Trump seit mindestens fünf Jahren“. Dazu sagte Thunert:
„Was mich an der Theorie, dass die Russen Trump über Jahre, mindestens über die letzten fünf Jahre, als einen Russland ergebenen Präsidentschaftskandidaten aufbauten, irritiert, ist die geringe Wahrscheinlichkeit, dass der politisch unerfahrene und fachlich nicht sehr kenntnisreiche Trump sich gegen 15 erfahrene Mitbewerber in der Republikanischen Partei durchsetzen würde bzw. dass es ihm gelingen würde, Hillary Clinton zu schlagen. Wenn es Putin also darum gegangen wäre, Clinton mit allen Mitteln zu verhindern – und ich bin sicher, dass er das gern wollte – warum würde er dann ausschließlich auf den totalen Außenseiterkandidaten Trump setzen, von dem alle Wahlforscher behaupteten, er hätte keine Chance?“
Er halte es „für durchaus möglich und wahrscheinlich, dass es Einflussversuche Russlands auf die US-Präsidentschaftswahl 2016 gegeben hat“, betonte der USA-Experte. „Ich sehe allerdings keinen schlüssigen Beweis, dass diese Einflussversuche – über Bots und die sozialen Medien usw. – die US-Wahl entschieden haben, auch nicht das Brexit-Referendum.“ Dagegen sei lange vor der Wahl absehbar gewesen, „dass Frau Clinton z.B. bei den jungen Anhängern von Bernie Sanders ein Mobilisierungsproblem haben würde, aber auch bei weißen Arbeitern um die Großen Seen und bei kubanischen Amerikanern in Florida, die mit der Öffnungspolitik Obamas gegenüber Kuba nicht einverstanden waren.“ Und:
„Bernie Sanders hat Clinton während der Vorwahlen mit ähnlichen Argumenten, die ihre Glaubwürdigkeit betreffen, angegriffen wie Trump. Bei Sanders wird meines Wissens keine russische Einflussnahme unterstellt.“
Aus Thunerts Sicht können externe Kräfte die Themen, über die in Wahlkämpfen gesprochen wird, von außen beeinflussen, Geld in den Wahlkampf pumpen, kompromittierende Informationen über Kandidaten verbreiten helfen, die Wahlkampfinfrastruktur von als schwach eingeschätzten Kandidaten stärken usw.
„Doch am Ende treffen die meisten Wähler die am Wahltag instinktiv für sie richtigen Entscheidungen. Die These, dass in einem so großen und komplexen Land wie den USA externe Gruppen die Wahlabsichten von Hunderttausenden oder Millionen von Wählern in ihr Gegenteil verkehren können, halte ich momentan für nicht nachweisbar. Wer mit Hillary unzufrieden war, brauchte nicht die Russen, um das herauszufinden.“