„Mittlere Katastrophe“: Deutsche Transatlantiker auf altem Konfrontationskurs

Die deutschen Transatlantiker sind in großer Sorge. Sie meinen, der jetzige US-Präsident Donald Trump gefährdet, was mit dem Eintritt der USA in den 1. Weltkrieg vor 100 Jahren begann: Die engen transatlantischen Beziehungen. Deshalb haben sie ein „Manifest“ veröffentlicht. Für Kritiker handelt es sich um einen Ausdruck von Panik und Unsicherheit.

Das Papier mit dem Titel „Trotz alledem: Amerika“  wurde zuerst in der gedruckten Ausgabe der Wochenzeitung „Die Zeit“ am 12. Oktober und wenige später online auf der Website der „German Marshall Fund of the United States“ veröffentlicht. „Als erster US-Präsident seit dem Zweiten Weltkrieg stellt Donald Trump Idee und Institutionen der liberalen internationalen Ordnung grundsätzlich infrage“, stellen die Autoren fest. Das führe zu einem „bisher ungekannten Gegensatz zu unserem wichtigsten Verbündeten“.

Trump sei „ein Präsident sui generis (eigener Art – Anm. d. Red.), der sich in keine der etablierten Traditionslinien amerikanischer Politik einordnet“. Deutschland und die Europäische Union (EU) hätten angesichts dieser Gefahr für die bisherigen transatlantischen Beziehungen „eine besondere Verantwortung, dieses System zu erhalten und zu stärken“. Dazu brauche Deutschland eine „Amerika-Strategie“ und solle eine „Brücke bauen in eine Zeit jenseits der Präsidentschaft Trumps, auch wenn es danach keine Rückkehr zum Status quo ante geben wird.“

Deutsche Vertretung von US-Interessen

Alternativen wie etwa „Äquidistanz zwischen Russland und Amerika halten oder gar einen Schritt weitergehen und sich an Russland oder China anlehnen“ sehen die deutschen Transatlantiker als „kostspielig oder gefährlich oder beides“ an. „Wer sich von den Vereinigten Staaten abkoppeln mochte, bringt Unsicherheit über Deutschland und Europa.“ Das wird auch ganz konkret, indem gefordert wird, das Projekt Nordstream 2 nicht fortzusetzen. Dabei wird ganz im US-Sinn behauptet, das Pipeline-Projekt liege „nicht in einem gesamteuropäischen Interesse“.

Wolfgang Bittner, Jurist und Autor des Buches „Die Eroberung Europas durch die USA“ kritisiert an dem „Manifest“ unter anderem, dass es in dessen englischer Textversion heißt, Russland habe die europäische Friedensordnung herausgefordert. Die Unberechenbarkeit Trumps habe die Transatlantiker aufgeschreckt. Sie würden aber die falschen Akzente setzen, so Bittner. Als „mittlere Katastrophe“ bezeichnete der Sozial- und Politikwissenschaftler Ulrich Mies die Ideen der deutschen Transatlantiker, „weil sie sich voll an der alten Konfrontationspolitik orientieren, für die die westlichen Staaten, allen voran die USA, verantwortlich sind, und diese fortsetzen wollen“.

„Zeichen großer Bedrängnis“

Der Politikwissenschaftler und USA-Experte Martin Thunert von der Universität Heidelberg findet dagegen die Vorschläge mit Blick auf die im „Manifest“ geäußerten Überzeugung, wonach der „Grundkonsens innerhalb des Westens über die Wünschbarkeit der bewährten liberalen, multilateralen internationalen Ordnung nach Trumps Abgang wiederhergestellt werden könne“, logisch. Sie seien auf eine Übergangszeit mit Trump gemünzt, wie er im Gespräch erklärte. Er sei aber „sehr unsicher, ob der Vorschlag nach Aufgabe von Nordstream 2 von der künftigen Bundesregierung akzeptiert werden wird“.

„Im Normalfall wenden sich die transatlantischen Netzwerker nicht an die große Öffentlichkeit, sondern lenken diskret die Alphatiere in Politik, Verbänden, Medien, Presse und Wissenschaft durch Gespräche am Kamin und an runden Tischen in die richtige Richtung.“ Darauf machte Herrmann Ploppa im Gespräch aufmerksam. Der Politologe und Publizist hat zuletzt das Buch „Die Macher hinter den Kulissen“ über die transatlantischen Netzwerke als Gefahr für die Demokratie veröffentlicht. Er meinte:

„Wenn jetzt der German Marshall Fund of the US, ihres Zeichens Denkfabrik und Kaderschmiede für die Hegemonie der USA in Mittel- und Osteuropa, sich mit einem offenen Brief ohne Visier mit einem Manifest an die Presse wendet, ist das ein Zeichen großer Bedrängnis. Das gab es schon einmal, als die deutsche Regierung unter Gerhard Schröder im Jahre 2003 unter großem Beifall der Bevölkerung beschloss, sich aus dem illegalen Angriffskrieg gegen den Irak herauszuhalten. Jetzt, da Trump die hässlichen Aspekte der US-Hegemonie perfekt sichtbar macht, wächst in Deutschland, wie schon unter George Bush II., der Überdruss gegen die Politik der USA im Allgemeinen.“

Angst vor eigenständigerer deutscher Politik

Sozial- und Politikwissenschaftler Mies sprach von einer „mittleren Panik“ unter den Transatlantikern, die aus dem „Manifest“ hervorgehe. Der Mitherausgeber des Buches „Fassadendemokratie und Tiefer Staat“ hatte sich kürzlich in einem Beitrag im Online-Magazin „Rubikon“ sehr kritisch mit dem Papier auseinandergesetzt. „Den Schildknappen der US-Interessen in Deutschland“ wehe „ein kalter Wind um die Ohren“, stellte Buchautor Ploppa fest. Und:

„Seitdem die USA allerdings unverkennbar einen Wirtschaftskrieg gegen Deutschland anzetteln, ist selbst den Unternehmern in Deutschland der Kragen geplatzt.“

Das bestätigte USA-Experte Thunert, für den zu den Ängsten der Autoren des Manifestes gehöre, „dass diejenigen Kräfte in Deutschland, welche für eine Neuausrichtung der deutschen Politik jenseits einer engen US-Bindung werben, den ‚unzuverlässigen‘ Trump dazu nutzen können, um in der deutschen Bevölkerung mehr Unterstützung für eine Politik der Abkoppelung von USA zu gewinnen.“

Für die Transatlantiker sei unter Obama alles besser gewesen, meinte Autor Mies. Darauf würden die Vorschläge in dem „Manifest“ hindeuten. Das sieht Politologe Thunert ebenso und wies daraufhin, dass der Trump-Vorgänger „gerade in Deutschland die unbestrittene Führungsmacht in Europa“ gesehen habe. „Deshalb kam er im Wahlkampf 2008 nach Berlin und nicht  nach London oder Paris für eine öffentliche Kundgebung. Für die Obama-Leute führten alle Wege in Europa über Berlin – wirtschaftlich sowieso, aber auch sicherheitspolitisch. Dies ist jetzt nicht mehr so.“

„Die Politik wird woanders gemacht“

Aus Sicht von Bittner liegt auf der Hand, dass angesichts der aktuellen Entwicklungen in den USA für Europa und Deutschland folgen müsste, „eine eigenständige Politik zu entwickeln“. Aber das sei gegenwärtig nicht absehbar, was im Wirken der „Nebenregierung“, des „Deep state“ („Tiefer Staat“), liege: „Die machen doch ihre Politik weiter, die auch Obama weitergeführt hat. Das ist eine Langzeitstrategie der USA, über die ich in meinem Buch auch schreibe.“ Es sei egal wer Präsident ist, denn: „Die Politik wird woanders gemacht. Der Präsident hat sich dem anzupassen oder auch zu unterwerfen. Ihm bleibt nichts anderes übrig.“ Zu den wirklich Herrschenden gehöre der Militärisch-Industrielle Komplex ebenso wie die in der Wall Street versammelte Hochfinanz und die Medien.

Zu den Zielen dieser langfristigen Strategie gehört für Bittner, Russland und Deutschland auseinanderzuhalten. Es gehe dabei darum zu verhindern, dass sich deutsches Kapital und deutsche Technologie nicht mit russischen Rohstoffressourcen und russischer Arbeitskraft verbinden. Das habe der US-Stratege George Friedman so erklärt, hob Bittner hervor. Gelinge das nicht, „hätten die USA eine ernstzunehmende Konkurrenz, wirtschaftlich und militärisch, – und das lässt man nicht zu.“

In einem Punkt sind seien die deutschen Transatlantiker „allerdings mit Trump ganz zufrieden“, so ihr Kritiker Ploppa: „Trump hatte ja Europas Staaten aufgefordert, zwei Prozent der Bruttoinlandsproduktes (BIP) für die Rüstung auszugeben. Da muss Deutschland jetzt mal Wort halten. Und dann soll Deutschland auch ruhig noch mal ein Prozent dazugeben, für die Infrastruktur rund um die Rüstungsbemühungen.“ Der Politologe Mies fasste das so zusammen: „Die wollen weiter die Militarisierung der Gesellschaft durchsetzen.“