Zwischen Gewalt und Frieden: Oktober-Revolution vor 100 Jahren

Die inneren und äußeren Bedingungen, die 1917 in Russland zur Revolution führten und die Existenz der daraus entstandenen Sowjetunion bestimmten, sind Thema der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „WeltTrends“. Darin geht es ebenso um die Folgen für Nachbarländer. Aus Moskau stammt ein Bericht über das Echo des Jubiläums im heutigen Russland.

„Die revolutionären Ereignisse in Russland wurden durch inner- und zwischenstaatliche Gewalthandlungen eingeleitet und maßgeblich beeinflusst“, schreibt der Historiker Jürgen Angelow im Oktober-Heft der Potsdamer „WeltTrends“. „Weder die Revolution von 1905-07 noch die vom Februar 1917 oder die im selben Jahr nachfolgende Oktoberrevolution fanden unter friedlichen internationalen Bedingungen statt.“ Das gelte auch für die Existenz der UdSSR. Die Logik der revolutionären Umwälzungen in Russland und die sozialen Entwicklungen der späteren UdSSR seien „durch die Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts nicht nur geprägt, sondern auch verzerrt worden“, betont Angelow.

Der Beitrag des Historikers gehört zum Themenschwerpunkt „Russische Revolutionen“ des aktuellen „WeltTrends“-Heftes. Er setzt sich mit den inneren und äußeren Bedingungen der Revolution und des mit ihr begonnenen gesellschaftlichem Umbaus auseinander. Angelow stellt mit dem Blick auf das Ende fest:

„Das Modell versagte in dem Moment, als man ihm seinen repressiven und autoritären Charakter nehmen wollte. Für einen demokratischen, die Menschen selbsttätig einbeziehenden Entwicklungspfad war es nicht gemacht. Sein Charakter blieb im Grunde repressiv, weil seine innere Legitimation schwankte und weil es hohe Gewaltpotenziale mobilisieren musste, um sich im internationalen Umfeld zu behaupten.“

„Unbedingter Wille, den Krieg zu beenden“

Der Historiker erinnert auch an „das erste wegweisende Dekret der jungen Sowjetmacht ‚über den Frieden‘“. Das „Dekret Nr. 1“ entsprach nicht nur den Forderungen der russischen Bevölkerungsmehrheit, sondern „stand für den unbedingten Willen, das Morden des Ersten Weltkrieges zu beenden“, schreibt in dem Heft der Politologe Erhard Crome. Er verweist darauf, dass „die einzige Partei, die weiter entschlossen die Position des Friedens vertrat“, die Bolschewiki waren, nachdem die im März 1917 eingesetzte Provisorische Regierung den Krieg fortsetzte. „Ihr Sieg im Oktober 1917 war die logische Konsequenz.“ Die Antwort der westlichen Staaten darauf war der fortgesetzte Krieg auch durch die Interventionen gegen das junge Sowjetrussland.

Crome macht deutlich:

„Mit diesem Dekret war nicht nur die Idee Staatspolitik geworden, den Krieg zu beenden und einen sofortigen Waffenstillstand abzuschließen. Neu kam in die Außenpolitik, Eroberung fremder Territorien und Ausbeutung anderer Völker dürfen kein außenpolitisches Ziel sein. Dieses Verdienst gebührt der Oktoberrevolution ungeachtet dessen, dass Stalins internationale Politik dem später nicht gefolgt ist.“

Und: „Zudem hat das Dekret über den Frieden mit der Geheimdiplomatie der alten Mächte gebrochen.“ Crome sieht eine direkte Linie bis zum Friedensgebot der UNO-Charta von 1945.

Dörte Putensen, Nordeuropawissenschaftlerin, beschreibt in der Zeitschrift, wie Finnland auf die Oktoberrevolution reagierte, die dem Land die Unabhängigkeit bescherte. Selbst die deutschen Konservativen in der Weimarer Republik griffen teilweise die Impulse der russischen Revolution auf, erinnert der Politologe Michael Zantke. Allerdings seien „probolschewistische Bekenntnisse in der Minderheit innerhalb der national gesinnten Gruppierungen der Weimarer Republik“ gewesen. Aber, so Zankte: „Die verschiedenen nationalbolschewistischen Gruppen, welche sich zu Beginn der 1930er-Jahre formierten, vertraten einen revolutionären national-sozialistischen Gegenentwurf zu Hitlers Politik.“ Zahlreiche ihrer Vertreter seien nach 1933 ins Exil, Gefängnis oder gar den aktiven Widerstand gegangen.

Geschichtsrevisionismus und Verschwörungstheorien

Welche Rolle das Revolutionsjubiläum im Ursprungsland selbst spielt, darüber schreibt Vladimir Fomenko, Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Moskau. Das öffentliche Interesse in Russland an dem Jubiläum halte sich in Grenzen.

„Geschichtsrevisionismus jeder Art und Verschwörungstheorien haben Hochkonjunktur.“

Die wichtigsten Beiträge in der russischen Publizistik würden die Transformation der sozialen Strukturen und Institution in der Revolutionszeit erforschen. „Hinzu kommen neue Sichten auf die Akteure von 1917, frei von ideologischen Rastern der sowjetischen und postsowjetischen Epoche.“

Selbst die kommunistische Nachfolgepartei KPRF wolle das Erbe des „Roten Oktober“ „keinesfalls wörtlich“ verstehen, so Fomenko, sondern setze „auf einen demokratischen Ausweg aus der gegenwärtigen Krise“ der russischen Gesellschaft. Diese sei allerdings auch ein Nährboden für „die andauernde Sympathie für Stalin“, der die russischen Top 20 der weltgeschichtlich bedeutsamsten Persönlichkeiten vor Wladimir Putin und Alexander Puschkin anführe, berichtet der Autor. Das habe „eine Menge mit der Gegenwart zu tun und signalisiert den zunehmenden Unmut und Protest in der Bevölkerung“. Wirklich revolutionär dürfte das aber nicht sein, wenn Fomenkos Impressionen realitätsgetreu sind. Sie vermitteln den Eindruck, dass in Russland heute der Blick in die Vergangenheit dominiert, nachdem vor 100 Jahren der Blick in die Zukunft gerichtet schien.