Der CSU-Politiker Edmund Stoiber setzt sich für ein besseres deutsch-russisches Verhältnis ein. Der ehemalige bayrische Ministerpräsident widerspricht im Interview der verbreiteten Auffassung, Russland sei das Problem. Russland ist Teil der Lösung vieler Probleme in der Welt, sagt er und begrüßt Initiativen, die Sanktionen schrittweise abzubauen.
Herr Stoiber, wir befinden uns kurz vor der Bundestagswahl. Wie schätzen Sie heute die deutsche Außenpolitik, besonders mit Blick auf das Verhältnis zu Russland ein? Politikwissenschaftler haben davon gesprochen, dass Merkels Außenpolitik gescheitert sei und die Distanz zwischen Deutschland und Russland unter ihrer Kanzlerschaft zu groß geworden ist, wie nicht zuvor unter den Vorgängern von Frau Merkel.
Dem kann ich nicht zustimmen. Angela Merkel und Wladimir Putin haben sich zuletzt am 2. Mai in Sotschi getroffen und einen guten Dialog geführt. Das hat zwar nicht zu einer Annäherung in den bekannten kontroversen Positionen geführt, aber wichtig ist, dass beide Seiten im Gespräch bleiben. So etwas zahlt sich aus. Das hat sich gezeigt, als Angela Merkel und Wladimir Putin vor ein paar Tagen über den Vorschlag des russischen Präsidenten telefoniert haben, UN-Blauhelme in den Ostukraine-Konflikt miteinzubeziehen. Der Präsident hat dabei dem Wunsch der Bundeskanzlerin entsprochen, die Blauhelme nicht nur an der Waffenstillstandslinie zwischen der Ukraine und den Separatisten einzusetzen, sondern die OSZE-Beobachter in der ganzen Ostukraine zu unterstützen. Der Kreml hat auf das Telefonat und sein Ergebnis auch öffentlich hingewiesen. Dieses jüngste Beispiel zeigt, dass man nicht nur miteinander sprechen, sondern auch konkret etwas auf den Weg bringen kann. Man braucht sich gegenseitig – Deutschland, Europa, Russland –, um viele globale Herausforderungen zu lösen. Moskau ist in vielen Konflikten der Welt Teil der Lösung, wie das im Atomkonflikt mit Iran der Fall war.
Nun werden aber trotz aller Gespräche die Sanktionen fortgesetzt, wie jüngst erst wieder beschlossen. Sie hatten im März Hoffnung darauf gesetzt, dass es da vielleicht eine Veränderung gibt. Nun hat Bundesaußenminister Gabriel einen Vorschlag gemacht, dass die Sanktionen schrittweise gelockert werden könnten, wenn es zu einem Waffenstillstand im Donbass kommt. Wie beurteilen sie diesen Vorschlag?
Grundsätzlich positiv. Die Russland-Sanktionen dürfen nicht zum Dauerzustand werden. Das hat die CSU in ihrem „Bayernplan“, den sie zur Bundestagswahl vorgelegt hat, auch deutlich formuliert. Wörtlich heißt es: ‚Wir setzen uns für einen Fahrplan zur Rückführung der Russland-Sanktionen ein und unterstützen einen flexiblen Abbau der Sanktionen bei schrittweiser Umsetzung des Minsker Abkommens‘. Damit geht die Position der CSU in die gleiche Richtung wie die Äußerungen des Außenministers. Klar ist: Deutschland hat schon aus seiner Historie heraus in jeder Beziehung ein spezielles Verhältnis zu Russland, weil wir eine so lange gemeinsame Geschichte mit Höhen und Tiefen haben, mit den größten Tiefen im vergangenen Jahrhundert. Deshalb kommt uns eine besondere Rolle als Brückenbauer zu. Auch wenn der Dialog mit Russland schwierig ist, müssen wir ihn aufrechterhalten, natürlich in enger Abstimmung mit unseren europäischen Partnern.
Sie haben in unserem Gespräch im März in Berlin unter anderem Hoffnung geäußert mit Blick auf ein mögliches besseres russisch-US-amerikanisches Verhältnis. Nun ist die Entwicklung doch nicht so gelaufen. Die USA sind sogar mit noch schärferen Sanktionen aufgetreten. Wie schätzen Sie den Stand der US-Beziehungen zu Russland heute ein?
Man musste aus den Bemerkungen im Wahlkampf von Donald Trump die Schlussfolgerung ziehen, dass er als Präsident darauf setzt, ein besseres Verhältnis zu Russland aufzubauen. Das ist ja unter Obama unbestritten auf einem Tiefpunkt angekommen, ausgedrückt in seinem Satz: „Russia is only a regional power“. Die Aussage war faktisch falsch und vor allem psychologisch verheerend. Sie hat ihre Wirkung in Russland natürlich nicht verfehlt. Ein Neuanfang der Beziehungen unter Trump ist leider bisher nicht vorangekommen, vor allem aus innenpolitischen Gründen in den Vereinigten Staaten. Da hat sicher die Auseinandersetzung um die behauptete Einflussnahme Russlands auf den amerikanischen Wahlkampf eine große Bedeutung. Ich hoffe allerdings weiter. Es war ein wichtiges Signal, dass Präsident Trump in seiner Rede vor den UN in New York ausdrücklich Russland und China für ihre konstruktive Rolle im UN-Sicherheitsrat hinsichtlich der einvernehmlich beschlossenen Nordkorea-Resolutionen gedankt hat. Wir dürfen die Entwicklung in Nordkorea nicht eskalieren lassen. Eine Lösung dieses gegenwärtig dringendsten Problems kann nur gemeinsam mit den nordkoreanischen Nachbarn China und Russland gefunden werden.
Es geht aber nicht nur um die Entscheidungen im Sicherheitsrat. Präsident Putin und Präsident Trump haben am Rande des G20-Gipfels in Hamburg ein außerordentlich intensives und grundsätzliches Gespräch geführt, auf dem man weiter aufbauen muss. Der sektorale Waffenstillstand in Syrien, der in diesem Gespräch vereinbart wurde, hat wieder deutlich gemacht: Die großen globalen Probleme können nur miteinander bewältigt werden, das geht nicht ohne Russland.
Herr Stoiber, zum Schluss: Was muss aus Ihrer Sicht nach der Bundestagswahl geschehen oder kann geschehen, mit Blick auf die Ostpolitik?
Warten wir mal die Verhandlungen mit potenziellen Koalitionspartnern ab. Wir, die CSU mit Horst Seehofer an der Spitze und auch ich persönlich, haben immer die Meinung vertreten, man sollte Signale senden, dass man die Sanktionen schrittweise abbauen kann, bei entsprechender Bewegung auf der russischen Seite. Die CSU wird versuchen, die entsprechende Aussage im „Bayernplan“ auch in einem Koalitionsvertrag zu verankern. Neben Außenminister Gabriel vertritt ja auch der Vorsitzende der FDP Christian Lindner eine ähnliche Haltung. Er sagt, dass man bei positiver Entwicklung des Minsker Prozesses beginnen sollte, die Sanktionen abzubauen. Das wird in den nächsten Wochen, wenn es um die künftige Bundesregierung geht, sicherlich ein wichtiger Punkt sein. Wir sollten auch die Zusammenarbeit mit der Eurasischen Wirtschaftsunion und einen gemeinsamen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok nicht aus den Augen verlieren und dazu Zeichen setzen. Das sind konstruktive Ansätze, um ein besseres Verhältnis zwischen Europa und Russland zu erreichen.
So dass zumindest die Hoffnung besteht, dass mit einer neuen Bundesregierung mehr Entspannung im Verhältnis zwischen Deutschland und Russland möglich sein kann …
Ja. Wir in der CSU sehen uns hier natürlich in einer besonderen Tradition der Entspannung und der Zusammenarbeit, nicht nur wegen des bahnbrechenden Besuchs von Franz Josef Strauß bei Michail Gorbatschow im Jahr 1987. Als bayerischer Innenminister habe ich bereits 1990 eine Partnerschaft mit der Stadt Moskau in Sicherheitsfragen vereinbart. Diese ist dann von der Staatsregierung unter meiner Führung zu einer umfassenden Zusammenarbeit zwischen dem Freistaat Bayern und der Stadt und Region Moskau erweitert worden. Diese Partnerschaft lebt und ist ein wichtiger Baustein für die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland.