Wo Ost und West im Kalten Krieg echte und Freizeit-Spione austauschten

Die Glienicker Brücke zwischen Berlin und Potsdam ist als „Agentenbrücke“ in die Geschichte des Kalten Krieges eingegangen – als Ort dreier Agentenaustausche 1962, 1985 und 1986. Was beim ersten Mal heimlich geschah, wurde beim zweiten Mal auf US-Wunsch von einem TV-Team gefilmt, während beim dritten Mal auch die DDR für großes Aufsehen sorgte.

von links: N. Pötzl, Dr. C- Nehring vom Spionagemuseum und Ex-Spion E- Fätkenheuer

Davon berichtete am Donnerstag im Berliner Spionagemuseum der Journalist und frühere Redakteur des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ Norbert Pötzl. Er hat zwei Bücher über die Vorgänge geschrieben: 1997 „Basar der Spione“ über die Austausche und ihre Vorgeschichte sowie 2014 „Mission Freiheit – Wolfgang Vogel. Anwalt der deutsch-deutschen Geschichte“ über den DDR-Anwalt, der auf östlicher Seite die Verhandlungen führte.

Der von Steven Spielberg gedrehte und 2015 erstmals gezeigte Spielfilm „Bridge of Spies“ (dt.: Agentenbrücke“) über den ersten Austausch von Agenten auf der Glienicker Brücke am 10. Februar 1962 enthalte „viele historische Fehler“, stellte Pötzl am Donnerstag klar. Er basiere hauptsächlich auf den „geschönten“ Erinnerungen des New Yorker Anwalt James B. Donovan, der damals auf US-Seite beteiligt war. Zu den fiktiven Filmdetails gehöre der Überfall auf Donovan in Ostberlin, „denn so eine dunkle Ecke gab es auch damals nicht zwischen dem Bahnhof Friedrichstraße und der sowjetischen Botschaft Unter den Linden“.

1962: Agent gegen Pilot

Der Anwalt sei nicht der Held gewesen, als der er sich später selbst gesehen und dargestellt habe. Er vertrat den KGB-Spion Rudolf I. Abel, der 1957 in den USA verhaftet und vor Gericht gestellt worden war. Pötzl bezeichnete ihn als „Erfinder des Austauschgedankens, denn bis dahin sind enttarnte Spione in aller Regel hingerichtet worden. Noch 1953 wurde das Ehepaar Rosenberg, das das ‚Manhattan-Project‘, die US-amerikanische Atombombenpläne an die Sowjetunion verraten hatte, in New York auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet.“

Abels Pflichtverteidiger Donovan habe 1957 das Gericht in New York überzeugen können, den Spion nicht hinzurichten, sondern am Leben zu lassen und später auszutauschen. So sei Abel zu 30 Jahren Haft verurteilt worden. Der Austausch kam allerdings erst später zustande, auf Initiative des Ostens. DDR-Anwalt Vogel wandte sich bereits 1959 an Donovan und interessierte sich für Abel, wohl auf sowjetischen Wunsch, wie Pötzl vermutet.

Konkret wurde es 1960, nachdem am 1. Mai des Jahres der US-Pilot Gary Powers in einem Spionageflugzeug U-2 über der Sowjetunion mutmaßlich abgeschossen und lebend gefangen genommen wurde. Nach langen Verhandlungen wurden dann Powers und der US-Student Frederic L. Pryor, 1961 kurz nach dem Mauerbau in Ostberlin als angeblicher Spion verhaftet, 1962 gegen Abel ausgetauscht, wobei nur der Pilot auf der Glienicker Brücke mit dem KGB-Agenten die Seiten wechselte. Anwalt Vogel habe den Studenten zuvor am Berliner Grenzübergang Checkpoint Charlie übergeben, berichtete Pötzl.

1985: Freizeit-Spione gegen Top-Agenten

Eberhard Fätkenheuer gehört zu jenen inhaftierten 25 „Freizeitagenten“ im westlichen Auftrag, die am 11. Juni 1985 auf der Brücke gegen vier hochrangige Agenten des Ostens ausgetauscht wurden. Er berichtete bei der Veranstaltung über seine Geschichte und wie er den Austausch erlebte. Er hatte Mitte der 70er Jahre in der DDR als Wochenend-Spion Informationen über sowjetische Militäraktivitäten und Objekte der DDR-Armee NVA (Nationale Volksarmee) gesammelt und geliefert. Dafür wurde er 1979 vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) verhaftet, zu 13 Jahren verurteilt, und hatte Glück, dass er auf der Liste für den Austausch 1985 stand.

Der Ex-„Freizeitagent“ Fätkenheuer, wie ihn Moderator Christopher Nehring, Forschungsleiter des Spionagemuseums, bezeichnete, erzählte von seiner Angst, getötet zu werden:

„Richard Sorge, der berühmte Spion im Zweiten Weltkrieg, der hat mal gesagt, ein Spion ist wie ein Fisch aus der Tiefsee. Wenn er ans Licht kommt, nach oben kommt, dann muss er sterben.“

Und:

„Ein verbrannter Spion ist ein wertloser Spion.“

Er bestätigte die Aussagen von Pötzl, dass es ein ungleicher Austausch gegen die vier Agenten des Ostens war, da er und die anderen 24 „nutzlos“ waren.

„Betäubend süßes Gefühl“

Er habe gar nichts dafür tun können, um frei zu kommen, erinnerte er sich gegenüber Sputniknews.

„Ich habe nur einfach abgewartet und gehofft, es könnte irgendwann zu Ende sein. Dass es so kommt, war für mich urplötzlich und es war, als man mich da an diesem Sommertag 1985 mitten bei der Arbeit (in der Haftanstalt in Berlin-Pankow – Anm. d. Red.) wegholte, einfach ein betäubend süßes Gefühl, das Vorempfinden, die Gefängniszeit ist beendet. Das war wunderschön.“

In der Veranstaltung hatte Fätkenheuer zuvor erklärt, warum er sich in den 70er Jahren von einem österreichischen Freund als Spion für den Geheimdienst MI (Military Intelligence Division) der US-Armee hatte anwerben lassen. Zu seinen Motiven habe nicht nur gehört, dass er als Student in der DDR nach einem unbedachten Spruch 1965 das Studium abbrechen musste. Die USA hätten damals für ihn, der in Ost-Berlin lebte und arbeitete, eine „wahnsinnig positive Bedeutung“ gehabt.

Fätkenheuer erklärte das unter anderem damit, wie die Musik aus den USA , die Filme und auch das Erlebnis der US-Soldaten auf ihn und viele andere gewirkt hätten – Letztere hätten ja auch nicht so viele deutsche Frauen vergewaltigt „wie die Russen“.

„Amerika war für mich das Land der Freiheit und der bewaffnete GI derjenige, der den ganzen Konflikt schon richten würde.“

So beschrieb er seine „fast kindlichen Vorstellungen“. Die sorgten nach seinen Worten dafür, dass er stolz zu sich selbst gesagt habe, als er angeworben wurde: „Die Amerikaner rufen Dich als Undercover-Agent zu den Waffen.“

USA ohne Interesse an Freizeit-Spionen

Die Frage, warum die sowjetischen Soldaten überhaupt nach Berlin gekommen waren und was zuvor in deren Heimat von deutschen Soldaten angerichtet worden war, nachdem sie diese überfallen hatten, anders als die von ihm angehimmelte USA, stellte sich der stolze Spion anscheinend nicht. Er musste nach seinen Worten aber erleben, dass sich seine Auftraggeber nicht für ihn interessierten, nachdem er verhaftet wurde und ins Gefängnis kam.

Er wurde nicht wie versprochen vom Westen gerettet und rausgeholt: „Das waren leider leere Sprüche“, sagte er gegenüber Sputniknews dazu. Und fügte hinzu: „Um mich persönlich ging es leider überhaupt nicht.“ Sein Name sei wahrscheinlich vom MfS auf die Liste derjenigen gesetzt worden, die 1985 freikommen sollten, weil er als Häftling nicht nützlich war.

Fätkenheuer ist heute der bekannteste der damals freigelassenen 25 Spione, nachdem seine Geschichte unter anderem in der TV-Dokumentation  „Tausche Ostagent gegen Westagent“ gezeigt wurde. Er wolle die Wahrheit über das, was damals geschah und wie es in der DDR war, erzählen, begründete er, warum er seit Jahren Vorträge hält und ein Buch über seine Geschichte schrieb. Heute gehöre er zu den „Siegern“ und habe den US-Amerikanern verziehen. Er habe immer noch den Brief, den er 1985 vom damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan als Dank bekam, neben einer finanziellen Entschädigung. Auf die Frage, wie er heute sieht, was er damals tat und erlebte, antwortete er gegenüber Sputnik: „Man kann nur einmal sterben.“

Ein anderer aus der Gruppe der 1985 Ausgetauschten hat den USA nicht verziehen, wie es am Donnerstag hieß: Hannes Sieberer. Der Österreicher schrieb ebenfalls ein Buch über die Geschehnisse: „Verheizt und vergessen – Ein US-Agent und die DDR-Spionageabwehr“ (2005). Das habe er aber „sehr in Zusammenarbeit mit der Stasi“ gemacht, so Journalist Pötzl. Er warf Sieberer vor, „sich lieber mit Stasi-Offizieren gegen die Amerikaner“ verbündet zu haben. Ko-Autor des Österreichers war der kürzlich verstorbene Ex-Oberstleutnant des MfS Herbert Kierstein. Deshalb habe er sich von Sieberer distanziert und die Kontakte vor Jahren abgebrochen, ergänzte Ex-Spion Fätkenheuer. Zuvor hatte er selbst aber noch einen Text zu dem von Sieberer 2008 veröffentlichten Buch „Als Agent hinterm Eisernen Vorhang. Fünf West-Spione über ihre DDR-Erfahrungen“ beigesteuert.

1986: Top-Agenten und ein Dissident

Nach dem spektakulären Austausch 1985 war die Glienicker Brücke am 11. Februar 1986 ein letztes Mal Schauplatz eines solchen Vorgangs. Diesmal durften die Medien dabei sein, weil der sowjetische Dissident Anatoli Schtscharanski mit ausgetauscht wurde, neben den drei tatsächlichen Agenten des Westens im Austausch gegen fünf Ost-Agenten. „Die Amerikaner hatten immer Interesse daran, dass das auf der Glienicker Brücke stattfindet und nicht wie Vogel vorgeschlagen hat, im Süden an der Stadtgrenze die Übergabe zu machen“, berichtete Autor Pötzl.

Für die Austausche habe es sorgsam ausgearbeitete Drehbücher gegeben. Die Brücke sei zum „Symbol für Agentenaustausch“ geworden und selbst für einige Filme nachgebaut worden. Nach seinen Angaben sind mit Hilfe des Anwaltes Vogel insgesamt etwa 150 Spione des Westens aus östlicher Haft freigekommen, zumeist geheim und ohne öffentliches Aufsehen.