Was Sie schon immer über Fake News wissen wollten: „Der Desinformant“ packt aus

Der frühere DDR-Geheimdienstmitarbeiter Horst Kopp hat eine Wahl beeinflusst: Den gescheiterten Versuch im Jahr April 1972, im Bundestag den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt im Bundestag zu stürzen. Kopp hat zudem als „Desinformant“ für das gesorgt, was heute „Fake News“ genannt wird. In einem Buch und im Interview mit Sputnik hat er darüber berichtet.

Der heute 83-Jährige Horst Kopp war hauptamtlicher Mitarbeiter der „Abteilung X“ des Auslandsgeheimdienstes der DDR. Dieser gehörte als Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) zum Ministerium für Staatssicherheit (MfS) des Landes. Das „X“ seiner Abteilung stand nicht für besonders geheime Aufgaben, erklärte Kopp im Sputnik-Interview. Das sei nur die römische Ziffer für die Zahl 10. Die Arbeit seiner Abteilung sei aber ziemlich geheim und selbst für viele im MfS ein Rätsel gewesen. Heute kann er davon erzählen und hat darüber auch ein Buch geschrieben. Es erschien Ende 2016 im Verlag „Das Neue Berlin“.

Horst Kopp im Februar 2017 bei der Buchvorstellung im Berliner Spionagemuseum – Foto: Frank Schumann

Es könnte mit seinem Titel „Der Desinformant“ fast ein Lehrbuch für alle sein, die tatsächlich Fake News produzieren und ebenso für jene, die Falschmeldungen in den Medien aufspüren wollen. Kopp war für „aktive Maßnahmen“ und Desinformation zuständig und hat nicht nur einen Kanzler-Sturz verhindert. Für die DDR brachte er echte und bearbeitete Informationen in westlichen Medien unter.

Die Geschichte mit der beeinflussten Abstimmung im Bundestag vor 45 Jahren ist lange bekannt, nicht aber die Details, die Kopp im Buch nennt. Im Studio-Interview schilderte er, wie 1972 das MfS half zu verhindern, dass Bundeskanzler Willy Brandt gestürzt wird: Mit jeweils 50.000 D-Mark seien zwei Unions-Abgeordnete dazu gebracht worden, nicht für den eigenen siegesgewissen Gegenkandidaten Rainer Barzel von der CDU zu stimmen. Die Anweisung dazu sei aus Moskau gekommen, erinnerte er sich.

„Vom Klassenfeind gelernt“

Kopp beschrieb, wie es gelang, in westlichen Medien und der Öffentlichkeit der Bundesrepublik Informationen aus der DDR unterzubringen, die für diese aus außenpolitischen Gründen wichtig waren. Heute wird so etwas allgemein mit dem Etikett „Fake News“ versehen. Der Herausgeber einer handelspolitischen Zeitschrift aus Düsseldorf habe dabei geholfen. Für diese seien Informationen und ganze Beiträge geliefert worden. Aber auch andere BRD-Medien wurden nach Kopps Angaben genutzt, so unter anderem die linke Zeitschrift „Konkret“ aus  Hamburg.

Die DDR-Desinformanten hätten sich westlicher Erkenntnisse über Propaganda bedient, erinnerte sich der Ex-Geheimdienstler im Interview. Er verweist auf das Buch „Krieg im Äther: Geheimsender gegen Hitler“ des britischen Journalisten Sefton Delmer: „Das war ein Lehrbuch für uns.“ Delmer hatte zum Beispiel den „Soldatensender Calais“ organisiert und aufgebaut.  Über ihn schreibt Kopp: „Der konsequente Antifaschist leitete zwischen 1941 und 1945 mehrere deutschsprachige Propagandasender, die sich gekonnt aller Methoden der weißen, grauen und schwarzen Propaganda bedienten.“

Gegen alte Nazis und für den Frieden

Im Interview erläuterte der ehemalige „Desinformant“ die Unterschiede zwischen den drei Propagandaarten:

„Wir haben uns bemüht, graue und weiße Propaganda zu machen. Schwarze Propaganda – da ist alles erlogen und sofort festzustellen, dass das hinten und vorne nicht stimmt. Aber die weiße und graue Propaganda gehen davon aus, dass Halbwahrheiten verkauft werden, oder auch Wahrheiten garniert mit Dingen, die so nicht hundertprozentig stimmen.“

Diese beiden Varianten würden auf nachprüfbaren Fakten beruhen, die aber zweckdienlich zugespitzt werden. Das sei vor allem in den ersten Jahren betrieben worden, um die „braune Hinterlassenschaft in der Bundesrepublik zu entlarven“. Danach sei es darum gegangen, die öffentliche Diskussion und die Politik der Bundesrepublik zu beeinflussen.

„Die war ja geprägt von permanenten Angriffen gegen die DDR, gegen die sozialistischen Länder. Unsere Aufgabe war, dagegen zu arbeiten und unsere Positionen unter die Leute in der Bundesrepublik zu bringen. Dazu haben wir uns bemüht, Quellen zu schaffen, Verlagsmitarbeiter, Direktoren von Presseinformationsbüros, sowie Kontakte herzustellen. Wir haben unsere Materialien, halblegale, legale und erfundene Dinge, kombiniert und versucht, diesen Leuten zu übergeben, damit sie in die Öffentlichkeit gelangen. Unser Ziel war nicht, Personen bloßzustellen, sondern die Wahrheit zu verbreiten, weil die Propaganda der Bundesrepublik und des Westens im Wesentlichen darauf abzielte, generell den Kommunismus, die sozialistischen Länder und an vorderster Front die DDR zu diffamieren und unseren Aufbau zu stören.“

Es sei darum gegangen, den Frieden zu erhalten und die innere Sicherheit der DDR zu garantieren, hob Kopp hervor. Er sprach bei den damaligen DDR-„Fake News“ von einem Verhältnis von 90 Prozent Wahrheit und der Rest sei dazu gedichtet worden. Vereinzelt  um jeweils 100 Prozent Wahrheit oder Dichtung gehandelt. „Entscheidend war immer der Kanal.“

Staatliche Propaganda nicht im Osten erfunden

In seinem Buch weist der ehemalige MfS-Agent darauf hin, dass staatlich gesteuerte Propaganda keine neue Idee des Ostens war, sondern bereits vor 100 Jahren zielstrebig entwickelt wurde:

„1917 wurde der erste staatliche Propaganda-Apparat der Welt in den USA gegründet. US-Präsident Woodrow Wilson bewilligte dem ‚Committee on Public Information‘ (CPI) dafür jährlich fünf Millionen US-Dollar. Die Zeitungen im Ausland wurden mit USA-freundlichen Informationen versorgt; Ausstellungen und Plakate genauso wie Bücher, die in diesen Ländern verbreitet wurden, sollten ein positives Licht auf die USA werfen. Das CPI finanzierte weltweit hunderttausende Redner, Schriftsteller, Journalisten, Karikaturisten, Werbeagenten und Regierungsbeamte. Dabei bediente man sich der weißen, grauen und schwarzen Propaganda. … Auf dieser Klaviatur spielten die US-Amerikaner über Jahrzehnte.“

Und sie tun es heute noch genauso. Kopp verweist in seinem Buch unter anderem auf die Publikation der Historikerin Frances Saunders „Wer die Zeche zahlt. CIA und die Kultur im Kalten Krieg“ und verweist auf entsprechende US-Aktivitäten seit 1990. Ein Prinzip werde dabei bis heute angewandt, so der erfahrene Geheimdienstler Kopp: Wer der US-Politik widerspricht oder diese kritisiert, wurde und wird als „amerikafeindlich“ kritisiert.

In der Propagandaschlacht im Kalten Krieg gegen die DDR und die sozialistischen Länder hätten diese im Hintertreffen gelegen und zu einer Reaktion gezwungen gewesen. Eine Maßnahme war, dass seine Abteilung geschaffen wurde, erinnerte sich Kopp im Interview. Eine Studie des US-Politologen Dov H. Levin von Anfang dieses Jahres zeigt, dass der Osten dem Westen dabei immer hinterher lief, schon quantitativ: Von 117 nachvollziehbaren Fällen beeinflusster Wahlen von 1946 bis 2000 gehen allein 81 auf das Konto der USA, 36 hingegen nur auf das sowjetische und russische Konto. Dabei hat Levin Militärinterventionen, verdeckte Kriege und Putsche nicht mit untersucht.

Wissen hilft gegen Falschmeldungen

Um Fake News heute zu erkennen ist aus Kopps Sicht das Wissen um die jeweiligen Sachverhalte und Zusammenhänge wichtig. Hinzu kommen die nicht sachliche Darstellung sowie die „unrealistische Verzerrung der Wirklichkeit“. Auch im Zusammenhang mit Russland werde versucht, Tatsachen und Zusammenhänge überspitzt darzustellen. Kopp nannte dabei auch das Beispiel Krim, die immer russisch gewesen sei „und nie separat Teil der Ukraine“. Sowas sei „alles Quatsch“ und gehöre zu dem Versuch, gegenüber den Menschen historische Wahrheiten zu verdrehen, um zu behaupten, Russland wolle die US-Weltherrschaft einschränken und die eigene Vorherrschaft im Weltmaßstab durchsetzen. „Dem ist aber nicht so“, betonte Kopp.

Es gebe genügend Menschen in der Bundesrepublik, vor allem Ostdeutsche, die auch heute der westlichen Propaganda widersprechen würden. Aber es existierten nur wenige Möglichkeiten, eine andere Sicht zu verbreiten. Wer es dennoch versuche, werde als „böse und Freund der Russen“ diffamiert, so Kopp. Jene, die derzeit an den „Schaltstellen der öffentlichen Meinung der Bundesrepublik“ sitzen, seien historisch bedingt stark von der westlichen Sicht beeinflusst – „und nicht gewillt, sich sachlichen Argumenten zu beugen“. Das gelte auch für die Journalisten und Medien heute, die nach dem Prinzip urteilen würden: „Es kann nicht sein, was nicht sein darf.“ Damit seien ebenso „die jungen Leute bei uns gleichfalls infiltriert“ worden, indem seit der „Wende“ 1989/90 mit Fehldarstellungen über den Osten „pausenlos getrommelt“ werde.

Für Kopp ist klar: Der Westen hat nach seinem Sieg im Kalten Krieg nicht mit seiner Propaganda aufgehört:

„Im Gegenteil. Die entsprechenden Institutionen wurden ausgebaut und erweitert. Die Auseinandersetzung Ost-West hat sich verstärkt.“

Zu den Behauptungen, Russland beeinflusse zum Beispiel durch Propaganda gezielt Wahlen im Westen, sagte der Ex-Agent: Sowas sei möglich und werde „offensichtlich von beiden Seiten“ auch gemacht.

„Aber die Frage ist: Mit welchem Ziel, wem nützt das und wie sieht die Wahrheit aus? Auch: Was ist überspitzt, was ist hinzugefügt, um bestimmte Dinge zu unterstreichen, und was ist Realität? Entscheidend sind die konkreten Kenntnisse der Menschen.“

Kopp wandte sich gegen den alleinigen Wahrheitsanspruch des Westens und hofft, dass „die Menschen mit wachem Auge und Ohr darauf achten, welche Überspitzungen es gibt.“ Und:

„Generell ist es so, dass die Wahrheit verbreitet werden muss – gezielt und immer wieder, um diese Flut an Unwahrheiten zu verhindern.“