Politologe warnt vor Alarmismus nach Barcelona-Anschlag und Folgen für die Demokratie

Der Terror darf nicht kleingeredet werden, aber auch nicht zu automatischen Reaktionen führen, die in einen „starken Staat“ führen. Davor warnt der Politologe Reinhard Mehring nach den aktuellen Ereignissen in Spanien. Er sagt: Die Forderung nach Sicherheit darf nicht auf Kosten von Freiheit und Demokratie missbraucht werden.

Der Politikwissenschaftler Reinhard Mehring warnte bereits 2015 nach den Anschlägen von Paris die Politik: „Man spricht nicht leichtfertig vom Ausnahmezustand und Krieg.“ Er ist Professor an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und einer der ausgewiesenen und kritischen Experten für das Werk des umstrittenen deutschen Rechtsgelehrten Carl Schmitt. Dieser gilt als Propagandist des „Ausnahmezustandes“. Im Interview erklärt er, wie er den Anschlag von Barcelona einordnet und ob seine Warnungen weiterhin gültig sind.

Professor Mehring, es gibt einen aktuellen Anlass, der wieder auf Carl Schmitt in ziemlich tragischer Weise verweisen kann, der mutmaßliche Terroranschlag in Barcelona. Sie haben 2015 in Folge der Anschläge von Paris auf bestimmte problematische Antworten der Politik auf die damaligen Ereignisse hingewiesen. Was würden Sie der Politik angesichts des Anschlages in Barcelona raten?

Es ist natürlich sehr schwer, aus der Stunde heraus dazu etwas zu sagen. Die Experten sprechen von Mustern der jetzigen Formen des Terrorismus, die gewissen Identifikationen zulassen. Wir beobachten offenbar, das mit dem Niedergang des „Islamischen Staates“ (IS), mit dem Scheitern der Kalifats-Träume im Nahen Osten, Europa und der Westen insgesamt wieder verstärkt in die Ziellinie des islamistischen Terrors geraten. Die Politikwissenschaftler unterscheiden hier zwischen dem nahen und dem fernen Feind. Der nahe Feind des islamistischen Terrorismus sind die muslimischen Gesellschaften selbst. Der ferne Feind, das ist der Westen. Jetzt verschiebt sich die Anschlagsfront quasi wieder zum fernen Feind. Europa, die europäischen Hauptstädte werden in der furchtbarsten Weise hier zum Ziel.
Was soll man dazu sagen?

Sie haben vor zwei Jahren der Politik geraten: „Man spricht nicht leichtfertig vom Ausnahmezustand und Krieg. Jeder Kampfbegriff hat in der Welt der Politik seine Folgen.“

Ja, das ist richtig. Diese Terminologie ist wieder in besonderer Weise mit dem Werk Carl Schmitts verbunden, denn er hat sehr strikt von dem Normalzustand und dem Ausnahmezustand unterschieden und dann auch beobachtet, wie eine Rhetorik des Ausnahmezustands rechtspolitische Ziele verfolgt. Das ist natürlich eine Gefahr, dass wir in eine Rhetorik des „starken Staates“ und des Ausnahmezustandes hineinrutschen, wie es am Ende der Weimarer Republik war. Die Rede von der „Willkommenskultur“ ist verstummt und die Rede vom „starken Staat“ klingt gelegentlich wieder an. Sie klingt sogar bei der Bundesregierung an. Thomas de Maizière, ein Innenminister, den ich durchaus schätze, hat im Januar 2017 nach den Terroranschlägen von Berlin Richtlinien für einen „starken Staat“ verabschiedet.

Da stehen teils problematische Formulierungen drin, von denen ich sagen würde: Hier müssen die Alarmglocken schrillen, hier wird ein Automatismus des Handlungszwanges benannt, den wir vorsichtig im Blick haben müssen. Bei dem ich eigentlich auch keine Sorgen bezüglich des Innenministers habe, aber wir haben die verschiedensten Akteure, die auch die Politik unter rhetorischen Zugzwang bringen. Wir haben jetzt Bundestagswahlen. Man diskutiert sofort bei jedem Anschlag wieder, ob er der AfD nützt. In all diesen Dingen müssen wir uns auf die liberaldemokratischen Standards besinnen und jedes Mal genau schauen, ob im Konflikt Freiheit und Sicherheit jetzt die Rede von der Sicherheit missbraucht wird.

Sie haben damals die Politik auch vor zu optimistischen „Siegesparolen“ gewarnt, wie: „Unsere“ Freiheit und Lebensform werde siegen. Ähnliches ist ja jetzt wieder in politischen Reaktionen auf Barcelona zu hören. Was wäre die bessere Antwort?

Mit besseren Antworten sollten sich Politikwissenschaftler, die primär Beobachter sind, natürlich zurückhalten. Aber wir könnten fast spotten über die Selbstverständlichkeit, mit der von gemeinsamen Lebensformen in der multikulturellen und multikonfessionellen Gesellschaft gesprochen wird, die ja doch in verschiedenste Richtungen auseinander driftet. Wir müssen uns natürlich darüber unterhalten, welche Konsensposten es in dieser Gesellschaft gibt und was wir wirklich als gemeinsamen Standard vertreten müssen und auch einfordern können. In diesem Sinne würde ich natürlich auch an die politische Bildung appellieren und hier einen sensiblen und tiefenscharfen, Konflikte nicht scheuenden Diskurs wünschen.

Anschläge, auch ein Putschversuch, in der Türkei haben zu einem Ausnahmezustand geführt. Aber auch in Frankreich gilt weiterhin der Ausnahmezustand seit den letzten Anschlägen dort. Sie haben ebenfalls davor gewarnt, dass der erklärte Ausnahmezustand nicht zu einem „europäischen Bürgerkrieg“ führen darf. Was wäre Ihre, wenn auch theoretische, Antwort auf Terror? Wie könnte das Problem dauerhaft gelöst werden?

Zunächst einmal sollte man auch hier juristisch genau hingucken, inwieweit der Ausnahmezustand in der Türkei mit dem in Frankreich überhaupt vergleichbar ist, ob hier tatsächlich ganz ähnliche Kompetenzen an die Exekutive gegeben werden. Vom „europäischen Bürgerkrieg“ würde ich nicht sprechen. Da würde ich eher sagen: Hüten wir uns vor alarmistischen Dramatisierungen der Entwicklungen – reden wir sie nicht klein, reden wir sie aber nicht groß. Überall würde ich versuchen, zur Vernunft zu raten. Die Antworten bzw. Patentrezepte hat wohl niemand parat. Da würde ich mich gerne auch zurückhalten.